Starr blickte Snape von seinem Platz am Lehrertisch auf die kleine Schar von Schülern, die sich wie gewohnt in der Großen Halle zum Frühstück eingefunden hatte. Wenig hatte sich geändert, nachdem der Dunkle Lord die Kontrolle übernommen hatte, und doch so viel. Die geringe Anzahl an Schülern, die überhaupt noch nach den Ferien in Hogwarts aufgetaucht waren, war der beste Beweis dafür, dass es in der Tat nur noch wenige reinblütige Magier gab. Und noch weniger, die die Ziele der Todesser unterstützten. Er selbst war überrascht gewesen, wie stark Voldemort doch an Symbolen und Traditionen hing, denn entgegen der allgemeinen Erwartung hatte er nichts an dem Häusersystem in Hogwarts verändert. Es war eine Seite am Dunklen Lord, die nur wenige Menschen kannten: sein Faible für Gegenstände und Bräuche, die symbolisch stark aufgeladen waren.
Das Wochenende wirkte immer noch nach in ihm, so viel hatte sich getan, so viel verändert. Es war höchste Zeit gewesen, immerhin verblieben nur noch wenige Wochen bis Weihnachten. Nur noch wenige Wochen, bis Lord Voldemort nach England zurückkehren und anlässlich seiner Erfolge in Russland ein Fest im malfoy'schen Anwesen zu geben gedachte. Natürlich wussten weder Lucius noch Narzissa Malfoy bisher von dieser Ehre, aber er selbst war schon lange genug eingeweiht. Und seit er davon erfahren hatte, war ein Plan in ihm gereift. Nach dem vergangenen Wochenende schien er sogar erstmals entfernt umsetzbar.
Müde ließ er den Blick auf seinen Teller sinken. Müdigkeit war sein Fluch. Seit Jahren schon hatte er das Gefühl, nur noch bleierne Müdigkeit zu kennen. Alles erschien sinnlos in diesem Zustand, insbesondere sein eigenes Leben. Am Sonntag, als ihn Hermine Granger vorsichtig angelächelt hatte, hatte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wach gefühlt. Er hatte sich selbst an einem Lächeln versucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und er war belohnt worden. Doch kaum war er in seine Wohnung zurückgekehrt, kaum war Ginevra Weasley vor ihm aufgetaucht, war die Müdigkeit zurückgekehrt. Ihre Anschuldigungen, ihre Abneigung, ihr Unverständnis. Sie war ein Spiegelbild all dessen, was ihm sein Leben lang wiederfahren war, und es machte ihn müde.
Er hatte Dumbledore gesagt, dass er zu viel verlangte, er hatte es so gemeint. Und obwohl er die eigentlich viel zu hohen Erwartungen erfüllt hatte, war es doch nicht genug gewesen. Diese eine Sache würde er noch machen, dann war genug. Diese eine Sache noch, dann würde er sich schlafen legen. Für eine lange, lange Zeit.
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"Warum?", verlangte Narzissa aufgebracht zu erfahren. Wütend stand sie im Arbeitszimmer ihres Ehemannes, die Hände in die Hüften gestemmt, der Blick verletzt und zornig zugleich. Lucius schien unberührt davon.
"Du hast dich zuerst dazu entschieden, nicht mehr das Bett mit mir zu teilen, sondern in einem der Gästezimmer zu schlafen. Dann verschwindest du über das Wochenende und schickst Severus her, um mir nachzuspionieren und dann glaubst du, alles ist wieder gut, nur weil du dich entschuldigt hast?", gab der Herr des Hauses ruhig, aber angespannt zurück. Er hatte vorausgesehen, dass Narzissa ihm am Morgen eine Szene machen würde, nachdem er sie am vorigen Abend sehr spät aus dem ehelichen Schlafzimmer gescheucht hatte. Trotzdem fragte er sich, ob sie ihr eigenes Handeln nicht selbst lächerlich fand.
"Du hast mir keine andere Wahl gelassen!", entgegnete Narzissa wütend, "Du warst es doch, der mit dem Schlammblut rumgemacht hat. Weißt du, wie schwer es für eine liebende Ehefrau ist, zu ertragen, dass ihr Mann sie nicht mehr attraktiv findet?"
"Das hat dich doch all die Jahre zuvor auch nicht gestört, meine Liebe", schmetterte er den Einwand ab, "wir wissen beide, dass du von meinen Affären wusstest und nichts gesagt hast."
"Was hätte ich denn sagen sollen?", fragte die blonde Frau verzweifelt und inzwischen den Tränen der Wut und Verzweiflung nahe, "Ich weiß doch, dass du auf Eifersucht allergisch reagierst. Je mehr ich versucht hätte, dich an mich zu binden, umso mehr wärst du davon gelaufen! Ich hatte gar keine andere Wahl als es zu akzeptieren!"
"Achso, und deswegen schickst du einen Anstandswauwau her und lässt dem Dunklen Lord über deine Schwester mitteilen, ich sei ein Blutsverräter? Das bringt mich natürlich gar nicht zum Davonlaufen", erwiderte Lucius sarkastisch. Dass ihr eigenes Verhalten in ihrem Kopf tatsächlich Sinn ergab, war ihm unbegreiflich. Dass sie die ganze Familie gefährdete, machte ihn wütend: "Verstehst du eigentlich, dass du uns alle in Schwierigkeiten bringst? Was, meinst du, wird der Lord mit dir machen, wenn er den Blödsinn wirklich glauben sollte? Oder mit Draco? Hast du bei deinen egoistischen Taten jemals an Draco gedacht? An unseren Sohn?"
"Natürlich habe ich das!", schrie Narzissa, "Was meinst du, warum ich so weit gehe? Ich will verhindern, dass du uns alle ins Verderben stürzt! Ich versuche nur, meine Familie zu beschützen."
"Merkwürdige Art, das zu zeigen", sinnierte er, "aber lassen wir das. Ich akzeptiere deine Entschuldigung von gestern Abend. Aber das heißt nicht, dass ich dir sofort verzeihen kann. Du hast unser aller Leben gefährdet und mich verdächtigt, einem Schlammblut romantische Gefühle entgegen zu bringen. Du kannst nicht erwarten, dass ich das einfach so vergesse. Bis ich dir verziehen habe, wirst du nicht in unserem Bett schlafen, verstanden?"
"Lucius ...", flüsterte Narzissa verzweifelt, doch sofort legte dieser einen Finger an ihre Lippen: "Du bist immer noch wunderschön, meine Liebe, und ich danke dir für unseren Sohn. Aber mit dem, was du getan hast, hast du vorläufig das letzte bisschen Respekt und Vertrauen, das ich für dich empfand, zerstört. Ich habe das Gefühl, dass die Frau, der ich einst den Hof gemacht habe, nicht mehr existiert. Und nun geh, bitte."
Geschlagen ließ Narzissa den Kopf hängen, wandte sich um und verließ den Raum. Sie hatte den Respekt ihres Ehemannes verloren, das einzige, was sie noch verbunden hatte. Sie hatte schon bei ihrer Hochzeit gewusst, dass Lucius ihr keine echte Liebe entgegen brachte, aber Respekt, Freundlichkeit und Vertrauen hatten ihr gereicht. Die Zärtlichkeit, mit der er sie nach der Geburt von Draco bedacht hatte, hatte ihr Herz gewärmt und ihre eigene Liebe für ihn nur verstärkt. Doch jetzt war nichts mehr davon übrig. Dass sie sich mit ihrem anvertrauten Ehemann über ein wertloses Schlammblut, eine Sklavin, die nicht mehr als ein menschlicher Hauself war, stritt, war unverzeihlich. Alles ging den Bach runter, seit Hermine Granger ihren Fuß in dieses Haus gesetzt hatte.
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Nachdenklich wanderte Draco den langen Gang mit der Ahnengalerie entlang. Das Gespräch zwischen seinen Eltern, das er am Vormittag zufällig belauscht hatte, hatte altbekannte Angst wieder in ihm aufleben lassen. Sein Vater war ein Narr, der offensichtlich selbst nach dem Besuch von Snape nicht verstand, was auf dem Spiel stand und wie viel er mit seinem Verhalten riskierte. Im Gegensatz zu seiner Mutter und dem, was Granger beteuerte, war er sich sicher, dass da mehr als nur erzwungener Sex zwischen den beiden war. Wie es aussah, hatte Snape ihr erzählt, dass er kein unnormales Verhältnis hatte bemerken können, doch Draco war sich sicher, dass sein ehemaliger Lehrer in diesem Punkt gelogen hatte. Es war unmöglich, dass er nichts bemerkt hatte.
Es bereitete ihm große Sorgen, dass sein Vater die Entschuldigung seiner Mutter nicht angenommen hatte. Sie würde sich ihm nicht widersetzen können, immerhin war er der Herr im Haus, aber Draco hatte einen Verdacht, an wem sie ihre Wut darüber stattdessen auslassen würde. Und das war der Grund, warum er mit bedächtigen Schritten den Weg zur Bibliothek eingeschlagen hatte.
Er hielt sich nicht damit auf, an der großen Flügeltür zu klopfen, um sein Kommen anzukündigen, sondern trat einfach ein und schritt auf die brünette junge Frau zu.
"Malfoy. Was tust du hier?", wurde er begrüßt. Er war sich sicher, einen kurzen Moment überraschte Enttäuschung auf ihrem Gesicht gesehen zu haben, doch sofort war stattdessen ein freundliches Lächeln erschienen. Da war auf jeden Fall irgendetwas zwischen seinem Vater und Granger.
"Darf ich nicht einfach so meine Lieblingssklavin besuchen?", fragte er spielerisch, wofür er einen vernichtenden Blick erntete: "Sehr lustig. Ich sterbe vor Lachen. Haha."
"Mein Vater kommt doch auch regelmäßig her - beschwerst du dich bei ihm auch darüber?"
Genervt beobachtete er, wie eine leichte Röte auf den Wangen der jungen Frau vor ihm erschien, ehe sie harsch zurückgab: "Dein Vater hat hiermit gar nichts zu tun."
"Oh doch, und ob!", erwiderte er, während er sich auf den Schreibtisch setzte: "Ich bin nämlich seinetwegen hier. Wusstest du, dass Mutter ihm vergeben wollte? Ich glaube, Snape hat ihr weiß machen können, dass er sich nicht für dich interessiert. Und anstatt die Gelegenheit wahrzunehmen, hat er sie von der Bettkante gestoßen. Meinst du, das hat ihr gefallen?"
"Das hat er getan?", hauchte Hermine und ihr Gesicht wurde noch eine Spur dunkler, während sie auf ihre Hände blickte. Misstrauisch packte Draco ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen: "Ist zwischen euch noch etwas passiert?"
Er konnte an ihrer panischen Reaktion sehen, dass er Recht hatte, doch sie schüttelte nur energisch den Kopf. Wut stieg in ihm auf: "Ist das für dich alles ein Spiel? Siehst du nicht, dass ihr auch andere gefährdet mit dem, was ihr macht? Mich zum Beispiel?"
"Draco", flüsterte sie, offensichtlich um Kontrolle über sich selbst bemüht, "glaube bitte nicht, dass zwischen mir und deinem Vater mehr ist als es sich für Herr und Sklavin gehört. Ich kann nicht leugnen, dass dein Vater mir ... meinem Körper sehr ... zugetan ist. Aber wenn du denkst, dass da mehr ist, Gefühle oder so, dann stimmt das einfach nicht."
"Du machst es schwer, etwas anderes zu glauben!", erwiderte Draco barsch, doch er ließ sie los und nickte langsam: "Ich kann nur darauf vertrauen, dass du weißt, was du tust. Und dass du nicht vergisst, dass alles, was mit meinem Vater zu tun hat, auch mich betrifft."
Auch Hermine nickte und dann, als sei ihr plötzlich eine Eingebung gekommen, sprang sie erregt vom Stuhl auf: "Draco! Ich hätte das beinahe vergessen!"
Zu seiner Überraschung rückte sie nah an ihn heran, so nahe, dass er ihre weiche Brust an seiner spüren konnte, ihre Beine sich zwischen seine zwängten und ihr warmer Atem seinen Hals kitzelte. Verwirrt beugte er sich runter, als sie eine Hand in seinem Haar vergrub und seinen Kopf zu sich zog.
"Ich habe gute Neuigkeiten", flüsterte sie ihm beinahe unhörbar ins Ohr, "ich kann dir keine Details geben, aber ich kann dir versichern, dass es Hoffnung gibt. Dass die Chancen besser denn je stehen, dass Du-weißt-schon-wer bald nicht mehr ist."
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Was erzählte sie da? Wo sollte plötzlich Hoffnung herkommen. Und viel wichtiger: "Warum flüsterst du?"
"Weil du nie weißt, wann jemand zuhört, du Depp!", gab Hermine belehrend zurück, "Schon die Unterhaltung zwischen uns in deinem Zimmer war fahrlässig, da brauchen wir nicht riskieren, dass jetzt zufällig jemand lauscht."
Draco spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Was, wenn wirklich jemand das, was er erzählt hatte, mitgehört hatte? Die Malfoys waren bei den Todessern trotz allem immer noch nicht sehr beliebt, zu groß war der Schaden, den sein Vater angerichtet hatte. Und selbst wenn es nur sein Vater gewesen war, der zugehört hatte, das war schon schlimm genug.
"Lass dich nicht von der Angst beherrschen, Draco", erklang da die feste Stimme von Hermine, "das lähmt dich nur. Vertrau mir einfach. Ich kann nichts versprechen, aber ich versichere dir, ich habe realistische Möglichkeiten in der Zukunft."
Schwer atmend, darum bemüht, die Panik nicht Oberhand gewinnen zu lassen, blickte er Hermine direkt in die Augen. Er konnte sehen, dass sie es ernst meinte, dass hinter ihren Worten tatsächlich Überzeugung stand - und Sorge um ihn. Mit einem frustrierten Seufzen schlang er seine Arme um den zierlichen Körper und zog sie in eine feste Umarmung.
"Ich hätte niemals gedacht, dass ich das je sagen würde", murmelte er so leise, dass sie es beinahe nicht gehört hätte, "aber ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich tun würde, Granger."
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Müde ließ Hermine sich auf ihre Matratze fallen. Obwohl der Tag die übliche Routine dargestellt hatte, fühlte sie sich gerädert und erschöpft. Ihr Blick wanderte durch den kargen Raum, ohne wirklich etwas wahrzunehmen – bis ihr ein Gegenstand auffiel, der definitiv nicht zu der spärlichen Einrichtung gehörte. Rasch setzte sie sich auf, griff nach der kleinen Flasche und roch vorsichtig an ihrem Inhalt.
Ein Verhütungtrank. Errötend erinnerte sie sich an den vorigen Abend und stellte entsetzt fest, dass sie zu keinem Zeitpunkt an Verhütung gedacht hatte. Mit einem tiefen Schluck stürzte sie die klare, aber übelschmeckende Flüssigkeit runter, ehe sie sich dazu zwang, nicht weiter über ihr Erlebnis mit Malfoy nachzudenken.
Sie war froh gewesen, dass sie mit Draco alleine hatte sein können und ihm entsprechend schnell von den neuen Möglichkeiten, die sich danke Snape aufgetan hatten, hatte erzählen können. Doch seine Reaktion war nicht so ausgefallen, wie sie es erwartet hatte. Freudige Neugier, vorgespieltes Desinteresse, damit hätte sie leben können. Doch dass er ihr erneut zeigen würde, wie hilflos er sich fühlte und wie sehr er darauf angewiesen war, dass ein anderer Mensch sein Leben wieder in Ordnung brachte, das hatte sie überrascht. Sie wusste, er war kein Held wie Harry und wollte es auch nicht sein, aber dass sie, die Sklavin, für ihn die Rolle des rettenden Felsen in der Brandung spielen musste, war schon kurios.
In dieser Hinsicht glich er seinem Vater, der sie ebenfalls benutzte, um Halt in der düsteren Gegenwart zu finden. Seufzend fragte Hermine sich, ob es noch mehr Todesser wie Lucius Malfoy gab, die unter der Herrschaft von Lord Voldemort litten, nicht, weil sie seinen Zielen widersprachen, sondern vielmehr, weil sie ihre freien Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sahen.
Mit geschlossenen Augen sank Hermine langsam auf ihre Matratze zurück, während die Müdigkeit vollends von ihr Besitz ergriff. Nicht nur der lange Tag und die harte körperliche Arbeit in der Küche machten sie müde, nein, sie fühlte sich viel mehr geistig ausgelaugt. So viel Kraft sie durch die Eröffnung von Snape auch gewonnen hatte, die Tatsache, dass die beiden Männer in diesem Haus sie als Energiequelle nutzten, und dass sie nur zu deutlich spürte, wie viel wieder einmal von ihr abhing, erschöpfte sie maßlos.
Zu lange schon kämpfte sie gegen einen schier übermächtigen Gegner, zu lange schon hatte sie das Gefühl, dass so viel von ihr abhing. Sie brauchte Ferien. Sie brauchte Schlaf.