Café Cielo, 08.04.1808
Die Sonne ging gerade auf, und die Kirchenglocken schlugen zum Laudes, als der gut gekleidete Mann das Café Cielo betrat. Lange musste er sich nicht umsehen. Direkt ihm gegenüber war ein Tisch mit einer kleinen Gruppe von Menschen. Drei von ihnen trugen ebenfalls edle Gewänder. Der vierte, er saß in der Mitte, war ein alter, gebrechlicher Mann. Er schien dem lebhaften Gespräch der drei jungen Männer nicht beizuwohnen. Als er jedoch sein Antlitz erblickte, musste der Alte lächeln.
„Lucian, du bist es! Komm her und sage mir: Wie ist es dir ergangen?“
Die drei Männer erstarrten, als sie den Namen hörten. Lucian. Er kam auf den Tisch zu und setzte sich dem alten Mann gegenüber.
„Herr Adonai, wie lange habe ich Sie nicht mehr gesehen!“, scherzte er los.
„Eine Ewigkeit, eine Ewigkeit.“
Die drei verschwanden nun, sie konnten die Gegenwart Lucians nicht ertragen.
„Wie es mir ergangen ist?“, wiederholte er die Frage. „Man kann sich nicht beklagen! Es gibt viel zu tun, das Geschäft brummt.“
„Für Bankiers läuft es wohl immer gut, nicht wahr? Ich frage mich nur, welche Menschen deinen faulen Krediten vertrauen. Magst du auch kein Lügner sein, die ganze Wahrheit sagst du nie.“
Lucian lachte laut.
„Aber aber, Herr Adonai, das können Sie doch so nicht sagen. Ich habe geschworen, ehrlich zu sein, auf Ihren Namen. Und ehrlich, das versichere ich Ihnen, bin ich ohne Zweifel!“
Der Alte lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen.
„Lucian, ich muss mich wohl nicht genauer erklären. Du stehst zu dem, was du sagst und baust auf das, was du nicht sagst. Du kannst den Menschen jeden Trieb, jeden Drang, jede Lust und jeden Wunsch erfüllen, der mich Macht und Geld käuflich ist. Den Preis nennst du nie, und er ist hoch.“
„Ich bitte um Vergebung für meine Taten, Herr, aber das ist mein Wesen, so bin ich geschaffen worden. Ich biete den Menschen bloß, wonach sie suchen. Befriedigung kann ich selbst den unglücklichsten Menschen bescheren, für eine kleine Gegenleistung.“
„Du wirst es nie lernen, Lucian, egal, wie oft ich es dir sage. Den Schummler bekehrt man nicht durch gute Worte oder die Schrift“, erwiderte der alte Adonai und schaute Lucian in die jungen, dunklen Augen. Wenn es stimmt, dass die Augen die Fenster zur Seele sind, dann schaute er gerade in die undurchsichtigsten Fenster, die jemals auf dem Globus gewandelt sind. Er sah dennoch in altbekannte Augen. Die dunklen Fenster waren durchschaut und der Geist dahinter längst verstanden. Zu sehr war Lucian noch wie früher, bevor er anfing, zu verneinen.
„Ist etwas?“
„Du hast dich kein bisschen verändert.“
„Herr Adonai, ich habe mich in fast Allem geändert. Ich sehe Sie nach wie vor gern, daran hat sich nichts geändert. Aber abgesehen davon ist nichts, wie es einmal war.“
„Du willst mir etwas vorspielen? Ich kenne dich, besser als du dich selbst kennst, und ich weiß, dass du derselbe Lucian unter neuer Fassade bist.“
„Wie kann ich es Ihnen beweisen?“, bohrte der fein Gekleidete nach.
„Kennst du den Faust?“
„Doktor Faust? Natürlich ist er mir ein Begriff“
„Gut. Denn ich habe einen Vorschlag...“