ARON
Was war das für ein Ton?
Verschlafen reibe ich meine Augen.
Irgendetwas hat mich geweckt.
Und dabei hatte ich gerade so gut geschlafen.
Was sicher auch daran liegen mag, dass der anschließende Abend mit Mona wirklich noch sehr schön gewesen war. Wir sind noch lange in der Kneipe gesessen, so lange, bis die Lokalität schließen wollte und wir mehr oder weniger rausgeschmissen wurden.
Wir haben auf dem Parkplatz noch Adressen ausgetauscht, und ich hoffe…
Beeep!!
Was ist los?
Verdammt, das ist der Rauchmelder!!
Mit meiner Ruhe ist es auf einen Schlag vorbei. Ich muss hier aus dem Zimmer raus und nachsehen.
Ich brauche Licht…
Ich schlage hektisch meine Bettdecke auf die Seite und taste im Dunkeln nach der Nachttischleuchte. Gut, dass sie einen Sensor hat und keinen Einschalter, den ich noch lange in dieser Schwärze suchen muss.
Kaum habe ich etwas Licht, springe ich seitlich von der Matratze auf den Boden. Hektisch stolpere ich los und stoße mich am kleinen Beistelltisch an.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Feuer in diesem alten Gebäude, das kann ernst werden. Gut, dass der Rauchmelder losgegangen ist.
Ich renne aus dem Schlafzimmer und schalte den Lichtschalter vom Flur an. Woher kommt der Rauch?
Ich kann weder ein Feuer riechen noch sehe ich irgendwo Rauch.
Was eigentlich ein gutes Zeichen ist, dann hat sich der Brand noch nicht weit ausgebreitet.
Beeep!!
Das kam von unten.
Hastig eile ich die Treppe hinunter.
Und rutsche vor lauter Eile auf der dritten Treppenstufe aus. Diese alten Tritte sind aber auch einfach schmal und glatt, da muss man auch vorsichtig sein, wenn man im normalen Tempo hinabläuft.
Mit den Händen versuche ich noch vergeblich, das Gleichgewicht zu halten. Keine Chance. Fluchend „segle“ ich auf dem Allerwertesten einige Meter hinunter.
Ich ahne irgendwie, dass mir das später ziemlich wehtun wird, im Augenblick jedoch spüre ich keinen Schmerz. Froh darüber, wieder die Kontrolle zurückzubekommen, stoppe ich im unteren Drittel der Treppe und springe auf. Rasch weiter.
Das Feuer muss irgendwo im Erdgeschoss sein.
Gut, dass ich darauf bestanden habe, mehrere von diesen Rauchmeldern zu installieren. Nur welcher hat jetzt Alarm geschlagen?
Ich hatte mehrere diese billigen, aber trotzdem guten 10,- Euro Rauchmelder gekauft, bei denen man nur eine Batterie einsetzen muss und sie oben an die Decke schraubt. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätten wir bis heute keine dieser Geräte.
Lars hielt sie für nicht notwendig, egal, ob das jetzt Vorschrift ist oder nicht. Wo kein Kläger, da kein Richter, so sein üblicher Spruch mit dem typischen Grinsen im Gesicht.
Aber er hatte dann doch rasch nachgegeben und mir auch geholfen, sie oben an der Decke befestigen.
Was mir jetzt immer noch nicht weiterhilft. Wo brennt es jetzt, verdammt!!
Ich laufe hin und her und finde nichts.
Beeep!!
Da, von nebenan kommt es.
Ich renne in den Nebenraum. Hier muss das Feuer sein.
Hier ist aber nichts.
Weshalb?
Ich zwinge mich, stehenzubleiben, durchzuschnaufen und wenigstens etwas ruhiger zu werden.
Moment. Also – der Rauchmelder stellt fest, wie der Name ja schon sagt, wenn sich Rauch entwickelt und schlägt dann Alarm.
Der Ton kam eindeutig von hier. Hier ist aber nichts Bedrohliches zu sehen oder zu riechen.
Und müsste der nicht dauerhaft piepsen, wenn hier Feuer wäre? Ich erinnere mich dunkel, dass es so in der Anleitung stand.
Das heißt, entweder der Rauchmelder ist defekt, oder seine Batterien sind fast leer. Dann piepst er nämlich auch.
Wie zur Bestätigung höre ich erneut diesen schrillen Ton.
Eindeutig. Es kommt von dem Teil über mir.
Jetzt gilt es erst mal, diesen lauten Ton auszuschalten.
Rasch hole ich mir einen Stuhl. Die Decken dieses alten Gebäudes sind etwas höher als es heutzutage der Fall ist, daher komme ich ohne eine Erhöhung nicht ran.
Das wäre jetzt genau nach dem Geschmack meines Bruders. Der sonst stets korrekte Aron wird sich gleich leichtsinnig auf dessen Sitzfläche stellen.
Sofort verdränge ich jedoch diesen unpassenden Gedanken wieder und widme mich wieder meinem aktuellen Problem zu.
Gut, dass ich diese Rauchmelder damals installiert hatte, daher weiß ich noch, wie und wo man seitlich drücken muss, um die Abdeckung zu lockern und abzunehmen.
Gesagt, getan. Ich steige auf den Stuhl, und schon nach wenigen Minuten ist das gute Teil deaktiviert. Den Plastikdeckel und die Batterie lege ich auf den Fenstersims.
Dieser Schlafräuber.
So, und was nun?
Schlafen kann ich jetzt erst mal nicht mehr. Dafür habe ich jetzt viel zu viel Adrenalin in Blut.
Ich schlurfe rüber zur Küche und schalte unseren Kaffeevollautomaten ein. Ich weiß, dass das jetzt vielleicht nicht gerade das klügste ist, nach dieser Aktion auch noch Koffein in mich hineinzuschütten, aber irgendwie habe ich trotzdem das Bedürfnis nach einem Kaffee.
Also, was soll’s.
Ich stelle eine große Tasse unter die Wasserdüsen und drücke den Startknopf.
Verdammt, mein Hintern tut mir weh. Jetzt merke ich es schon. Bestimmt habe ich morgen blaue und gelbe Flecken.
Vielleicht habe ich Glück und es findet sich noch eine Salbe im Arzneikasten. Lars müsste so etwas eigentlich hier deponiert haben, auch wenn hier meines Wissens noch nie eine Sub zu Besuch war.
An solche Dinge denkt er dann doch.
Ich nehme die volle Tasse und stelle sie auf den Tisch. Rasch hole ich mir noch Zucker und Milch. Ja, diese Dinge brauche ich, damit mir dieser Muntermacher auch wirklich schmeckt.
Langsam und vorsichtig setze ich mich auf das Polster des Stuhls.
Ein wenig spüre ich meine Pobacken, aber es könnte auch schlimmer sein. Vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm.
Während ich an der warmen Flüssigkeit schlürfe, denke ich über das gerade Erlebte nach.
Wann haben wir das letzte Mal die Batterien ausgetauscht?
Ich werde ziemlich sauer, als mir bewusst wird, dass ich gerade genau die falsche Frage gestellt habe. Denn sie müsste korrekt lauten: Hat Lars die Batterien ausgetauscht?
Vor etwa drei Monaten hat er hier nach dem Rechten geschaut, und es war verabredet, dass er bei dieser Gelegenheit neue einsetzt.
Ich habe nicht mehr weiter nachgefragt, da ich davon ausgegangen bin, dass er das korrekt erledigt. Offensichtlich ein Fehler.
Auf jeden Fall werde ich ihn am Montag zur Rede stellen.
Hoffentlich geht nicht noch ein Rauchmelder los.
Wenn ich also sicher gehen möchte, den Rest der Nacht Ruhe zu haben, ‚darf‘ ich jetzt jeden einzelnen aufschrauben und die Batterien austauschen.
Vielen Dank auch, Lars.
Wo sind eigentlich die Batterien? Ich meine, die waren im Keller.
Ich und Lars, wir beide haben unsere eigenen Wohnungen, die jeweils etwa 10 Minuten von unseren Büroräumen entfernt sind.
Dieses alte Gebäude hier, eine Art Villa, haben wir von unseren Eltern übernommen. Wir beide sind hier aufgewachsen und als es Vater und Mutter zu viel wurde, die Räumlichkeiten zu pflegen und instand zu halten, sind wir eingesprungen. Sehr viele Kindheitserinnerungen verbinden wir mit diesem Haus, und daher wollten wir natürlich nicht, dass es verkauft wird.
Wir wechseln uns wochenweise ab. Wer von uns dran ist, schaut ein paar Mal nach dem Rechten, lüftet durch und anderes. Wir beide haben hier noch unsere alten Kinderzimmer, die heute natürlich nicht mehr als solche eingerichtet sind.
Auch wenn wir beide also ein Bett hier haben, übernachten wir eher selten hier. Da es jedoch gestern mit Mona sehr spät geworden war und ich am Sonntag eh hierher wollte, hatte ich beschlossen, in der Villa zu übernachten, zumal es auch der kürzere Weg war.
In diesem Gebäude ist soweit alles Notwendige vorhanden, sogar Wasch- und Spülmaschine. Das einzige, was fehlt, sind frische und verderbliche Lebensmittel; die bringen wir bei Bedarf selbst mit.
An manchen Wochenenden treffen wir uns auch gemeinsam hier, um die Villa etwas auf Vordermann zu bringen.
Vor einigen Wochen hatten wir uns den Dachboden vorgenommen.
Ich muss schmunzeln, als ich mich daran erinnere. Wie es ihm unangenehm war, als wir seine Kartons mit dem etwas speziellen Inhalt gefunden haben.
Wobei ich zugeben muss, dass ich genauso reagiert habe, als wir meine Sachen gefunden hatten. Und nun hat jeder einige Kartons bei sich herumstehen, die er nun seinerseits entsorgen oder irgendwo hinstellen darf.
Wie ich meinen Bruder kenne, hat er einfach alles in seinen großen Keller gestellt und da stehen seine Kartons dann die nächsten fünfzig Jahre. Vorausgesetzt, er findet dort noch ein paar Zentimeter freie Fläche. Lars Abstellraum ist nicht gerade das, was man als übersichtlich bezeichnen würde.
Aber ich schweife mit meinen Gedanken ab.
Was wollte ich noch mal? Ach ja, die Batterien.
Ich nehme noch einen großen Schluck Kaffee, ehe ich aufstehe und mich auf den Weg nach unten mache. Da ICH den Keller eingeräumt habe, besteht wenigstes Hoffnung, auch das zu finden, was man sucht.
Langsam steige ich hinunter. Vielleicht etwas übertrieben, aber mein wertes Hinterteil hat Schonung verdient. Und noch so ein Malheur, darauf kann ich verzichten.
Im Keller befinden sich einfache Schraubregale aus dem Baumarkt. Aber völlig ausreichend für unseren Zweck. Hier geht es ja ums Lagern, nicht darum, sich wohnlich einzurichten. Und ich habe meinem Bruder das Versprechen abgenommen, dass hier keine Sessions abgehalten werden. Ja, bei Lars muss man mit allem rechnen, auch wenn er meines Wissens aktuell keinen Kontakt zu jemanden hat, der dafür infrage käme.
Ich will das der Raum hier so bleibt, wie er ist.
Mein Blick schweift über die Regale, bis ich die durchsichtige Plastikbox entdecke und herunterhole.
Auch wenn sonst im Keller die typische Handschrift meines Bruders nicht erkennbar ist, hier ist sie es.
Die Schachtel ist ein Wirrwarr von verschiedenen Batterien. Eine Gefriertüte mit der Aufschrift „halbvoll“ und einigen Batterien darin zeugt von meinem Versuch, hier halbwegs ein System und Ordnung einzuhalten. Aber sind jetzt die Batterien, die hier offen in der Kiste liegen, voll oder halbleer? Oder wohlmöglich fast leer?
Ich schüttle den Kopf. Irgendwie typisch mein Bruder.
Auf jeden Fall finde ich zwischen all dem noch zwei verschlossene Packungen Batterien für unsere Rauchmelder. Batterien, die eigentlich nicht mehr da sein dürften, hätte Lars seine Hausaufgaben gemacht.
Seufzend nehme ich sie aus der Box, stelle die Kiste zurück an ihren Platz und mache mich an die Arbeit.