„Den Fahrschein bitte“.
Ich höre diesen Satz noch heute.
Hat er es jemals anders formuliert, oder war der Satz immer exakt gleich? Ich jedenfalls habe ihn genauso im Erinnerung.
Ich kann mich nicht erinnern, dass er es je abgewandelt hätte. Kam jemals „Ihre Fahrkarte bitte“ von seinen Lippen? Ich denke nicht. Aber ich kann mich auch täuschen.
„Den Fahrschein bitte“.
Ich erinnere mich noch an seinen sächsischen Einschlag, als er mich das erste Mal angesprochen hatte.
Mein erster Gedanke war, wie er sich so fühlt? Er fällt auf, mit dieser Aussprache. Fühlt man sich da strafversetzt, zwischen all den Kollegen, mit ihren süddeutschen Dialekten? Dieses schwäbisch, badisch, bayrisch oder bei grenzüberschreitenden Zügen noch österreichisch oder schweizerisch?
„Den Fahrschein bitte“.
Ich erinnere mich noch an seine Jacke mit den silbernen Knöpfen. Die Kollegen haben oft nur ein leichtes Jackett oder gar keines an, aber er trug immer diesen langärmligen und schwereren Sakko.
„Den Fahrschein bitte“.
Und da war noch diese Brille. Ein altmodisches Teil, eine solche hatte mein Onkel auch, der jedoch schon vor langer Zeit verstorben ist. Das heißt Kassengestell über 20 DM mit runden Gläsern, die sichtbar dick sind und die Augen anders erscheinen lassen. Genau so eine Brille, wie auch mein Onkel, die Brille zum Nulltarif. Eine andere sah ich nie an ihm.
„
Den Fahrschein bitte“.
Man sah ihm sein Alter an. Die weißen Haare, schon etwas licht, stets korrekt nach hinten gekämmt. Man merkte ihm an, dass es sein Beruf war, seine Passion, den er ausüben würde bis zum Schluss. Keine Frühpensionierung mit 50. So lange, bis er in Rente geschickt wurde, so lange würde er durch die Gänge gehen und die Fahrscheine kontrollieren.
„Den Fahrschein bitte“.
Stets hat er genau kontrolliert. Ja, er hat sich nicht mit der Bahncard zusammen den Ausweis zeigen lassen, was mich immer verwunderte. Was im Übrigen keiner tut. Aber er hat sich immer die Fahrkarte genau angeschaut, ob das Datum und das Fahrziel korrekt waren, ob die Bahncard noch gültig war.
„Den Fahrschein bitte“.
Für mich war er der klassische Beamte, aber nicht im negativen Sinn. Korrekt, genau, unbestechlich, integer. So hat er immer auf mich gewirkt. Die deutsche Bahn versucht ja, sich als modernes Unternehmen zu präsentieren. Dies war nie sein Ansinnen. So, wie er kontrollierte, das war er. Er benötigte keinen Extraapplaus durch moderne Mätzchen. Er war stets würdig, auf seine Art.
„Den Fahrschein bitte“.
Heute nennt man seinen Beruf ja auch „Zugbegleiter“. Aber für mich wird er immer der „Schaffner“ bleiben. Das moderne Wort mag für manche Kollegen passen, jedoch nicht für ihn. Er war der Schaffner, nicht einfach irgendein Begleiter. Er war der Chef.
„Den Fahrschein bitte“.
Ich weiß nichts von ihm. Wir haben nie ein privates Wort gewechselt. Und so weiß ich auch nicht, was aus ihm geworden ist. Ich vermute, er hat schließlich sein Rentenalter regulär erreicht und genießt seinen wohlverdienten Ruhestand. Wobei ich in diesem Falle vermute, dass er nachts davon träumt, in den Zug zu steigen und die Fahrausweise zu kontrollieren.
„Vielen Dank“.