Mondscheinserenade
Achtung, hier folgt ein möglicherweise völlig irrelevanter Text über die Serenade, auch Abendmusik genannt oder das abendliche Ständchen.
Wer sich überhaupt nicht für Musik interessiert, der kennt es womöglich nur aus Darstellungen in illustrierten Büchern oder auf Bildern. Dort sieht man in der Regel einen Mann mit Gitarre oder Laute, der ganz romantisch eine Dame umwirbt, indem er der Angebeteten ein oftmals selbst gedichtetes und selbst geschriebenes Lied vorträgt. Nicht gar so selten befindet sie sich in erhöhter Position am Fenster oder auf dem Balkon, so wie wir das auch von Romeo und Julia kennen, er steht mit verliebtem Blick und dem Instrument im Anschlag unten auf der Gasse oder im Gebüsch.
Leider gehöre ich nicht zu den Damen, die so etwas schon mal erlebt haben. Das ist ja auch irgendwie altmodisch und entspricht so gar nicht unseren Vorstellungen von einer modernen, gleichberechtigten Beziehung zwischen den Partnern. Wen wundert es da also? Im Grunde niemanden. Und doch, so gelegentlich bedaure ich es ein wenig, dass es diese Form der Werbung oder besser Umwerbung nicht mehr gibt.
Erst gestern saß ich in Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg", einer meiner absoluten Lieblingsopern, und wie es der Zufall will, gibt es darin eine Szene, in der einer der Meistersinger ein junges Mädchen umwerben möchte, indem er nachts unter ihr Fenster tritt, um ihr ein Ständchen zu bringen. Wer diese Oper kennt, der weiß, es ist zum Scheitern verurteilt, denn der Mann ist zu alt für das hübsche Ding und sie hat sich längst in den feschen jungen Ritter aus dem 1. Akt verliebt. Obendrein macht sich der Sänger komplett lächerlich, denn er singt und spielt weder schön, noch originell, aber dennoch hat diese Szene immer wieder etwas Berührendes. Der Mann hofft, mit dieser Aktion die Liebe oder doch zumindest die Zuneigung des Mädchens zu gewinnen. Er denkt überhaupt nicht darüber nach, wie peinlich das Ganze für ihn werden könnte.
Der Zuschauer weiß obendrein, dass an dem Fenster, unter dem er sich positioniert, nicht das Subjekt seiner Begehrlichkeiten sitzt, sondern eine Freundin, mit der sie wohlweißlich die Rollen getauscht hat, um mit ihrem Angebeteten zu fliehen. So wird der Ärmste denn zum Gespött von ganz Nürnberg. Dennoch möchte man ihm sagen: "Mach dir nichts draus. Du hast es versucht, dein Bestes gegeben." Er war mutig, er hat was riskiert und er war auch wirklich da, auf der Gasse, unter ihrem Balkon und nicht auf Facebook oder auf einer anonymen Dating Plattform.
Der zweite, nicht weniger berühmte Ständchen- Sänger in der Opernwelt ist wohl der berühmt berüchtigtste Frauenheld schlechthin: Der Titelheld in Mozarts "Don Giovanni". Gleich im ersten Akt wird er quasi beim Fensterln erwischt und sein Diener prahlt bei passender Gelegenheit mit den Zahlen der weiblichen Eroberungen, über die er peinlich genau buchführt. In der Registerarie des Dieners ist die Rede von mehr als tausend Frauen allein im katholischen Spanien, 640 in Italien, 32 in Deutschland (nur!), 100 in Frankreich und das reicht noch nicht.
Wer diese Oper sieht, fragt sich natürlich: Wie macht er das? Im Normalfall, machen wir uns nichts vor, ist der Sängerdarsteller des Don Giovanni nicht die Lösung. Es gibt fantastische Sänger, die auch wegen ihres Aussehens ganz sicher nicht von der Bettkante zu stoßen wären, aber das Äußere allein ist noch nicht die Antwort auf die Frage, wie der Typ tausende Frauen verführen konnte, von denen übrigens nur zwei auf Rache sinnen.
Einen dieser Racheengel kann der Don tatsächlich im zweiten Akt besänftigen, nämlich indem er nachts mit einer Laute unter ihr Fenster tritt und ihr eines der schönsten Ständchen der gesamten klassischen Musikliteratur bringt. Und soviel ist sicher: Die meisten der anwesenden Damen im Publikum würden sich wohl noch unmittelbarer diesem musikalischen Werben hingeben, als die von ihm Besungene.
Die Frage, die sich hier ergibt ist wohl: Wenn das Besingen und das Musizieren für eine Frau so enorm erfolgversprechend ist, warum passiert es dann heute kaum noch? Mal abgesehen davon, dass es das Geheimnis jedes Schnulzensängers und Schlagerfuzzis ist, die wenigsten Männer kommen auf die Idee, dies für ihre Angebetete, ihre Frau, ihre Freundin zu tun. Jungs! Männer! Da lasst ihr euch eine echte Chance durch die Lappen gehen! Selbst wenn es für euch so laufen sollte wie in der Wagner Oper, habt ihr davon wohl kaum einen bleibenden Schaden und könnt euch damit trösten, es wenigstens versucht zu haben. Im Idealfall läuft es für euch so gut wie für den spanischen Edelmann, der praktisch jede Frau kriegen und wiederkriegen kann.
Vielleicht ist das, wie oben gesagt, eine völlig irrelevante und altmodische Sichtweise auf die Serenade. Dennoch möchte ich dieses romantische Bild mit den beiden Menschen, wo der eine dem anderen so einen Liebesbeweis bringt nicht missen. Lasst doch wieder ein bisschen Mondschein und Serenaden in unsere oftmals viel zu abgeklärte Welt ein!