ANNA
Die Staubschicht auf dem alten Buch, das Alex in seinen Händen hält, wird von seinem Atem weggeblasen und löst sich in feine Kristalle auf, die nun in dieser Höhle umherschwirren. Nervös zupfe ich am Saum meines Shirt’s und warte auf die nächsten Anweisungen. Seine Aura ändert sich in dem Moment, in dem er die erste Seite aufschlägt und seine Augen auf dieses Bild treffen. Das Bild, dessen Gesicht ich wiedererkenne. Es ist dieselbe Frau, die mir vorhin diese Vision beschert hat. Eigentlich will ich ihn nicht schon wieder reizen. Noch dazu, wo er jetzt so niedergeschlagen wirkt. Doch meine Worte kommen zu schnell aus meinem Mund und schon ernte ich einen Blick von ihm, der mich sofort wieder zum Schweigen bringt.
„Wer ist das?“
„Was sollte dich das angehen.“
„Ich habe sie gesehen. Vorhin. Sie hat mich gewarnt.“
Ich glaube, ein kleines Glitzern in seinen Augen wahrzunehmen, bevor sich seine Miene wieder verhärtet und er mit einem zischenden Laut auf meine Worte antwortet.
„Würdest du einmal deinen Kopf benutzen, dann würdest du nicht so blöd fragen müssen.“
Ich hasse es, wenn er mich für dumm verkauft. Aber nach einigen Sekunden, die ich nun wirklich in meinem Kopf nach Erklärungen suche, glaube ich die Lösung auf meine Frage zu haben. Das Grimoire von Alex’s Mutter. Schon bei diesem Gedanken möchte ich am liebsten mit meiner Handfläche auf meine Stirn schlagen.
„Wieso sollte mich deine Mutter warnen? Ich kenne sie doch nicht einmal.“
„Frag mich etwas Besseres. Vielleicht, weil du eine zu weiche Seele hast. Genauso wie sie. Sie hat ihm einfach vertraut und wurde dafür bestraft.“
Die letzen Worte murmelt er eher zu sich selbst, als ob sie nicht für meine Ohren bestimmt wären, er jedoch seinen Unmut irgendwo ablassen muss. Endlich fügen sich ein paar Sachen zusammen und langsam versuche ich, in seinen Kopf zu kommen, der mir so lange versperrt war.
„Kannst du jetzt bitte deine Klappe halten und dich auf den Zauber kontrollieren.“
Schon ist meine Hoffnung, mehr über ihn herauszufinden zu Staub zerfallen. Wortlos legt er das Buch vor mich. Der kalte Stein auf dem ich mich platziert habe, wird langsam ungemütlich und ich bin froh, wenn wir aus dieser dunklen, kalten Höhle wieder verschwinden können. Abwehrend hebe ich meine Hände und blicke auf die Seite, in der etwas auf Latein steht. Doch dieses mal verschieben sich die Buchstaben zu mir verständlichen Worten. Als würde sich der Spruch für mich neu ordnen. Die schwarzen Zeichen huschen auf der vergilbten Seite hin und her und ich kann nicht anders, als es mit offenem Mund zu beobachten. So etwas ist mir noch nie passiert und es fasziniert mich so sehr, dass ich erst durch das Räuspern von Alex unterbrochen werde.
Mit einem überraschten, dämlichen Grinsen blicke ich zu ihm und werde mit einem verwundertem Blick begutachtet.
„Was ist?“
Ich schüttle meinen Kopf´, um ihn nicht noch weiter auf die Palme zu bringen.
„Nichts. Können wir nun?“
Nun bin es ich, die den Zauber sprechen will und ihn dazu drängt sich etwas zu beeilen. Zögerlich hebt er seine Hand und ergreift auch meine.
„Auch, wenn ich es für einige Tage wieder hassen werde, deine dämlichen Gefühle zu fühlen, müssen wir jeweils das Blut des anderen trinken.“
Sein angewiderter Gesichtsausdruck lässt mich keinen Moment daran zweifeln, dass er diesen Satz ernst gemeint hat und ein dunkles Gefühl legt sich um meinen magen. Ich hasse es, Blut zu trinken. Auch wenn ich mittlerweile damit schon vertraut sein sollte, ist es jedes Mal eine Sache, gegen die sich mein Körper zu wehren versucht. Doch dieser Schutzzauber ist jetzt wichtiger als alles andere und so strecke ich Alex mein Handgelenk entgegen. Zögerlich schlingen sich seine langen Finger um meine Hand und führen sie zu seinem Mund. Seine Augen verfärben sich und kurz bevor sich seine langen Zähne in meine Haut bohren, blickt er noch einmal in meine Augen. Fast so, als würde es ihm leidtun. Als würde er um Erlaubnis bitten, obwohl er so herzlos ist. Doch da habe ich wohl nur eine Hoffnung in diesen Blick gelegt, die mit einem schmerzhaften Biss in meine Handfläche, sofort zerstört wird. Das Blut quillt aus der Wunde und ein leises, schmerzhaftes Stöhnen kommt über meine Lippen. Nach dem Biss in meine Hand führt er nun selbst seine Handfläche zu seinem Mund und auch dort bohren sich seine langen Zähne hinein. Ohne Vorwarnung wandert seine Handfläche zu meinem Mund und meine Handfläche zu seinem. Die warmen Lippen, die sich auf meine Wunde legen, beruhigen den Schmerz und schwächt es ab, in ein leichtes Ziehen. Nach kurzem Zögern lege auch ich meine Lippen auf die Wunde von Alex, die schon wieder zu verheilen beginnt. Ich erwische nur noch ein paar Tropfen, aber ich gehe davon aus, dass dies reichen wird.
Gleich darauf konzentriere ich meinen Blick auf die Seite des Buches und die Wörter fließen daraufhin nur so über meine Lippen, ohne das ich wirklich Kontrolle darüber habe.
Es sprudelt einfach aus mir heraus und ein warmes Gefühl legt sich um mich. Der Stein ist nicht mehr kalt und nichts fühlt sich mehr real an. Es ist, als würde ich nun den Boden unter den Füßen verlieren und einfach abheben, bevor ich mit einem harten Knall wieder auf dem Boden lande, als ich die Schmerzen in meiner Brust spüre und kaum mehr atmen kann. Die Luft wird aus meinen Lungen gepresst und Alex’s Körper auf meinen. Dumpf kann ich Geräusche wahrnehmen, die aber gleich darauf vollkommen verschwinden und alles um mich herum zu einer einzigen Dunkelheit verschwimmt.
„Verdammt. Wach auf.“
Zwei starke Hände schütteln mich so fest, dass ich es kaum schaffe meine Lider zu öffnen. Doch als ich es tue, blicke ich in feuerrote Augen, die mich panisch anstarren. Langsam komme ich zu mir und bin von der veränderten Umgebung verwirrt. Wie bin ich hierher gekommen?
„Steh auf. Wir müssen hier weg.“
Ein erneutes Rütteln lässt mir keine Wahl und als er mich auf die Beine zieht, habe ich kaum Kontrolle über meinen Körper und drohe wieder umzukippen, würden mich Alex`s starke Arme nicht noch einmal auffangen.
„Was ist los?“
„Sie sind auf dem Weg. Sie haben mich aufgespürt, bevor du den Zauber gesprochen hast.“
„Wer?“
Müde und gedankenverloren arbeitet mein Gehirn noch zu langsam um voher zu denken und dann die Frage zu stellen.
„Na wer wohl? Salivana und meine unnütze Schwester.“
„Wie?“
„Kannst du auch mal deine Klappe halten? Einer der Männer, die ich manipuliert habe, hat mich angerufen und mir Bescheid gegeben, dass sie mich gefunden haben. Aber jetzt, wo der Zauber gesprochen ist, werden sie keine weitere Spur mehr von mir finden. Also gehen wir dorthin wo sie uns am wenigsten vermuten.“
Nicht gerade geduldig zerrt er mich nach sich, als wir und auf das, mir so bekannte Motorrad zubewegen.
„Wohin?“
„Bitte, nicht das jetzt auch noch. Kannst du einfach deinen Kopf abschalten und mir nicht immer die Tour mit deinem Gefühlschaos vermasseln. Ich hätte es wissen sollen. Deine Gefühle sind so anstrengend.“
Wieder ein kleiner Stich in mein Herz und wieder einmal weiß ich nicht, wie ich diese Gefühle abstellen könnte. Na klar, bin ich verwirrt. Ich weiß nicht was passiert ist und weshalb ich weggetreten war und jetzt werde ich auch noch voller Panik auf dieses Motorrad gezwungen.
„Ich verspreche dir, dass ich versuchen werde, meine Gefühle zu kontrollieren. Wenn das überhaupt möglich ist. Aber dafür musst du mir sagen, was bei diesem Zauber passiert ist.“
Sein Fuß hebt sich über die Maschine und ein generverter Seufzer von ihm lässt mich spüren, dass es ihm so gar nicht passt, dass ich eine Antwort will.
„Weil es einfach ein starker Zauber war und du deine Kräfte fast vollständig dafür geleert hast. Das hat sich eben durch eine kleine Erschütterung bemerkbar gemacht. Besser gesagt, du hast die verdammte Höhle fast vollständig gesprengt. Zum Glück konnte ich das Grimoire retten und wieder an seinen Platz zurückbringen. Und jetzt steig auf und versuch einfach deine jämmerlichen Gefühle und deinen Mund für eine Weile auszuschalten. Ich hab schon alleine von deiner nervigen Stimme Kopfschmerzen.“
„Was ist mit meinen Kräften?“
„Mach dir nicht ins Hemd. Die kommen schon wieder zurück. Sie müssen sich nur regenerieren. Und jetzt steig verdammt nochmal auf und halt die Klappe.“
Wieder ein Tiefschlag. Aber sofort denke ich an seine Worte und versuche meine Gefühle im Zaum zu halten. Obwohl ich nur mit Mühe die Tränen unterdrücken kann. Mein Fuß hebt sich über die schwarze Maschine und mein Becken rutscht unwillkürlich näher an seinen Rücken. Nur dieses Mal versuche ich mich ihm nicht noch mehr zu nähern. Dann könnte ich meine Gefühle wohl absolut nicht mehr verheimlichen und ich will nicht wieder wie ein Idiot behandelt werden. Also greife ich nach hinten und klammere meine Finger um die Halterung des Sitzes. Sein Kopf dreht sich plötzlich in meine Richtung und der Ausdruck auf seinen Augen wirkt überrascht. Fast so, als hätte er damit gerechnet, dass ich meine Arme wieder um seinen Oberkörper schlinge. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter und bin stolz auf mich. Aber als er losfährt, bereue ich meine Entscheidung auch schon wieder. Es ist wirklich anstrengend sich so festzuhalten, wenn der Mann am Steuer wie ein Verrückter fährt. Trotzdem versuche ich durchzuhalten. Doch nach gefühlten zwei Stunden, vollbepackt mit Krämpfen in meinen Fingern und einer aufgeschürften Stelle an meiner Handfläche habe ich kaum noch Kraft noch länger durchzuhalten und bin heilfroh, als er stoppt und mich absteigen lässt. Er folgt mir und wirkt etwas verzweifelt als sich seine langen Finger durch das dunkle, mittlerweile längere Haar schieben. Dabei fällt mein Blick, ohne es zu wollen auf den Muskel an seinem Oberarm, der sich bei dieser Bewegung in den Vordergrund drängt.
„Ich weiß ja, dass ich wirklich scharf bin, aber ich hasse es, wenn du mich so anstarrst. Mit deinem Blut in mir fühlt sich das an, als möchte ich mich selbst vögeln.“
Schnell wende ich meinen Blick von ihm ab und versuche dem peinlichen Moment damit zu entfliehen. Doch meiner Gesichtsfarbe gelingt es dennoch nicht, sich nicht in ein Rot zu verwandeln. Irgendwie schafft es mein Gehirn seine Worte zu einem Bild zu spinnen und unwillkürlich muss ich Lächeln.
„Dass möchte ich sehen.“
Die Worte kommen aus meinem Mund, ohne dass ich vorher darüber nachgedacht habe. Sofort bereue ich es und rechne mit dem Schlimmsten. Dass er wieder einmal vollkommen austickt und mich, wie so oft, zur Schnecke macht. Doch seinen überraschten Gesichtszügen folgt ein Lächeln und ein Kopfschütteln. So als wolle er nicht, dass seine Fassade zerbröckelt und er sich bemühen muss, sie aufrecht zu erhalten.
„Komm schon. Steig jetzt auf.“
Das Lächeln befindet sich noch immer auf seinem Gesicht. Doch sein Ton wirkt streng. Also tue ich, wie er mir, mehr oder weniger, befohlen hat und ziehe den Helm, den ich vorhin abgenommen habe, wieder über meinen Kopf. Anstatt wie erwartet, bleibt er stehen und beobachtet mich ungeduldig.
„Willst du nicht vor mir aufsteigen?“
Verwirrt blicke ich in sein Gesicht, auf das sich jetzt Belustigung legt. Er ist einfach so undurchschaubar, dass ich ihn am Liebsten anschreien würde. Zuerst befiehlt er mir aufzusteigen und dann wartet er.
„Nein, will ich nicht. Der Fahrer steigt als Erstes auf. Also bitte.“
Seine Handfläche klatscht auf das schwarze Leder des Sitzes. Zu meiner Überraschung, aber nicht auf den Platz, denn ich vorhin besetzt habe. Sondern wirklich auf den Fahrersitz.
„Ist das dein Ernst?“
Ungläubig starre ich in dieses Gesicht, dass mir gerade ein schelmisches Lächeln schenkt.
„Ich mache keinen Spaß. Und jetzt steig auf. Wir müssen weiter.“
„Ähm...aber...ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“
„Stell dich nicht so an. Du kannst eine Pflanze wieder zum Leben erwecken und du bist doch schon einmal gefahren.“
Mit einem nochmaligen Klopfen seiner Handfläche fordert er mich auf, mich auf den Sitz zu setzen. Zögerlich bewege ich mich darauf zu und schwinge mein Bein um die Maschine. Ehrfürchtig starre ich den Lenker an und spüre, wie Alex sich hinter mich setzt. Seine Nähe ist so präsent und die kleinen Härchen in meinem Nacken reagieren sofort auf ihn. Mein Körper reagiert mit einer Schockstarre, als er dann auch noch seine Hand neben meiner Hüfte vorbeischiebt um den Motor zu starten. Das Brummen der Maschine erscheint mir jetzt noch lauter. Na klar, ich bin schon alleine gefahren. Damals mit Nathan’s Bike. Aber jetzt. In dieser Situation mit Alex. Meine Handflächen sind schweißnass an und ich bin mir sicher, dass seine Nähe nicht gerade hilfreich ist.
„Mach dir nicht in die Hose. Es wird dich von den schmutzigen Gedanken ablenken und ich habe somit meine Ruhe.“
Ein tiefer Atemzug und ich lege die Hände auf den Lenker. Vielleicht hat er ja recht und ich komme so endlich von den Gedanken an ihn los. Also drehe ich am Gas und etwas holprig fahren wir los. Nach jedem Stück, dass ich selbst auf dieser Maschine zurücklege, werde ich lockerer. Die Nervosität wird von einem Gefühl der Freiheit ersetzt und langsam beginne ich es zu genießen. Durch den Fahrtwind, der mich noch freier fühlen lässt, werde ich noch mehr bestärkt und schon bald sind meine Sorgen und meine Gedanken irgendwie im hinteren Teil meines Kopfes angelangt und ich genieße es vollkommen. Außer bei den Bewegungen die Alex macht, wenn er mir den Weg weist. Denn dann spüre ich seine Nähe .Wenn er zum Beispiel seine Hand über meine Schulter legt, um mir den Weg zu zeigen lässt mich das immer wieder für einen Moment erstarren.
Die Zeit vergeht und mittlerweile fühlt es sich so an, als hätte ich nie etwas anderes gemacht, als mit dem Motorrad zu fahren. Wenn ich das Ganze hier überlebe, muss ich mir unbedingt eines zulegen.
Noch immer weiß ich nicht wo wir hinfahren, da ich diese Strecke noch niemals gefahren bin. Und wenn, dann kann ich mich absolut nicht daran erinnern. Doch, als nach einer Weile ein kleines Schild mit dem Namen Driftwood auftaucht, schlägt mein Herz einen Schlag schneller. Niemals hätte ich gedacht, dass ich es nochmals lebend hier her schaffe.
Und als wäre das nicht schon genug Aufregung, legt Alex plötzlich seine Hände an meine Hüfte. Der Temperaturanstieg meines Körper setzt unmittelbar danach ein und schon beginne ich wieder nervös zu werden. Vor allem, als wir vor dem riesigen Torbogen stehen, der zu Alex’s Haus führt.
Wir sind zurück. Hier in Driftwood, wo alles begonnen hat.