Die Bewegung des Bettes riss Hermine aus ihren Gedanken; Draco hatte sich wieder zu ihr auf das Bett gesetzt und schaute sie nachdenklich an: "Hast du nichts dazu zu sagen?"
Beschämt bemerkte Hermine, dass sie so in ihren Reflektionen über Dracos Geschichte vertieft gewesen war, dass sie tatsächlich kein Wort zu ihm gesagt hatte. Zu begeistert war sie von den Möglichkeiten, die sich ihr plötzlich aufgetan hatten, dass sie vollkommen vergessen hatte, dass es nun an ihr war, Draco endgültig davon zu überzeugen, dass sie nicht für seinen Vater spionierte oder gar die Sache von Voldemort unterstützte.
"Tut mir leid, ich war einfach zu überrascht und glücklich", sagte sie schließlich voll ehrlicher Freude, "so, wie es für mich schwer ist, deine Situation zu begreifen, so unmöglich ist es vermutlich für dich, mich zu verstehen. Du bist der letzte, von dem ich erwartet hätte, dass er sich als mein Verbündeter erweisen könnte. Weißt du eigentlich, wie viel Angst ich vor dir hatte?"
"Natürlich weiß ich das!", entgegnete Draco trocken, "Das war ja schließlich mein Ziel. Aber ich glaube, du hast immer noch etwas nicht verstanden: Ich bin nicht dein Verbündeter."
Lächelnd schüttelte Hermine den Kopf: "Du verstehst nicht: Jeder, der nicht mein Feind ist, ist mein Verbündeter. Ich erwarte keine Heldentaten von dir ..."
"Gut", unterbrach Draco sie unwirsch, "denn ich werde auch keine bringen! Ich will einfach nur mein altes Leben zurück. Ohne Angst, ohne diesen ganzen Wahnsinn. Und jetzt gerade will ich vor allem verstehen, warum du mit meinem Vater schläfst, wenn du angeblich nicht für ihn arbeitest!"
Verärgert schloss Hermine die Augen. Dracos Gedanken waren sprunghaft, kaum hatten sie ein Thema angeschnitten, fiel er in ein altes zurück oder war plötzlich ganz woanders. Es fiel ihr schwer, ihm zu folgen und ihre eigenen Gedanken in geordneten Bahnen zu lenken. Sie holte tief Luft, ehe sie zu einer ausführlichen Antwort ansetzte: "Meine Beziehung zu deinem Vater hat nichts mit dem zu tun, was ich fühle oder denke ... oder gar mit meiner Loyalität. Du solltest am besten wissen, dass ich mich nicht wehren kann. Ich habe keinen Zauberstab mehr und dein Vater ist mir körperlich ziemlich überlegen. Genauso wie ... wie Snape."
Das überraschte Entsetzen, das sich in Dracos Gesicht spiegelte, bewies Hermine, dass er tatsächlich gedacht hatte, sie hätte sich freiwillig auf Lucius Malfoy und Severus Snape eingelassen. Es war ihr schleierhaft, wie er zu diesem Schluss gekommen sein konnte, doch sie war froh, dass er nun endlich die Wahrheit akzeptierte.
"Tut mir leid für dich", murmelte Draco so leise, dass Hermine es beinahe nicht gehört hatte. Sie wollte gerade zu einer warmen, dankbaren Antwort ansetzen, da fuhr er fort: "Aber das ändert nichts daran, dass du von mir nichts zu erwarten hast!"
"Ich habe es verstanden", erwiderte Hermine. Unschlüssig, was sie noch sagen sollte, verstummte sie, und auch Draco machte den Eindruck, als wisse er nicht mehr weiter. Insgeheim ging Hermine davon aus, dass sie ihn früher oder später doch würde überzeugen können, ihr zumindest ein klein wenig zu helfen, aber im Moment beherrschten Angst und Verzweiflung den jungen Mann vor ihr. Sie fragte sich, ob es ihm so ging wie ihr - dass er förmlich ausgehungert war durch die Kälte, die ihm in dieser Welt entgegen schlug, dass er sich nach der Wärme anderer Menschen sehnte, nach Vertrauen und Ehrlichkeit.
"Ich möchte aber dennoch, dass du eines weißt", wagte sie einen letzten Vorstoß, "egal, wie sehr du mich hasst und auf mich herabschaust ... jetzt, wo ich weiß, wie du denkst, kannst du dir sicher sein, dass ich immer ehrlich zu dir sein werde. Auch, wenn es dir vermutlich nichts bedeutest ... ich bin ein Mensch in diesem Haus, dem du vertrauen kannst."
Hermine konnte sehen, dass Draco zu einer heftigen Antwort ansetzte, doch sie ließ sich nicht beirren: Die Hände über der Decke in ihrem Schoß abgelegt, den Blick direkt auf sein Gesicht gerichtet, wappnete sie sich innerlich für eine weitere Salve von Beleidigungen. Doch Draco schien es sich mitten drin anders überlegt zu haben. Mindestens ebenso eindringlich wie sie schaute er ihr in die Augen, als suche er darin nach einer Antwort auf irgendetwas. Wieder breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus und gerade, als Hermine ihren Blick senken wollte, unterbrach Draco es seinerseits.
"Ich bin müde", sagte er schlicht, während er sich vom Bett erhob, zu seinem Schreibtischstuhl ging und begann, sich auszuziehen. Verwirrt und etwas beschämt, ihren ehemaligen Klassenkameraden mit nacktem Oberkörper vor sich zu sehen, stahl Hermine sich vorsichtig aus dem Bett, um nach ihrem BH und dem Kleid zu greifen.
"Was glaubst du, wo du hingehst?", hielt die kalte Stimme von Draco sie zurück. Noch verwirrter als zuvor erwiderte sie: "Na ... ich dachte, du willst schlafen?"
"Und? Hab ich dir erlaubt zu gehen?"
"Soll ich etwa ... die Nacht über hier bleiben?", fragte Hermine, ohne in der Lage zu sein, ein ängstliches Zittern aus ihrer Stimme fernhalten zu können. Sie verstand nicht, wieso Draco plötzlich so tat, als hätte das Gespräch zuvor nicht stattgefunden, wieso er sie nun plötzlich doch in seinem Bett sehen wollte. Die kalte Maske, in die sich sein Gesicht verwandelt hatte, ließ Hermine zittern, doch sie wagte nicht, sich ihm zu widersetzen. Langsam kehrte sie in das große Bett zurück, zog die Decke bis unter ihr Kinn und beobachtete nervös, wie Draco, nur in Boxershorts bekleidet, zu ihr kam.
"Untersteh dich, heute Nacht wegzulaufen, Granger!", flüsterte er ihr ins Ohr, nachdem er mit einem letzten Schwenk seines Zauberstabes das Licht gelöscht hatte. Ohne ein weiteres Wort schlang er einen Arm um sie, zog sie mit ihrem Rücken an seine Brust und umschlang ihre Beine mit den seinen. Völlig erstarrt wartete Hermine darauf, dass er weiter gehen würde, dass seine Hände ihren Körper streicheln würden, doch nichts dergleichen geschah. Als sie nach minutenlangem Warten schließlich den tiefen, regelmäßigen Atem an ihrem Nacken spürte, fiel ihr ein Stein vom Herzen.
Wenn du einfach nur ein Kuscheltier brauchst, um dich nicht einsam zu fühlen, sag das doch, anstatt mir hier so Angst zu machen!, dachte Hermine empört, doch nachdem die Gefahr gebannt war, konnte sie tatsächlich ein wenig über Draco schmunzeln. Ihr war klar, dass er niemals zugeben würde, dass er sich so sehr nach Wärme und Zuneigung sehnte, dass er sogar mit ihr kuscheln wollen würde, stattdessen setzte er seine kalte Maske auf und gab den Bösewicht. Sie würde in Zukunft darauf achten müssen, seine Stimmung richtig zu lesen und aus seinen Gesichtsausdrücken zu erkennen, was er wirklich dachte. Vielleicht würde es ihr so gelingen, ihm näher zu kommen. Vielleicht würden sie so zu einem gemeinsamen Einverständnis kommen und sich möglicherweise sogar gegenseitig ein wenig Trost spenden.
Zufrieden, das erste Mal, seit sie im Anwesen der Malfoys war, vollkommen unbehelligt, ja sogar beschützt die Nacht verbringen zu können, schloss Hermine schließlich auch die Augen und übergab sich der erholsamen Schwärze des Schlafes.
oOoOoOo
Wie so oft in letzter Zeit war Lucius Malfoy auch an diesem Morgen früher als gewollt aufgewacht. Der Schlaf schien ihn zu meiden und manchmal fragte er sich, ob es nicht doch besser wäre, Narzissa zurück ins Ehebett zu holen, und sei es nur, um sich nicht so einsam zu fühlen. Doch er wusste, dass dieser Gedanke lächerlich war - der gestrige Abend im Theater hatte ihm gezeigt, wie weit er sich von seiner Frau inzwischen entfernt hatte. Während sie stolz herumgegangen war und mit all jenen Menschen gesprochen hatte, die in irgendeiner Weise von Bedeutung sein könnten, hatte er einfach nur in der Familienloge gesessen und das widersinnige Treiben beobachtet. Schon früher hatte er sich innerlich über seine Kollegen lustig gemacht, die mit so großer Ernsthaftigkeit diesem gesellschaftlichen Ereignis beiwohnten, aber damals hatte er das Spiel dennoch mitgespielt. Damals war er selbst einer der wichtigen Zauberer gewesen, damals waren die anderen zu ihm gekommen. Heute hätte er es wie seine Frau machen müssen: Die eigene Loge verlassen, um zu den wichtigen Persönlichkeiten zu gehen. Doch erstens hatte sein Stolz das nicht zugelassen und zweitens hätte es eh nichts gegeben, was er diesen Menschen zu sagen hätte.
Seufzend dachte er an den Sex mit Hermine zurück. Wenn sie jede Nacht sein Bett teilen würde, könnte er sicher besser schlafen. Er konnte nicht mehr leugnen, dass er sich zu dieser jungen, brünetten Frau mit den wilden Locken hingezogen fühlte. Den Sex hatte er eher aus Verzweiflung heraus gesucht, weil er die Einsamkeit einfach nicht mehr aushalten konnte, doch zu seiner großen Überraschung hatte sie ihm geholfen, für einige Minuten alles zu vergessen. Er wünschte, sie würde es ebenso genießen können wie er, dann könnten sie zusammen aufregenden Sex haben und sich damit gegenseitig aus dieser Einsamkeit, von der Hermine offensichtlich auch geplagt war, reißen. Doch er wollte sein Glück nicht überstrapazieren - wenn er zu schnell zu aufdringlich würde, wäre selbst das, was sie gestern hatten, nicht mehr möglich.
Da inzwischen an Schlaf eh nicht mehr zu denken war, beschloss Lucius Malfoy, einfach die frühe Stunde zu nutzen, um ungestört im Speisesaal einen ersten Kaffee zu sich zu nehmen. Sorgsam zog er sich an, kämmte sein langes Haar und band es zu seinem gewohnten Pferdeschwanz zusammen. Ein Blick nach draußen zeigte ihm, dass es gerade erst anfing zu dämmern - der Herbst war inzwischen weit voran geschritten und vor sieben Uhr konnte man morgens nicht mehr mit den ersten Sonnenstrahlen rechnen.
Ein leises Klicken vom anderen Ende des Ganges ließ Lucius aufhorchen, als er gerade seine eigene Tür hinter sich schloss. Überrascht drehte er sich um - sollte sein Sohn etwa auch schon auf sein? - und erstarrte. Für einen kurzen Moment meinte er, seinen eigenen Augen nicht trauen zu können: Hermine Granger, die Frau, um die seine Gedanken gerade noch so intensiv gekreist waren, trat aus dem Zimmer seines Sohnes. Und nicht nur das, sie blieb freiwillig stehen, drehte sich nochmal um und wechselte einige offensichtlich freundliche Worte mit ihm. Hatte sie etwa die Nacht mit ihm verbracht - und genossen? Waren die Angst, die sie vor ihm hatte, und der Hass, mit dem er sie anschaute, nur gespielt gewesen? Und warum konnte sie ohne Probleme mit seinem Sohn schlafen, nicht aber mit ihm?
Verärgert wartete er, bis Draco die Tür geschlossen hatte und Hermine gezwungen war, sich zu ihm umzudrehen. Es wunderte ihn nicht, dass sie bei seinem Anblick schneeweiß wurde, doch der ertappte und schuldbewusste Ausdruck auf ihrem Gesicht bewies ihm, dass sein Verdacht zuvor richtig gewesen war. Mit erhobener Augenbraue schaute er auf sie hinab, während Hermine mit unsicheren Schritten auf ihn zuging. Es kostete Lucius Malfoy all seine Selbstbeherrschung, sie nicht einfach zu packen, in sein Zimmer zu zerren und auf sein Bett zu schmeißen, um endlich doch gewaltsam all die Dinge mit ihr anzustellen, die er in sich in seinen Träumen ausgemalt hatte. In seine Wut mischte sich zusätzlich das Gefühl, von ihr um den Finger gewickelt und hintergangen worden zu sein - er hatte sich ihr geöffnet, sich verletzlich gezeigt und im nächsten Augenblick warf sie sich seinem Sohn an den Hals. Er schämte sich, sie jemals als vertrauenswürdige Person, als jemand, der ihm Intimität schenken könnte, gesehen zu haben.
"Mr. Malfoy", holte ihn schließlich die Stimme von Hermine wieder auf den Boden der Realität zurück, "Euer Sohn hat nicht mit mir geschlafen. Es wäre das letzte, was ihm einfiele, zumindest mit mir. Bitte versteht ihn nicht falsch."
"Glaubst du wirklich, du bist in einer Position, ihn zu verteidigen?", fuhr Lucius sie heftiger an, als er es gewollt hatte. Er wollte sich und ihr nicht eingestehen, wie hart er von ihrem Betrug getroffen war, doch trotz seiner jahrelangen Erfahrung als Todesser bekam er seine Emotionen gerade nicht vollständig in den Griff: "Was mein Sohn mit einer Sklavin anstellt, ist mir vollkommen egal. Nur darum ist es euch überhaupt erlaubt, noch zu leben - als Befriedigung unserer Lust. Sein Handeln stellt kein Problem dar."
Die Verwirrung, die plötzlich neben der Angst im Gesicht von Hermine zu sehen war, überraschte den Hausherrn. Verstand sie wirklich nicht, woher seine Wut kam? Genervt von der Situation, die ihn mit einem Mal überforderte, drehte er sich um und befahl Hermine mit harschen Worten, ihm ins Speisezimmer zu folgen, damit er endlich seinen Kaffee bekommen konnte. Auf dem Weg nach unten versuchte er, das Geschehene aus der Sicht von Hermine zu analysieren. Konnte es sein, dass sie sich nicht bewusst war, dass er sich durch sie verraten fühlte? Bedeutete ihr etwa das, was am Vortag zwischen ihnen vorgefallen war, gar nichts, sondern stellte nur eine weitere unangenehme Pflicht unter all den anderen dar, die sie als Sklavin auszuführen hatte? War es eine Illusion gewesen anzunehmen, dass sie den Sex selbst gewollt hatte? Die Nähe, die er zu ihr gespürt hatte - und nicht nur die körperliche - war das alles nur Einbildung gewesen? Dieser Gedanke ließ ihn einsehen, dass sie ihn offensichtlich nicht absichtlich betrogen hatte, sondern es einfach nicht besser wusste, weil sie seine Gefühle nicht erwiderte.
Und diese Einsicht verwandelte die heiße Flamme des Zorns, den er gerade noch verspürt hatte, in ein Gefühl eiskalter Wut, die seinen ganzen Geist zu lähmen schien.