Von nun an trafen sie sich öfter. Das Thema Melli kam dabei nicht noch einmal auf und Miriam traute sich auch immer noch nicht, ihn darauf anzusprechen. Vielleicht war diese Melli auch gar nicht so wichtig, wie sie dachte.
An einem Abend, als sie gemeinsam in einer Cocktailbar saßen und sie einen Swimmingpool und er einen Tequila Sunrise vor sich stehen hatte, stellte Ralf Miriam eine Frage, auf die sie ganz und gar nicht vorbereitet war.
»Sag mal, hast du vielleicht Lust, am Samstag zu meiner Geburtstagsfeier zu kommen? Nichts Großes, nur ein gemütliches Beisammensein mit Freunden.«
»Du hast Geburtstag?«
Er lächelte. »Ja, auch ich habe einmal im Jahr Geburtstag, und am Samstag ist es nun mal wieder soweit. Also, was ist? Kommst du?«
»Gern.«
Ralf strahlte geradezu. Es schien ihn zu freuen, dass sie zugesagt hatte.
»Wird Melli auch da sein?« Miriam musste es jetzt einfach wissen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
Kurz runzelte Ralf die Stirn, ehe er nickte. »Ja, sicher.«
Dabei ließ es Miriam. Mehr wollte sie nicht wissen. Am Samstag war es noch früh genug, um zu erfahren, dass Ralf in ihr lediglich eine gute Freundin sah, mit der man lachen und sich die Zeit vertreiben konnte – mehr aber eben auch nicht. Aber wollte sie denn mehr? Inzwischen konnte sie diese Frage nicht mehr klar mit Ja oder Nein beantworten.
Wie immer war Miriam auch am Samstag überpünktlich. Um 18:00 Uhr sollte die Feier losgehen. Nun war es erst Viertel vor. Es war ihr egal, sie klingelte trotzdem. Als Dozent an der Uni würde er sich gewiss nicht darüber aufregen, dass sie das akademische Viertel zu früh dran war.
Er öffnete, umarmte sie zur Begrüßung und blickte sie prüfend von oben bis unten an. »Miriam, schön, dass du da bist. Du bist mein erster Gast für heute Abend. Toll siehst du aus. Komm rein, komm rein.«
»Sorry, dass ich zu früh bin.«
Er winkte ab. »Ach was, gar kein Problem.«
Sie zog ihren Mantel aus und folgte ihm in ein geräumiges Wohnzimmer. Auf dem kleinen Couchtisch reihten sich schon Schälchen mit leckeren Knabbereien aneinander.
Ralf wies auf die gemütlich Couchlandschaft. »Nimm Platz. Was möchtest du trinken?«
»Eine Cola, wenn du hast.«
Er legte den Kopf schief. »Wie? Nur eine Cola? Komm schon, ich habe auch andere Köstlichkeiten im Haus.« Er zählte eine Reihe an alkoholischen Getränken auf und sie es entschied sich schließlich für einen lieblichen Roséwein.
Kurz darauf klingelte es an der Tür. Noch jemand, der zu früh kam. Miriam atmete erleichtert auf.
»Melli! Schön, dass du da bist«, hörte Miriam Ralf sagen, der sich sehr über das Erscheinen dieser Melli zu freuen schien. Mehr als über ihren Besuch? Das vermochte sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu sagen. Sehen konnte Miriam die beiden von ihrem Platz aus nicht. Sie atmete tief durch, um sich für das Schlimmste zu wappnen. Immerhin hatte sie bereits einige Tage Zeit gehabt, um sich darauf vorzubereiten.
Schon betraten sie Seite an Seite das Wohnzimmer. »Melli, darf ich vorstellen? Das ist Miriam. Ich habe dir von ihr erzählt. Miriam, das ist Melanie, meine kleine Schwester.«
»Schwester?« Hatte er eben tatsächlich Schwester gesagt?
Melli ging auf Miriam zu und reichte ihr die Hand. »Hi, Miriam, schön, dich endlich mal kennenzulernen. Mein Bruder schwärmt in einer Tour von dir. Du hast anscheinend ordentlich Eindruck bei ihm hinterlassen.« Sie zwinkerte Miriam zu, die nun merkte, wie sich die Anspannung von ihr löste. Endlich konnte wie wieder von Herzen lächeln. Melli war also seine Schwester, nicht seine Freundin!
Nach und nach kamen auch die anderen Gäste und jedes Mal stellte er Miriam mit stets denselben Worten vor: »Das ist meine Freundin Miriam.«
Sie wurde jedes Mal rot dabei und schließlich folgte sie ihm in die Küche. »Was soll das?«
»Was soll was?«
»Ich bin nicht deine Freundin«, sagte sie entschieden.
Er lächelte schelmisch. »Nun, stimmt, wir haben das offiziell noch nie besprochen. Aber würdest du denn gern meine Freundin sein wollen?«
Sie senkte leicht den Kopf. »Habe ich denn eine andere Wahl, wenn du mich schon die ganze Zeit als deine Freundin vorstellst?«, nuschelte sie.
Er trat einen Schritt näher. »Sicher hast du eine Wahl. Daher frage ich dich noch einmal: Wärst du gern meine Freundin?«
Sie blickte auf. Ihr Herz pochte laut. Sie nickte.
Nun strahlte er über das ganze Gesicht, umarmte sie und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen, den sie nur zu gern erwiderte. Wer hätte geglaubt, dass hinter diesem widerlichen Kerl, in den sie auf ihrem eiligen Weg zur Arbeit über den Haufen gerannt hatte, ein so netter und zärtlicher Mann stecken konnte?