Untersuchen
Ich musste mich nochmals räuspern und dann hörte ich die Stimme des Reporters. Hier spricht: "Radio Suisse Romande, wir möchten dir ein paar Fragen stellen, wenn dies okay ist?" Ich stimmte zu und dann kamen die Fragen:
"Hattest Du Angst?" Meine Antwort war: "Wir haben uns mulmig gefühlt, es war nicht besonders angenehm."
"Und was habt ihr gegessen?"
"Also wir haben nicht viel gegessen. Pro Tag ein Stücklein Brot, ein kleines Stück Käse, zwei Täfelchen Schokolade und 1/4 Apfel.”
"Wie war der Helikopterflug?"
"Dies war eine fantastische Erfahrung, leider nur wenige Minuten!"
"Danke vielmals."
"Bitte sehr."
Dies wurde dann im Radio ausgestrahlt mit einem Einleitungssatz und einem Schlusssatz, dass uns dieses Abenteuer lange in Erinnerung bleiben wird. Dies war die absolute Wahrheit. Nach dem Radiointerview ging es weiter zur Kaserne in Locarno. Dort wurden wir medizinisch untersucht und betreut. Wir durften weiterhin nicht viel essen und erhielten mal eine Suppe. Der Tag verging eigentlich recht schnell, da immer etwas los war. Das Abendessen nahmen wir in der Kaserne ein und sahen gleichzeitig die Tagesschau. Wir waren die Nachricht des Tages und konnten die Berichterstattung live erleben.
Am nächsten Tagen fuhren wir zurück in unsere Gemeinde und wurden mit Fanfaren am Bahnhof empfangen. Wir wurden wie Helden gefeiert.
Die Presse war zwiespältig. Zum einen waren enorme Kosten entstanden. Die Rettung hatte rund 100´000 Euro gekostet. Der Boulevardpresse wurde kein Interview gewährt, so schrieben sie eine Reportage zusammen und die Schlagzeile in 4 cm großen roten Buchstaben war: "Bravo, die Pfadfinder strotzten dem Schneesturm!" Also von diesem Tag an glaube ich nicht mehr alles, was in dieser Zeitung steht.
Andere Berichte waren mit: "Ein Spiel mit dem Leben" betitelt. Dies war vermutlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Versuch den Pass zu überqueren hätte schlecht ausgehen können, da wir irgendwann zu weit weg von den Unterschlüpfen gewesen wären. Geschafft hätten wir es auf gar keinen Fall. Dies beruht auf der Tatsache, dass gestandene ausgebildete Männer mit einer vollständigen Ausrüstung bis zum Hals im Schnee versanken.
Ein paar böse Leserbriefe waren dann auch noch zu lesen. Ein Schmuggellager, was für eine Schnapsidee. Man könnte genauso gut ein Bankräuber-Lager machen. Die ganze Angelegenheit wurde vom Gesetzgeber und der Pfadfinderorganisation untersucht. Wir die Pfadfinder hatten uns größtenteils sehr gut verhalten.
Was waren die längerfristigen Auswirkungen? Ich weiß, was es bedeutet zu wenig zu essen zu haben. Mit der Nahrung gehe ich umsichtig um und Nahrung fortzuwerfen ist mir ein Graus. Eine Wanderung plane ich sorgfältig und studiere den Wetterbericht genau.
Die Geschichte ist eine wahre und entspricht den Tatsachen. Trotz der vielen Jahre, die dazwischen liegen, war es aufgrund der vielen vorhandenen Zeitungsberichte und dem vorhandenen Aufsatz, einfach die Geschichte wieder zu rekonstruieren. Die Geschichte könnte sich heute kaum wiederholen. Mit den heutigen Smartphones könnten wir im Notfall schnell Hilfe holen. In Sekundenschnelle wären unsere Koordinaten und unser Alarm weitergegeben. Sehr empfehlenswert ist, eine Akkubank mitzunehmen, da der Akku zu schnell schlappmacht.