Die Menge im Stadion tobte, als einer der Hockeyaner kurz vor dem gegnerischen Tor scharf abdrehte und den Puck mit unglaublicher Präzision in Richtung der Maschen schleuderte.
Der Torwart hechtete auf die kleine, schwarze Scheibe – aber zu langsam.
Wie in Zeitlupe sah Magnus den Puck unter dem Arm des Keepers hindurchsegeln.
Noch ehe der Schiedsrichter pfeifen konnte, waren die Zuschauer bereits in ohrenbetäubendes Gebrüll ausgebrochen. Der Schuss war das 2 – 1 gewesen. Und das nur wenige Minuten vor dem Ende des Spieles.
Magnus’ Blick glitt zu Tim hinüber, der so leicht und schwerelos wie ein Fisch im Wasser übers Eis zu gleiten schien.
Als schliesslich abgepfiffen wurde, stand das ganze Stadion. Die beiden Teams hatten sich einen unglaublich spannenden Kampf geliefert und die Fans gut unterhalten.
Gemächlich schlenderte Magnus in Richtung der Umkleidekabinen, die Hände tief in den Taschen vergraben.
Als der junge Mann dort ankamen, zogen sich ersten Spieler bereits in ihre Aufenthaltsräume zurück. Magnus postierte sich einige Meter daneben und wartete.
Als Tim schliesslich kam, waren beinahe alle anderen seines Teams bereits verschwunden.
„Typisch Tim“, dachte Magnus und musste schmunzeln.
Tims blonde Haare klebten ihm schweissnass am Kopf und seine Wangen waren gerötet.
„Magnus!“ Das Gesicht des Blonden, der bis geradeeben noch in eine Diskussion mit einem seiner Teamkameraden vertieft gewesen war, erhellte sich, als er seinen Freund sah.
Schnell stakste er zu ihm hinüber und drückte ihm einen Schmatzer auf den Mund.
Magnus stellte überrascht fest, dass Tim mit den Schlittschuhen fast gleich gross war wie er.
„Toll gespielt“, murmelte Magnus, den Mund am Hals seines Freundes. Und er meinte es wirklich so. Er hatte nicht oft Zeit, sich Tims Spiele anzusehen, aber hin und wieder zwang er sich dazu, hinzugehen, was ihm dann auch immer Freude bereitete.
„Danke.“ Der Jüngere strahlte.
Magnus lächelte sanft. „Na los. Geh dich schon umziehen. Sonst bist du morgen noch nicht fertig und ich darf dich dann direkt ins Bett bringen, weil du dir eine fette Erkältung eingefangen hast.“
Als die beiden wenig später Hand in Hand das Stadion verliessen, hatten sich dichte Wolken vor die Sonne geschoben und es wehte ein frischer Wind.
„Sieht irgendwie nach Schnee aus.“ Missmutig schlug Magnus die Kapuze hoch.
Tim lachte: „Na das will ich doch hoffen! Ich wünsche mir weisse Weihnachten und ausserdem hast du versprochen, mit mir auf die Piste zu gehen.“
Ein Grummeln war die Antwort.
Magnus hasste Schnee und Kälte, währendem Tim nicht genug davon bekommen konnte. Auch ansonsten hatten sie eigentlich nicht besonders viel gemeinsam. Magnus war ein stiller Typ während Tim die ganze Welt zum Freund hatte.
„Lass uns zuerst nach Hause gehen“, meinte der Ältere und bog nach rechts ab.
Gemeinsam schlenderte sie durch die belebten Strassen ihrer Heimatstadt. Heute, einen Tag vor Weihnachten schien irgendwie jeder auf den Beinen zu sein und die letzten Dinge für die anstehenden Festtage zu besorgen.
Die Geschäfte hatten überall leuchtende Reklame angebracht und jeder versuchte seinen Nebenan noch zu übertrumpfen.
„Irgendwie ist mir das alles viel zu viel.“ Tim schüttelte den Kopf und betrachtete skeptisch ein übergrosses Rentier aus LED-Lämpchen, das vor einer Drogerie platziert worden war.
„Es ist das Fest der Liebe und finde, man sollte sich lieber eine schöne Zeit mit seinen Liebsten machen, anstatt die ganze Zeit herumzurennen wie ein Wahnsinniger um dann einen Haufen Geschenke zu verschenken, die die meisten sowieso nie benutzen werden.“
Magnus lachte auf. „Ich mag Weihnachten so wie es ist. Klar, es herrscht ein Chaos, aber ich mag es, die Leute mit Haufen von Geschenken herumlaufen zu sehen und ich liebe die ganzen bunten Lichter die Weihnachtsmusik.“
Sein Freund verzog den Mund so dermassen, dass Magnus ihm lachend einen Kuss gab, bevor sie Hand in Hand weitergingen.
„Na, was zauberst du da denn Schönes?“ Tim war in frischen Sachen die Treppe heruntergekommen, die Haare mit einem Handtuch umwickelt und schaute Magnus neugierig über die Schulter. Seine Arme schlossen sich ganz selbstverständlich um die Taille seines Freunds.
Der Ältere hatte bis eben energisch einen dunkelbraunen Teig geknetet, aber jetzt hielt er inne, brach ein Stück ab und steckte es Tim in den Mund.
Dieser gab ein verzücktes Geräusch von sich und streckte seine Hand nach einem weiteren Bissen der süssen Masse aus, aber bevor seine Finger den Teig erreichten, schob Magnus ihn lachend beiseite.
„Nix da, du verfressenes Biest. Du kannst nachher haben, wenn die Kekse gebacken sind.“
„Ach menno.“ Tim zog einen Schmollmund, aber seine Augen glitzerten amüsiert.
„Jetzt komm schon. Spiel nicht den Beleidigten! Was für Förmchen willst du ausstecken? Rentiere? Oder Sterne? Das wäre doch schön, oder?“
„Rentiere? Wo bleibt denn da die Romantik? Ich will Herzen ausstechen“, meinte Tim und griff entschlossen nach dem Herzausstecher.
Sein Freund schmunzelte über die Dickköpfigkeit seines Freundes. Ab und zu dachte er wirklich, er hätte sich in ein Kleinkind verliebt.
„Na gut. Dann also Herzen“ Mit einem resignierten Seufzen begann er den Teig auszurollen.
Als die Kekse im Ofen waren, setzten sich Magnus und Tim auf die Couch. Sie hatten sich eine Kanne voll Minztee gemacht und der Ältere hatte die vierte Kerze am Adventskranz angezündet.
Draussen hatte es mittlerweile zu schneien begonnen und leichte weisse Fussel fielen vom Himmel.
„Wollen wir nachher auf den Weihnachtsmarkt gehen, wenn die Plätzchen aus dem Ofen sind?“, fragte Tim.
„Du willst auf den Weihnachtsmarkt? Ist es dir da nicht viel zu…“, Magnus wedelte theatralisch mit den Händen, „…zu bunt und zu viel Musik und zu viele Menschen?“
„Hahaha!“ Der Blonde stiess Magnus den Ellenbogen in die Rippen.
„Aua! Lass das.“
„Selbst schuld.“ Tim streckte seinem Freund die Zunge heraus. „Nein wirklich. Heute Abend hat es bestimmt nicht so viele Leute und ich will zumindest eine kleine Runde über den Weihnachtsmarkt drehen. Da gibt es Punsch und das bunte Karussell, das es schon gab, als wir noch ganz klein waren… bitte Magnus. Lass uns hingehen.“
Der hob abwehrend die Hände: „Ich habe nie gesagt, dass ich nicht auch auf den Weihnachtsmarkt gehen will.“
Für diesen Kommentar kassierte er einen heftigen Stoss, der ihn rücklings vom Sofa auf den Teppich fallen liess, wo er lachend liegen blieb. Sofort stürzte Tim hinterher und einen Moment später lagen sie in einem wilden Knäuel am Boden.
Magnus wickelte bedächtig eine von Tims goldfarbenen Haarsträhnen um seinen Finger und beugte sich langsam zu seinem Freund hinunter.
Der Jüngere roch nach Honig und Zimt. Und ein Kleinwenig nach Keksen.
Er neigte den Kopf um seinen Freund zu küssen, als ihm ein neuer Duft in die Nase stieg. Es roch nach Feuer und irgendwie gar nicht gut.
„Scheisse! Die Kekse!“ Tim fuhr so ruckartig hoch, dass er mit dem Kopf gegen Maguns’ stiess.
Schnell lösten sich die beiden aus ihrer Umarmung und rappelten sich hoch, währendem sich der verbrannte Geruch immer weiter ausbreitete.
Als Magnus die Kekse aus dem Ofen nahm, waren sie definitiv einige Nuancen zu dunkel.
„Meinst du die kann man noch essen?“ Tim betrachtete die schwarzen Gebäcke mit schiefgelegtem Kopf.
Der Ältere zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, aber ich denke, wenn man genügend Glasur drübermacht, sollte es gehen.“
Gesagt, getan. Die beiden Jungs machten genug Glasur, um damit eine ganze Armee von Keksen zu bestreichen und verwandelten die Küche dabei in ein Schlachtfeld.
Die kümmerliche Menge an Plätzchen, die nach ausgiebigen Stibitzen beim Ausstechen, dem Backdesaster und der Glasurschlacht noch intakt waren, drapierten sie auf einem Teller und stellten diesen auf den Wohnzimmertisch.
Ihnen selbst taten die Bäuche weh und die Lust auf Süsses war ihnen gründlich vergangen.
Mittlerweile war es draussen vollends dunkel geworden und die Strassenbeleuchtung angegangen.
Tim legte seine Arme um Magnus und drückte ihn fest an sich.
„Kommst du jetzt mit mir auf den Weihnachtsmarkt, Baby?“, wollte er wissen.
Ohne seinem Freund zu antworten drehte sich der Ältere um und schaute Tim einen Moment tief in die Augen, bevor er Tims Versuch, seine Frage zu wiederholen mit einem Kuss zunichtemachte.
Die sanfte Berührung wurde schnell zu mehr und bevor der Jüngere sich versah, spürte er kühle Hände auf seiner glühenden Haut. Gierig umfasste er Magnus’ Nacken mit beiden Händen und zog ihn näher zu sich heran.
In diesem Moment löste Magnus sich ruckartig von ihm und trat einen Schritt zurück.
„Hey! Was soll das? Willst du mich jetzt einfach so stehen lassen?“ Das Grinsen seines Freundes machte Tim wahnsinnig.
„Ich dachte, du wolltest auf den Weihnachtsmarkt gehen. Oder habe ich das vorhin falsch verstanden?“ Lachen nahm Magnus seine Jacke vom Haken und zog sich seine Mütze über. Der Blonde folgte ihm grummelnd.
Die Schneeflocken fielen sanft vom Himmel und ein göttlicher Duft zog über den Weihnachtsmarkt.
Magnus und Tim spazierten Hand in Hand an all den bunt geschmückten kleinen Buden und Ständen vorbei, begutachteten die Ware und tranken Glühwein.
Obwohl sie die ganze Zeit über schwiegen, war Tim glücklich. Er musste nichts sagen, damit Magnus ihn verstand und das tat gut.
Sie gingen vorbei an dem alten Karussell mit den bunten Holzpferden, auf dem sie schon als Kinder gespielt hatten.
„Wollen wir aufs Karussell gehen?“ Magnus lächelte zaghaft.
„Aufs Karussell?“
„Klar. Ich meine… wieso nicht?“
Tim zuckte mit den Schultern und gemeinsam lösten sie zwei Tickets.
Der Weihnachtsmarkt verschwamm zu einem Durcheinander aus bunten Farben und auch als das Karussell längst aufgehört hatte, sich zu drehen, drehte sich die Welt um Magnus und Tim weiter.
Lachend entfernten sich die beiden ein paar Schritte von der Menge und blieben schliesslich stehen.
„Das war wunderschön!“ Tim strahlte übers ganze Gesicht.
Magnus lächelte auf seinen Freund hinunter: „Ich weiss.“
Als der Schneefall wieder einsetzte hob der Ältere den Blick musste ein Lachen unterdrücken. Ab und zu war das Schicksal schon wunderbar.
„Was ist?“, fragte Tim verunsichert.
Magnus deutete nach oben.
„Ich liebe dich! Das ist los.“
Mit diesen Worten küsste er Tim.
So standen sie engumschlungen unter dem Mistelzweig, während um sie herum der Schnee vom Himmel fiel und das Karussell seine nächste Runde drehte.