Hallo Elliot!
Es freut mich, dass du so schnell antworten konntest, und daher tut es mir umso mehr leid, dass ich dir erst jetzt antworte. Allerdings möchte ich dir sagen, dass du dich selbst niemals stressen solltest, wenn du mal länger nicht antwortest. Ein Brief braucht seine Zeit.
Deine Berechnungen stimmen, ich bin achtundzwanzig. Allerdings hat es mich ein wenig gewundert, dass du den Kontakt mit meinen Eltern so bewunderst. Verstehst du dich mit deinen nicht so gut? Ich finde es immer schrecklich, von Geschichten zu hören, in denen Kinder oder Jugendliche keinen guten Bezug zu ihren Eltern haben oder Eltern ihre Kinder vernachlässigen. Ich hatte das Glück, so etwas nicht erfahren zu müssen.
Mir scheint, du hast ein recht chaotisches Leben, aber ist das denn auch etwas Schlimmes? Nun, ja, ich habe einen festen Job, den ich wahrscheinlich auch mein restliches Leben vollziehen werde. Aber ein Job heißt ja noch lange nicht, dass ich mein Leben voll im Griff habe. Eine „bunte Welt“, so wie du es beschreibst. Die Uni legt viel Wert auf Grünfläche, weshalb wir eine große Parkanlage haben, und auch ein riesiges Beet, wo Obst, Gemüse und Blumen angebaut werden. Da dürfen aber nur bestimmte Leute ran. Ich bin da einmal durchgelaufen, und es sieht wirklich schön aus. Wenn du willst, schicke ich dir demnächst mal ein Bild davon mit. Um aber auf deine Frage zurück zu kommen, ich habe mein Leben nicht voll im Griff. Um die Steuer zu machen, muss ich mich erst eine Woche mental darauf vorbereiten, und selbst dann überwinde ich mich nur für eine Stunde, manchmal mehr. Dafür engagiere ich einen Steuerberater, der mir auch oft in den Ohren hängt. Ich bin nicht sonderlich sportlich, auch wenn ich es gerne wollte, aber dann kommen da natürlich auch meine Vorlesungen dazwischen. Ich habe den Job als Dozent ziemlich unterschätzt, aber ich bekomme das schon hin. Ich bin Single und in meiner Wohnung meistens allein. Ich flüchte zu meinen Eltern auf das Land, damit ich mich weniger allein, und ein bisschen mehr Zuhause fühle. Ich habe auch nicht wirklich jemanden bei dem ich mich „ausheulen“ kann, so wie du es formulierst. Wie du, bin ich auch recht einsam. Meine Schüler und Kollegen überspielen dieses Gefühl von Einsamkeit. Elliot, niemandes Leben ist perfekt. Du scheinst dir ziemlich schnell Meinungen zu bilden, nicht wahr?
Was du mir über Green Day erzählt hast, hat mich sehr interessiert. Ich habe mir die Platte Nimrod im Internet angehört. Ich muss sagen, es ist nicht mein Stil, da weiche ich doch lieber auf das Radio aus, aber ich finde es schön, wie du dich für sie begeisterst. Warum mag ich keine Musik? Nun, ich bin eben nicht mit Musik aufgewachsen. Meine Eltern hörten nur Klassische Musik – und ich denke, es ist wirklich schöne Musik, keine Frage – aber mich hat es nie berührt. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie man sich der Musik komplett hingeben kann. Das ist jetzt nichts Schlimmes - es ist genauso, wie ich nicht nachvollziehen kann, dass ein Mann schwul ist. Auch habe ich die ganze Harmonielehre nie verstanden. Ich führe wohl einfach ein ruhiges Leben; ganz ohne Musik.
Es freut mich, zu hören, dass ich dich mehr oder weniger dazu animieren konnte, etwas zu unternehmen. Welches Instrument spielst du? Welchen Stil hat eure Band? Kann man euch irgendwo live sehen?
Du sparst Geld? Wieso gibst du es denn nicht für einen Auslandsbesuch aus? Worauf sparst du? Mir scheint, du blickst eher in die Zukunft, als das du in der Gegenwart lebst. Damit verpasst du viele Chancen. Wieso hast du dein Studium abgebrochen? Was fasziniert dich so an Psychologie, was wolltest du einmal werden?
Ich doziere Philosophie und Literatur. Ab und zu übersetze ich auch mal italienische Bücher, oder Ko-Korrektiere, bevor das Buch veröffentlicht wird. Das ist mein Alltag. Aufstehen, in der Post nach neuen Angeboten gucken, meine Tasse Kaffee trinken, E-Mails checken, Vorlesungen vorbereiten, meinen Schülern bei Aufgaben helfen und ihnen von der Schönheit der Philosophie und Literatur zu erzählen. Es ist schön, motivierte Schüler vor sich sitzen zu haben, wissbegierig. Nun, die meisten schlafen bei meinen Vorlesungen oder tauchen erst gar nicht auf, aber ich was selber Student, und ich kenne deren Alltag. Ein paar Schüler beteiligen sich jedoch am Unterricht, und sich mit ihnen zu unterhalten und ihre Fragen zu beantworten ist ein wunderbares Gefühl.
Wenn du deinen Alltag so trist und grau findest, dann sorge dafür, dass er es nicht ist. Achte auf die kleinen Dinge im Leben, schau auf deine Umgebung. Ich dachte auch lange Zeit, mein Alltag wäre trist und langweilig, bis ich darauf keine Lust mehr hatte und mir selbst zeigte, dass es nicht so sein muss. Denk mal darüber nach, Elliot. Wenn du das Gefühl hast, du hättest keine Freunde, dann triff dich mit ihnen und unterhalte dich. Es reicht auch schon eine Person, auf die du bauen kannst.
Alles Liebe Elliot, und pass auf dich auf,
Alex