Es dauerte keine fünf Minuten bis sie ans Ziel kamen. Flynt betrat den weiten, kühlen Raum so, wie er die letzten Meter auch durch die Höhle gelaufen ist: Mit einer Hand auf dem Kopf um seine geliebten Haare zu schützen.
Aus einem Impuls heraus klopfte er sich über seine Klamotten um den Staub seiner Höhlenwanderung zu entfernen, nur da war keiner. Dabei blickten ihm vier Augenpaare entgegen. Um einen großen Tisch in der Mitte des Raumes saßen sie versammelt. Es waren etliche Plätze frei, die Stühle sahen alle unterschiedlich aus. Fast als wäre jeder einzelne von ihnen auf den Hintern und den Charakter seines Besitzers zugeschnitten. Vermutlich saßen diese vier Personen deshalb so weit auseinander, obwohl genügend Platz gewesen wäre um beieinander zu sitzen.
An der rechten Seite des Raumes stapelten sich Holzkisten, direkt neben einem wuchtigen Bücherregel. Zwischen den Holzkisten fanden sich immer wieder längliche, zusammengerollte Papiere. Einige besonders große lehnten an das Bücherregel. Direkt gegenüber von Flynt war die Wand steinig und kahl, bis auf ein paar Fäden die locker an der Wand hinunterhingen. Kurz vor dem Ende jedes Fadens befand sich ein kleines hölzernes Schild mit Symbolen, die er nicht entziffern konnte.
Links ging die Mollige in einen der angrenzenden Räume und ließ die Tür geöffnet. Wenn man es genau betrachtete war die Tür deutlich größer und vor allem breiter als man sie gewöhnlich kannte. Sie ähnelte einem Tor. Noch ein Detail, das Flynt seiner imaginären Liste hinzufügte, die widersprüchlich scheinenden Größenverhältnisse.
Aus dem Raum wehte ein wohlriechender Duft zu ihm herüber. Weiterhin von den vier Augenpaaren beobachtet, ging er am Rand des Raumes auf die überdimensionale Tür zu. Dabei versuchte er den Blickkontakt zu den Leuten am Tisch zu meiden. Einmal als er hinsah nickte er unbeholfen mit dem Kopf um die Anwesenden zu begrüßen. Hatte er da etwa auch noch gezwinkert? Seine Ohren wurden leicht rot und er bereute es augenblicklich, dass er seine verwilderten Haare hatte kürzen lassen, als sich die Gelegenheit ergab. Lieber sah er auf dem Kopf aus wie ein Wilder, als Unsicherheit auszustrahlen und Schwäche zu zeigen. Reichte es nicht, dass die Mollige ihn bereits als einen betitelt hatte?
Als er an der Tür angekommen war hob er seine Hand um anzuklopfen. Da die Tür allerdings nicht geschlossen war, sondern zu einem Viertel offenstand, flog sie bei seinem beschwingten Klopfen auf. Offensichtlich war sie nicht halb so massiv und schwer, wie sie aussah.
Was war hier schon wie es aussah? dachte Flynt, der es leid war in eine peinliche Situation nach der nächsten zu geraten. Er versuchte die Augenpaare die nach wie vor auf ihn gerichtet waren zu ignorieren.
Nicht umdrehen. Er hörte, wie eine der Anwesenden leise kicherte. Als die Mollige plötzlich an der Tür stand, verstummte das Kichern.
„Komm rein.“ befahl sie ihm und er ging an ihr vorbei. Die nächsten Worte richtete sie im selben Befehlston an die kleine Gruppe. „Genug amüsiert! Konzentriert euch wieder und dann schafft mir die Probleme oben beiseite.“ Die Gruppe fing wieder an miteinander zu reden. Oder eher hitzig zu diskutieren.
Sie hatte von oben gesprochen, er hatte also richtig gelegen. Sie waren also unterirdisch unterwegs. Flynt nickte und lächelte bei dem Gedanken daran, dass er Recht hatte.
„Hör auf so dumm zu grinsen. Nur deinetwegen sitzen sie da.“ sie fuchtelte mit ihrem Kochlöffel durch die Gegend. Zum ersten Mal wurde nicht er damit getroffen, seit sie sich kannten, sondern der große Topf Suppe vor ihr. Sie rührte hektisch mal in die eine, dann in die andere Richtung.
Flynt überlegte, wie er das Schweigen brechen konnte, immerhin wollte er ein paar Antworten haben. Er überlegte gerade ob er einen Witz machen oder sich charmant vorstellen sollte um das Eis zu brechen, als sie ihm zuvorkam.
„Also Junge, wie heißt du und was suchst du hier?“ sie schaute ihn nicht an, rührte einfach weiter ihre Suppe um.
„Flynt. Flynt Benarvre, Wahrheitssucher und erster seines Namens.“ während er sich vorstellte richtete er sich auf und schob seine Brust raus. Er war stolz darauf, wer er war. Die Mollige schien hingegen weniger beeindruckt von seiner Vorstellung. Sie blickte von ihrer Suppe auf, musterte ihn von oben bis unten und zog schließlich die Stirn kraus, als sie mit einem einfachen „Ah ja?“ antwortete.
Flynt schnaufte. Er hatte genug davon, wie sie ihn behandelte und er verstand auch überhaupt nicht warum sie ihm gegenüber so abschätzig war. So ein Verhalten würde er sich nicht gefallen lassen.
„Seid ihr Gästen gegenüber immer so unhöflich?“ versuchte er seine Wut in freundliche Worte zu verpacken, doch sein Unterton verriet ihn. Die Mollige schien ebenfalls genug zu haben.
„Gästen gegenüber nicht. Eindringlingen gegenüber schon.“ fauchte sie durch ihre zusammengepressten Zähne zurück.
„Eindringling? Sie haben mich doch wohl eher entführt! Verschleppt! In diese verdammte Höhle gebracht. Fehlen nur noch die Ketten und ab und an ein Stück trockenes Brot und Wasser! Das erniedrigen haben Sie jedenfalls schon super drauf.“ Flynt konnte es nicht fassen. Noch nie in seinem Leben hatte ihn etwas so wütend gemacht.
„Kannst du haben, Bursche! Und das wäre sogar noch gnädig von uns. Du verstehst es nicht, oder?“ Sie ließ den Kochlöffel in die Suppe fallen und hob jetzt drohend ihren Zeigefinger. Ehe sie weiter schreien kann packt sie ein junger Mann bei den Schultern und dreht sie zu sich. Er war deutlich größer als sie und eine braune Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Sein Gesichtsausdruck war ernst und passte hervorragend zu seinem kantigen Gesicht.
„Tante Inna, beruhige dich. Wir werden das alles klären, gib uns nur etwas Zeit.“ er sah sie eindringlich an. Flynt hatte bis eben gedacht, dass sie hier den Ton angibt, doch als sie sich aus dem Griff des jungen Mannes losriss und den Raum verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, fing er an auch an dieser Vermutung zu zweifeln.
„Jotami.“ stellte er sich vor und reichte Flynt die Hand. „Flynt.“ erwiderte dieser und reichte Jotami ebenfalls die Hand zur Begrüßung.
„Bitte verzeih das Verhalten meiner Tante. Wir sind es nicht gewohnt, dass sich jemand in diese Ecke verirrt.“ er rang sich ein Lächeln ab, aber es wirkte nicht ehrlich. Sein Kiefer war angespannt und seine Hand ein wenig schwitzig.
„Du hast sicherlich einige Fragen an uns, so wie wir an dich. Trotzdem schlage ich vor, auch im Sinne er erhitzten Gemüter, die Fragerunde auf später zu verschieben.“ seine Worte waren bestimmt. Jotami stand jetzt neben Flynt und klopfte ihm auf die Schulter. „Los komm, ich zeige dir wo du dich frisch machen kannst.“