Ich denke, das Schwierigste ist, etwas über sich selbst zu erzählen.
Man fragt sich dauernd:
- Ist das überhaupt interessant für jemanden?
- Wollen diejenigen das auch wirklich wissen?
- Hat da jemand was davon?
- Ist das gerade mehr objektiv als subjektiv?
Aber dann sollte man sich sagen. Sch... drauf, dafür ist die Seite ja gemacht.
Wir definieren uns in Deutschland enorm über unseren Beruf.
Also ist dies aus dieser Sicht zusammengefasst.
Geboren 1964 im wunderschönen, mittelalterlich anmutenden Goslar gehöre ich zur Generation Boomer und bin froh darum, denn in meiner Kindheit gab es viele Spielgefährten und noch mehr geheimnisvolle Plätze zu entdecken. Sogar Schweine, Schafe und Hühner durfte es zu dieser Zeit noch in den Städten geben. Meine Mutter hat mich fünf Mal am Tag umgezogen, weil ... so schmutzig kann man doch nicht herumlaufen. Geschichten könnte ich erzählen ...
Eingeschult als ABC-Schütze wurde ich in die Goethe-Schule, die zu der Zeit noch zwischen Klapperhagen, Königstraße und Glockengießerstraße lag. Im Sommer 1971 war das. Mittlerweile ist dort das Stadtmuseum und die Stadtbücherei untergebracht. Schade. Ich hatte auch eine richtige "Schulwegsfreundin", mit der ich Tag für Tag den Weg zur Schule antrat. In der vierten Klasse freuten Petra G. und ich uns darauf im nächsten Jahr Englisch zu lernen. Dann könnten wir uns unterhalten und keiner würde verstehen, was wir sagen. Oh du wunderbare, kindliche Naivität.
Dann durfte ich dank ordentlicher Leistungen auf das Christian-von-Dohm Gymnasium wechseln, das gerade in den Neubau im Gewerbegebiet Baßgeige gezogen war. Was für eine fabelhafte neue Schule. Sie hatte sogar eine eingebaute Klimaanlage. Toll.
Jedoch funktionierte diese nie und wir bekamen trotzdem nicht ein einziges Mal hitzefrei. Und wir hatten noch 6 Tage Schule in der Woche - ja, auch am Samstag vier Stunden.
Aber auch tolle Lehrer, die einem viele wichtige Dinge für das Leben mitgaben. Herr Dr. Armin Theuerkauf (Latein), Frau Dr. Tzschoche (Biologie), Mr. Miller (Deutsch), Rudi Krahforst (Deutsch), (von ihm habe ich noch ein Lesezeichen in Linoleumdruck) und Frau Cramer (Deutsch), die in mir die Leselust weckte.
Meine Eltern führten eine große Bäckerei/Konditorei in Goslar und gegen Ende der 10. Klasse entschied ich mich, den gleichen Weg zu verfolgen. Ich ging von der Schule ab und zog, ich war gerade 18 geworden, nach Braunschweig um dort bei einer angesehenen Bäckerei in die Lehre zu gehen. Schon nach zwei Jahren konnte ich die Lehre dort als Bester der Innung abschließen und wurde in einem Wettbewerb der Jung-Gesellen sogar 8. von 1400. Mann war ich stolz.
Dann führte mich mein Berufswunsch in eine der besten Konditoreien Deutschland nach Nürnberg. Mit dem Erfolg im Rücken fühlte ich mich unbesiegbar. Aber mein Lehrmeister konnte mit selbstbewussten Lehrlingen nicht viel anfangen und so wurde der Arbeitsplatz jeden Tag ein Stück mehr zu einem Ort der Qual. Den Abschluss schaffte ich, aber ... naja ... Vergangenheit.
Inzwischen hatte ich meine zukünftige Frau kennengelernt. Den Kopf voller rosaroter Gedanken und den Erfahrungen aus der Lehre (ich habe im wahrsten Sinne daraus meine Lehre gezogen) ließ ich meine Eltern den Betrieb verkaufen. Das brachte finanzielle Sicherheit und nach Krieg, Vertreibung und der aufopferungsvollen Arbeit während der folgenden Jahre gönnte ich meinen Eltern den hart erarbeiteten Ruhestand.
Ich ging erneut zur Schule. Fachoberschule, sozialer Zweig. Doch das mit dem Lernen hatte ich verlernt. Ich konnte mir nichts mehr in den Kopf klopfen. Schade. Fachlehrer für Bäcker und Konditoren, so war der Plan. Wäre klasse gewesen.
In einem großen Kaufhaus in der Innenstadt Nürnbergs entdeckte ich dann ein neues Talent in mir. In der dortigen Croissanterie durfte ich nicht nur leckere Kleinigkeiten vor den Kunden zubereiten und backen, sondern sie auch verkaufen. Wow, konnte ich gut verkaufen. Die Damen der Parfümerieabteilung gaben sich die Türklinke in die Hand. Und ich duftete nach allem, was sie mir gaben. Die Tester wanderten scharenweise in mein Badezimmer. Nie duftete ich besser als damals.
Und dann kam da ein Typ, der sagte:
Du kannst so gut verkaufen, mach das doch draußen als Vertreter. Da fließt das Geld wie aus Füllhörnern. Gesagt, getan.
Zwei Jahre später. Wieder bei dem großen Kaufhaus, anderer Standort. Wieder Croissanterie. Verkaufen konnte ich doch.
Aber nur, wenn die Kunden an die Theke kamen und schon in Kauflaune waren. Dann werden bei mir schnell mal aus gewünschten zwei Stück Sahneschnitte drei oder vier, manchmal auch mehr. Und Brot brauchten sie ja auch noch. Vielleicht noch ein Eis auf dem Nachhauseweg?
Schöne viereinhalb Jahre vergingen. Man nahm meine Meinung ernst und band mich in Entscheidungen für die Abteilung ein.
Meine Prüfung zum Konditormeister konnte ich mit der Untersützung der Firma machen. Es ging voran.
Ich hatte inzwischen geheiratet und Nachwuchs war unterwegs. Ein bisschen mehr verdienen wäre nicht schlecht.
Als Verkaufsleiter einer großen Erlanger Bäckereikette wagte ich den nächsten Schritt. Mein Sohn René wurde geboren.
Eine minimale Entzündung am Finger wurde für den kleinen Körper zum Problem, er verbrachte neun Tage im Krankenhaus.
Die Konzentration auf den Beruf war plötzlich zweitrangig. Der Job ging, der Kleine war bald wieder gesund und munter.
Also wieder Filialleiter. Der nächste Filialist. Es war eine tolle Zeit. Im November sprachen wir über eine Beförderung.
Im Dezember verkaufte der Inhaber die Filialen an einen anderen Filialisten.
Und wieder von vorn. Filialleiter. Im Juli wieder Gespräche. Juhuu, Beförderung zum Verkaufsleiter. Firmenwagen. Handy gabs noch nicht.
Übernächster März. Der neue Chef muss was tun, weil die Zahlen nicht stimmen. Ich bin der Jüngste im Team. Tja. Pech gehabt.
Inzwischen ist mein zweiter Sohn Fabien auf die Welt gekommen. Ich hab zwei Sonnenscheine. Aber keinen Job.
Nächster Versuch. Nächster Filialist, allerdings mindestens eine Anfahrt von einer Stunde. Egal. Ich hab ja ein Firmenfahrzeug.
Ewige Diskussionen, wie es weitergeht, weil so geht es auch nicht weiter.
Selbständigkeit wäre doch ein Thema. Eine kleine feine Konditorei. Neee, sagt meine Frau. Aber ich habe sie dann doch übergeredet.
Mit Krediten und Hilfe der Eltern eine kleine feine Konditorei gekauft. Der Standort versprach stete Kundschaft aus den umliegenden Bürogebäuden und genauso begann es auch. Alles entwickelte sich gut, nur die Ehe ... naja, wir ließen uns dann scheiden.
Ich lernte eine neue Frau kennen. Sie brachte drei Kinder mit (Viviane, René und Samantha). Sie akzeptierte alle Widrigkeiten der Selbständigkeit, meine Kinder kamen auch gut mit ihr klar. Und dann kündigte sich mein dritter Sohn Jean-Luc an.
Noch mal Papa mit 39? Egal. Wir hatten das ordentlich im Griff, die Kinder kamen alle gut miteinander zurecht.
Im Geschäft gab es eine Delle, aber es stabilisierte sich wieder. Das Leben ging fünf Jahre einen einigermaßen ruhigen Gang.
Dann kam das Rauchverbot. Für den einen mag das kein Problem gewesen sein, für viele war es ein Segen. Für mich nicht.
Ich musste 80 und 90-jährige Kaffeedamen vor die Tür bitten. Ohne Rücksicht.
Am Karsamstag habe ich die Aschenbecher wieder auf die Tische gestellt. So ging es doch nicht weiter.
Am Mittwoch nach Ostern stand das Ordnungsamt mit einer Anzeige in meinem Café. Im November schloss ich die Türen.
Arbeitslosigkeit tut nicht gut. Ich bekam einen 1€-Job zugewiesen. Beim Roten Kreuz, SecondHand Laden. Ui.
Ich hätte nie gedacht, dass ich sogar Frauen beim Kauf von Kleidung beraten kann ... hihi.
Neue Menschen, neue Herausforderung. Es war eine schönes halbes Jahr.
Nächster Versuch. Nächster Filialist. Diesmal ein Franchise-Nehmer der jemanden für einen zweiten Laden sucht.
Das Geschäft lief bombig, die Umsätze explodierten.
Aber bei einem Franchise-Geschäft gewinnt immer nur der Geber und der Nehmer muss häufig die Segel streichen. Es dauerte nicht lange.
Nächster Versuch. Nächster Filialist. Neues System. Selbstbedienung.
Man backt Brötchen und Gebäck frisch im Ofen, platziert sie in der Theke, der Kunde holt sich die Artikel selbsttätig heraus, man muss nur noch kassieren. Selbst das Verpacken in die Tüten übernimmt der Kunde höchstselbst. Wie praktisch.
Und selbst hier war mein Talent ausschlaggebend für den nächsten Schritt.
Die Umsätze hervorragend, Ertrag war gut. Einsatzbereitschaft makellos. Mindestens 200 Stunden im Monat. Freiwillig.
Verkaufsleiter, endlich, wieder. Firmenfahrzeug, Ansehen, Firmenhandy, ordentliches Gehalt.
Die Beziehung zu meiner zweiten Frau zerbrach, unüberbrückbare Differenzen würde man heute sagen.
Aber es ging mir gut. Die Kinder kamen damit einigermaßen klar.
Der Job war hart. Ich hatte quasi 24/6 Dienst. Das Handy stand selten still. Aber man bekam auch viel Lob und Dank für den aufopferungsvollen Einsatz.
Es ging mir weiter gut, aber dann kam SIE. Die neue Frau des Chefs. Sie drangsalierte uns alle auf der Führungsebene.
So lange, bis wir freiwillig gingen oder so wie ich, nicht das Zittern aufhören konnte.
Der Arzt schaute mir ins Gesicht, in meine Augen und schrieb mich krank.
Das war Montag. Mittwoch hatte ich per Einschreiben meine Kündigung und am Freitag kamen zwei bullige Männer und holten Auto und Handy. Den Mumm, mich zu wehren, hatte ich nicht.
Dann kamen ein paar dunkle Tage und Wochen, ja Monate. Ende des Jahres zog mein Sohn Jean-Luc zu mir. Es wurde wieder besser.
Meine Söhne und meine Eltern gaben mir die Kraft zu überleben.
Ich begann wieder zu schreiben, doch ich war nicht frei genug. Es ging nichts voran.
Ein Lehrgang des Jobcenters eröffnete mir einen neuen Master-Plan.
Alle Lehrgangsteilnehmer rieten mir zu den Berufsfeldern: Radiosprecher, Moderator, Hörbuch, Hörspiel oder Synchronsprecher.
Auf jeden Fall etwas, bei dem ich mit meiner "sympathischen" Stimme arbeiten könnte.
Und tatsächlich fand ich in Nürnberg eine Einrichtung, die Ausbildungen dafür anbot. Gesagt, getan. Nächster Schritt.
Jetzt bin ich Anfang 50 und nervös wie ein kleines Kind. Ich musste halbjahresweise wieder Prüfungen ablegen. Wow.
Neue Menschen mit ganz anderen Lebensplänen schlugen in meinem Leben auf und beeinflussten es. Nachhaltig.
Ich wurde wieder kreativ, das Schreiben funktionierte auch. Ich lernte richtig zu sprechen. Die Prüfungen liefen gut.
Der Kurs war zu Ende. Unser Kursleiter bot einigen von uns einen Job an. Betonung auf einen.
Und dann finde mal eine Synchronfirma, die dauerhaft deine Stimme für etwas braucht.
Leider werden dafür immer wieder die gleichen Sprecher gebucht. Seufz. Es bleibt schwierig.
Und dann, nach fast fünf Jahren bekomme ich eine neue Chance. Das Jobcenter hat was für mich. Ich darf eine Fortbildung machen.
Ich bekomme kostenlos eine Ausbildung zum ... na? ... naaa? ... genau. Zum Busfahrer.
Hätte ich nicht gedacht, dass nochmal Geld für so eine späte Fortbildung investiert wird. Aber gut. Im März 2020 gehts los.
Ich werde mir diese Chance nicht entgehen lassen.
Ich halte euch auf dem Laufenden ....
Danke