Der Tag war für einen Ausritt perfekt und während des Ritts in die Stadt fühlte sich Li-Hua so entspannt wie schon sehr lange nicht mehr. Sie trotz des weichen Ledersattels die ruhigen aber kräftigen Schritte und das leise Schnauben von Yin Yue unter sich spüren. Es war angenehm und beruhigend, fast wie eine sanfte Massage. Die frische Luft und der Duft der blühenden Felder um sie herum erfüllten Li-Hua mit einem Gefühl von Freiheit und Lebendigkeit.
Luo-Zhi ritt neben ihr auf Bai Long, der majestätisch und stolz wirkte. Li-Hua beobachtete, wie geschickt Luo-Zhi seinen temperamentvollen Hengst führte, und sie spürte einen Anflug von Bewunderung für seine Reitkünste.
»Du reitest schon sehr lange, oder?«, rang sie sich schließlich durch, ihn zu fragen.
Luo-Zhi wandte sich ihr zu und lächelte. »Ja, seit ich ein kleiner Junge war. Mein Vater bestand darauf, dass ich es früh lerne. Er sagte immer, ein Mann, der nicht reiten kann, ist wie ein Vogel ohne Flügel.«
Li-Hua nickte nachdenklich. »Das erklärt, warum du so eins mit Bai Long zu sein scheinst. Ihr beide wirkt wie ein perfektes Team. Hast du deshalb angefangen die Pferde auch zu züchten?«
Luo-Zhi nickte. »Die Familie Qing hatte schon immer einen besonderen Draht zu Pferden. Es liegt uns im Blut, könnte man sagen. Aber die Zucht begann ich aus Leidenschaft. Jedes Pferd ist einzigartig, und es ist faszinierend zu sehen, wie sich ihre Eigenschaften in den Nachkommen widerspiegeln.«
Li-Hua betrachtete Yin Yue unter sich und streichelte sanft seinen Hals. »Ich kann verstehen, warum du es so sehr liebst. Es ist wirklich etwas Besonderes, mit diesen Tieren zusammen zu sein.«
Luo-Zhi lächelte warm. »Es freut mich, dass du diese Verbindung auch spürst. Weißt du, als ich sah, wie gut du dich mit Jinnah und Yin Yue verstehst, wusste ich, dass du etwas Besonderes bist.«
Li-Hua errötete leicht bei seinen Worten. »Danke, dass du sie mir anvertraut hast. Sie bedeuten mir sehr viel.«
»Wie gesagt: Sie gehören dir, Li-Hua«, sagte Luo-Zhi sanft. »Ich wusste, dass du gut für sie sorgen würdest. Und gute Freunde soll man nicht trennen.«
Li-Hua lächelte dankbar und streichelte Yin Yues Mähne. Sie fühlte sich geehrt durch Luo-Zhis Vertrauen und Großzügigkeit. Während sie weiterritten, genoss Li-Hua die friedliche Atmosphäre und die Nähe zu Luo-Zhi.
Als sie die Stadtgrenze erreichten, wurden die Straßen belebter. Li-Hua beobachtete fasziniert das geschäftige Treiben um sie herum. Händler priesen lautstark ihre Waren an, Kinder spielten zwischen den Ständen, und der Duft von frisch gebackenem Brot und exotischen Gewürzen erfüllte die Luft.
»In der Nähe gibt es einen öffentlichen Stall, dort können wir Yin Yue und Bai Long abgeben, damit sie sich ausruhen können«, meinte Luo-Zhi. »Die Stadt wird sie sonst nur beunruhigen.«
Li-Hua nickte zustimmend. Sie spürte, wie Yin Yue unruhig wurde, als eine Gruppe lärmender Kinder an ihnen vorbeistürmte. Der Hengst schnaubte leise und tänzelte nervös.
»Du hast Recht«, sagte sie zu Luo-Zhi. »Die Geräusche und die vielen Menschen machen ihn unruhig.«
Der öffentliche Stall war sauber und gut geführt. Ein freundlicher Stallbursche kam ihnen entgegen und half beim Absatteln.
Luo-Zhi gab ihm einige Münzen und bat ihn, besonders gut auf Bai Long und Yin Yue zu achten. »Wir werden sie später wieder abholen«, erklärte er dem Jungen.
Der Stallbursche nickte. »Es ist mir eine Ehre, General Qing.«
Li-Hua streichelte Yin Yue noch einmal beruhigend über die Nüstern, bevor sie den Stall verließen. »Mach dir keine Sorgen«, flüsterte sie ihm zu. »Wir sind bald wieder da.«
Yin Yue stieß Li-Hua sanft an, als wolle er »bis gleich« sagen.
Als sie den Stall verließen, fühlte Li-Hua eine Mischung aus Aufregung und leichter Nervosität. Die belebten Straßen der Stadt waren so anders als die ruhige Umgebung, an die sie sich in den letzten Wochen gewöhnt hatte. Luo-Zhi bemerkte ihre Unsicherheit und bot ihr seinen Arm an.
»Wohin möchtest du gehen?«, fragte er sanft. »Es gibt hier viele interessante Orte zu entdecken.«
Li-Hua lächelte dankbar und hakte sich bei ihm ein. »Ich würde gerne den Markt sehen«, antwortete sie. »Es wäre sicher schön sich ein paar Stände anzusehen, denkst du nicht?«
Sie überlegte kurz. »Und vielleicht könnten wir nachher noch Madame Lin besuchen.«
Luo-Zhi nickte zustimmend. »Das klingt nach einem wunderbaren Plan. Der Markt ist nicht weit von hier, und ich kenne einige interessante Stände, die ich dir zeigen möchte.«
Sie schlenderten gemeinsam durch die Straßen, vorbei an bunten Ständen und geschäftigen Händlern. Li-Hua genoss die Vielfalt der Düfte und Farben, die sie umgaben. Sie blieben an einem Stand mit filigranen Schmuckstücken stehen, und Li-Huas Augen leuchteten beim Anblick der kunstvollen Arbeiten.
»Sieh nur, wie schön diese Haarnadeln sind«, sagte sie begeistert zu Luo-Zhi.
Er lächelte und betrachtete die Stücke aufmerksam. »Sie sind wirklich wunderschön. Möchtest du eine haben?«
Li-Hua zögerte kurz, dann nickte sie schüchtern.
Luo-Zhi wählte eine besonders schöne und filigrane Haarnadel, die jadegrün und mit einem kleinen Pferdekopf verziert war. »Wie gefällt dir diese?«
Li-Hua betrachtete die Haarnadel mit strahlenden Augen. »Sie ist wunderschön«, flüsterte sie, überwältigt von der Geste. »Das Pferd erinnert mich an Yin Yue.«
Luo-Zhi lächelte warm und kaufte die Nadel. Er reichte sie Li-Hua. »Lass mich dir helfen, sie anzustecken.«
Mit behutsamen Fingern platzierte er die Nadel in Li-Huas Haar. »Perfekt«, murmelte er, seine Augen voller Bewunderung. »Sie steht dir ausgezeichnet.«
Li-Hua errötete leicht und berührte vorsichtig die Nadel in ihrem Haar. »Danke, Luo-Zhi. Jedes Mal wenn wir in der Stadt sind kaufst du mir etwas. Und ich-«
Sie brach ab und zögerte kurz.
»Was ist?«, erkundigte sich Luo-Zhi bei ihr. »Ist alles gut?«
Li-Hua nickte. »Ja, ich habe nur eine Bitte.«
Luo-Zhi sah sie erstaunt an. »Ist dir noch etwas eingefallen, das du haben möchtest?«
Li-Hua zwang sich dazu, seinen Blick zu erwidern. »Kann ich... kann ich mir von dir vielleicht einen Tael leihen?«
Luo-Zhi sah sie überrascht an, dann lächelte er sanft. »Natürlich kannst du das. Aber darf ich fragen, wofür?«
Li-Hua errötete leicht und senkte kurz den Blick, bevor sie wieder zu ihm aufsah. »Ich... ich möchte dir auch etwas kaufen. Es fühlt sich nicht richtig an, immer nur zu nehmen, ohne etwas zurückzugeben.«
Luo-Zhis Augen wurden weich vor Zuneigung. »Li-Hua, du musst mir nichts kaufen. Deine Anwesenheit und dein Lächeln sind mehr wert als jedes Geschenk.«
Trotz seiner Worte griff er in seinen Geldbeutel und reichte ihr einen Tael. »Aber wenn es dir wichtig ist, dann bitte. Ich freue mich über alles, was von dir kommt.«
»Danke, ich verspreche dir, ich kaufe nichts unnötiges«, versprach Li-Hua.
Als sie ihre Augen über die Marktstände schweifen ließ, entdeckte sie einen kleinen, der verschiedene Stoffe in allen Größen und Formen darbot.
»Warte kurz hier, ja?«, Li-Hua konnte fühlen, wie ihr Herz schneller schlug bei der Idee, die ihr kam. Sie wollte etwas besonderes für ihn. Nicht einfach ein Geschenk, sondern etwas Selbstgemachtes. Der Stand bot die perfekten Stoffe dafür.
»Was hast du vor?«, wollte Luo-Zhi wissen.
»Das ist ein Geheimnis. Zumindest vorerst.« Li-Hua kicherte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah: Überrascht aber irgendwie auch Stolz.
»Also gut, geh«, meinte Luo-Zhi. »Aber bleib in meiner Sichtweite.«
»Das werde ich, ganz bestimmt.« Li-Hua drückte kurz seine Hand. »Ich bin direkt dort vorne.« Sie deutete auf den Stand.
»In Ordnung.« Luo-Zhi nickte. »Ich warte hier auf dich.«
Li-Hua eilte zum Stoffstand, ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie ließ ihre Finger über die verschiedenen Stoffe gleiten, bis sie einen fand, der sich perfekt anfühlte - weich, aber robust. Besonders gut gefiel ihr der Stoff in dunkelrot und gelb.
»Diesen bitte«, sagte sie zu dem Händler und deutete auf den Stoff. »Wie viel kostet er für ein kleines Stück Streifen von beiden Farben?«
Der Händler nannte ihr den Preis, und Li-Hua bezahlte mit dem Tael, den Luo-Zhi ihr gegeben hatte. Mit den Stoffstücken in einer kleinen Reispapiertüte, ging sie zurück zu Luo-Zhi.
Als sie zu ihm zurückkehrte, bemerkte sie den neugierigen Blick in seinen Augen. Li-Hua lächelte geheimnisvoll und drückte die Tüte an sich. »Ich verrate noch nichts«, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Es soll eine Überraschung werden.«
Luo-Zhi nickte anerkennend. »Ich bin gespannt, was du dir ausgedacht hast«, erwiderte er warm. »Sollen wir weitergehen? Es gibt noch viel zu sehen.«
Li-Hua stimmte begeistert zu, und gemeinsam schlenderten sie weiter durch die belebten Straßen. Die Atmosphäre zwischen ihnen war entspannt und vertraut, und Li-Hua genoss jede Sekunde ihrer gemeinsamen Zeit.
Plötzlich blieb Luo-Zhi stehen und deutete auf ein nahegelegenes Teehaus. »Möchtest du eine Pause machen? Wir könnten einen Tee trinken und uns etwas ausruhen.«
Li-Hua nickte dankbar. »Das klingt wunderbar. Ich könnte tatsächlich eine kleine Erfrischung gebrauchen.«
Sie betraten das Teehaus, und Li-Hua war sofort von der ruhigen, eleganten Atmosphäre beeindruckt.
Luo-Zhi führte sie zu einem Tisch am Fenster, von wo aus sie das Treiben auf der Straße beobachten konnten. Nicht weit entfernt von dem Tisch, an dem sie saßen war ein Zen-Brunnen mit einer kleinen Buddhastatue aufgebaut. Das sanfte Plätschern des Wassers und der Duft von frisch gebrühtem Tee schufen eine friedliche Umgebung, die Li-Hua half, die Aufregung des Marktes hinter sich zu lassen.
Während sie auf ihre Tees warteten, erinnerte sich Li-Hua an den Tag, an dem sie zum ersten Mal mit Luo-Zhi hier gewesen war. Es war kurz nach ihrer Hochzeit gewesen, und alles hatte sich so neu und aufregend angefühlt. Damals hatte sie sich wie ein kleines Mädchen gefühlt, das in eine fremde Welt eintauchte. Jetzt, nur wenige Wochen später, fühlte es sich an wie eine Ewigkeit her. So viel hatte sich verändert—und doch war vieles gleich geblieben.
»Ich kann es kaum glauben, wie schnell die Zeit vergeht«, murmelte sie nachdenklich.
Luo-Zhi nickte und sah sie an. »Es ist erstaunlich, nicht wahr? Manchmal fühlt es sich an, als ob wir schon ewig zusammen sind.«
Ein Lächeln breitete sich auf Li-Huas Gesicht aus. »Ja, es fühlt sich gut an.« Gerade als sie einen tiefen Atemzug nahm und den Moment genießen wollte, wurde die Tür des Teehauses mit einem lauten Knall aufgestoßen.
Luo-Zhi der gerade von einer Bedienung die Teeschalen gereicht bekommen hatte erstarrte. »Shenmi.«
Li-Hua zuckte zusammen, als hätte jemand sie geschlagen. »Shenmi?«, wiederholte sie ungläubig seine Worte »Ist das nicht-?«
Die junge Frau, Shenmi, die einen opulenten Hanfu trug, der sicher teuer gewesen warm setzte sich, ohne zu fragen, neben Luo-Zhi.
»Luo-Zhi, mein liebster, es ist viel zu lange her!«, rief sie und sah dann zu Li-Hua. »Und das ist wohl das Kind, mit dem man dich verheiratet hat.«