Viele Leser meiner Abhandlungen, Aufzeichnungen und Betrachtungen, besonders jene, die nicht aus den Emblischon sind, wundern sich des Öfteren über meinen seltsamen Titel. Diesem Umstand verdankt nachfolgende Abhandlung ihre Daseinsberechtigung. Die Erklärungen sollten auch allen außerhalb der Emblischon Gesellschaft mindestens einen guten Überblick über die Thematiken Emblischoner Titelei und Frondienstordnung verschaffen und sind daher mehr als ausreichend. Wem jedoch nach tiefergehenden Studien verlangt, darf sich meinen Unterband 4.53 über die Emblischon Gesellschaft zu Gemüte führen.
Kemlin Vierfron-Chronist Haus Lo Rasor, oder lang ausgesprochen Kemlin, der Viergenerationen-Frondienst-Chronist aus dem Hause Lo Rasor, des edlen Lord Obeloron von Ith, dem Dritten.
Wie mein Titel bereits verrät, bin ich jemand, der einen Frondienst ableistet. Dieser Frondienst ist meiner Familie männlicherseits seit bereits Vier Generationen auferlegt worden. So bin ich also der Vierte und letzte Frondiener des Hauses Ith. Eigentlich bin ich sogar der letzte Frondiener überhaupt. Sozusagen ein Auslaufmodell. Denn die mittlerweile berühmt gewordene Konstellationsverordnung Sieben / 7 – Blau, besagt, dass alle Frondienste, jedweder Art in der Emblischon Gesellschaft obsolet geworden sind. Stattdessen gliederte man Emblischonisches Aristokratenrecht unter das entsprechende Konstellationsrecht Angeloider Rassen ein. Wie allgemein bekannt ist, schafft es die Bürokratie der Konstellation irgendwann trotz ihrer Trägheit sogar die traditionsreichsten Völker, die aufmüpfigsten Exemplare und skurrilsten Rassen in sich zu vereinen und mit sich selbst zu harmonisieren.
Ich selber bin stolz und froh mit meinem Titel und Lebenswerk eine echte Tradition Emblischoner Aristokratie aufrechtzuerhalten. Deshalb habe ich immer und werde es auch weiterhin ablehnen, von meinem Frondienst befreit zu werden.
Der Grund, warum meiner Familie dieser Dienst auferlegt wurde, ist leider kein rühmlicher, wie man sich denken kann. Mein Uropa Kaplon Dy Rasor versündigte sich seinerzeit erheblich gegen das damalige Oberhaupt der Ith Aristokratie, Lord Gebben Dahl von Ith, dem Zweiten. Seine Tat bestand darin, dass er der ältesten Tochter Ulinge im Beischlaf beiwohnte. Dies führte zu einer unehelichen Schwangerschaft, die Lord Dahl von Ith natürlich ahnden musste. Das Kind, es war ein Sohn, wurde unter einem Dekret des Bewahrens in die Obhut eines anderen Aristokratenhauses gegeben. Über sein Schicksal ist mir leider nichts bekannt. Der Frondienst sollte in vier Generationen abgeleistet werden. Kaplon Dy selbst zählte als erste Generation. Sein Dienst unterschied sich von meinem erheblich. Er litt unter schwerer Arbeit im Küchendienst und wurde zum Ende seines Lebens sogar auf die herrlichen Höfe verbannt. Dem Ackerland es Hauses Ith. Er starb an einem Hitzschlag und brach einfach auf dem Acker zusammen. Das Schicksal seines Sohnes Efraym Mo, also meines Großvaters ist größtenteils undurchsichtig. Mir ist lediglich bekannt, dass er wieder ins heimische Anwesen zurückgeholt wurde. Sein Dienst bestand wohl darin, die Kleider des Hauses Ith herzustellen und zu pflegen. Dabei lernte er meine Großmutter Dadia kennen. Über sie habe ich tatsächlich eine Kindheitserinnerung. Ihre gütigen Augen sehe ich noch vor mir. Sie gebar meinen Vater Tornin Ko. Dieser heiratete meine Mutter Savali. Beide durften im Refugium der Waisen arbeiten. Einem der vielen Auffanghäusern, die das Haus Ith unterhält. Meine Eltern erzogen mich zusammen mit meinen drei Schwestern genauso liebevoll, aber auch streng, wie die anderen hundert Kinder im Waisenhaus. Somit wuchs ich unter hundert Kindern auf, die alle Mama und Papa zu meinen Eltern sagen durften. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, die mich Demut und Genügsamkeit gelehrt hat. All die Jahre meines langen Lebens hielt ich den Kontakt zu meinen hundert Geschwistern so gut aufrecht, wie es eben ging in meiner Stellung.
Nun zu meinem Schicksal. Mit jungen 20 Jahren oblag es mir bereits die vierte und letzte Generation des Frondienstes anzutreten, da mein lieber Papa von der Welt verschied. Der damalige Lord Tristram von Ith, dem Ersten, erfuhr von meinen intellektuellen Fähigkeiten und berief mich in seinen Beraterstab. Welch eine Ehre das damals für mich war. Ich fing als einfacher Schreiber des Hauskanzlers an. Man erkannte dann, dass ich außerdem gut beobachten konnte. Sodann erlaubte man mir, bei den spannenden Hausdebatten auf den Aristokratenkongressen teilzunehmen und meine Beobachtungen und Betrachtungen für das Haus Ith niederzuschreiben. Das waren meine 24 politischen Bände, meine Erstlingswerke. Mittlerweile gehören sie bei allen 38 Aristokratenhäusern zu Standardwerken. In der politischen Bildung des Aristokratennachwuchses wird gerne daraus zitiert.
Mit 130 Jahren wurde meinem Forschungsdrang nachgegeben. Ich durfte die Kanzler des Hauses Ith auf ihre Reisen innerhalb der Kosmischen Konstellation begleiten. Später durfte ich ganze Abordnungen mehrerer Lords auf ihre Forschungsreisen begleiten. Und zuletzt durfte ich mich unter dem edlen Lord Obeloron sogar selbst aussuchen, welche Weltensphären ich als nächstes untersuchen wollte. Das war eine nie gekannte Freiheit für mich. Seit vier Generationen bin ich der erste männliche Nachfahre, der Emblisch überhaupt verlassen durfte.
Zu meinem 200. Geburtstag gratulierten mir alle 38 Lords persönlich. Unter dem Namen Vierfron-Chronist wurde ich durch meine Schriften über alle Grenzen hinweg bekannt. Hätte mir das jemand gesagt, an dem Tag, als ich meinen Frondienst antrat, hätte ich laut gelacht.
An meiner Seite durfte ich über 225 Jahre meine teure Pilea wissen, meine geliebte Frau und Mutter meiner 13 Kinder. Sie ist bereits vorausgegangen in die Ewigkeit. Dort werde ich sie einst wiedersehen. Ihr Glaube war stets stark und ihre Liebe zu ihrer Familie immer unerschütterlich. Unsere Kinder, ich selbst und viele Bekannte standen bei ihr immer an erster Stelle. Sie ist die wahre Heldin in meinem Leben, aber über mich Bücherschreiber, schreiben andere wiederum Bücher.
Durch meine Forschungsreisen und Schreibklausuren war ich oft monatelang, wenn nicht gar jahrelang von zu Hause getrennt. Eine Mischung aus moderner Kommunikationstechnik und altmodischen Briefen halfen ihr und mir trotzdem einander nahe zu sein. Immer hatte sie Verständnis für mich und meine Aufgaben. Alle meine Kinder sind wohlerzogen und haben ihren Platz in der Emblischon Gesellschaft bereits gefunden. Fragt man sie nach ihrer Mutter, werden sie mit Tränen in den Augen in höchsten Tönen von ihr sprechen.
Da mein Frondienst mit meinem Dahinscheiden endet, dürfen meine Kinder nun offiziell wieder den Hausnamen Rasor tragen. Der edle Lord Obeloron gab mir seinerzeit zwar schon das Recht meinen Familiennamen wieder tragen zu dürfen. Aber hierbei handelt es sich um eine gnädige Ausnahmegenehmigung eines Aristokraten, die mir jederzeit durch einen anderen Aristokraten wieder genommen werden könnte.
Ich durfte ein glückliches, abenteuerliches, akademisches und erfüllendes Leben führen und bin Gott unendlich dankbar dafür.