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Nach dem Prompt „Blumentopfschlange“ der Gruppe „Crikey!“
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Efina schwebte durch diese wilde, kalte und verwirrende Welt. Ihre Gedanken rasten wild durcheinander, wurden vom Wind davongerissen, zerstreut wie Asche.
Sie fühlte sich zusammenhanglos. Es gab keinen Kompass mehr, nach dem sie sich richten konnte, keinen steuernden Willen mehr, keine Gemeinschaft. Zum ersten Mal in ihrer Existenz war sie allein. Getrennt von ihren Geschwistern, ohne einen Befehl, dem sie folgen konnte.
Sie war tot. Damoxtli, die Königin des Schwarms. Die Drachen hatten sie getötet. Ihr Bewusstsein war erloschen und der Schwarm hatte sich in alle Richtungen verteilt.
Nun wusste Efina nicht, wohin sie sich wenden sollte. Alleine konnte sie diesen Planeten nicht wieder verlassen. Sie war gefangen und wurde überflutet von fremdartigen Einflüssen. Das individuelle Verstreichen der Zeit, die sich mal schnell, mal zäh anfühlte, weil Efinas Sein nicht mehr dem Rhythmus des Schwarms folgte. Die Hilflosigkeit, völlig allein und ohne jeden Halt. Diese Welt war nicht für körperlose Wesen geschaffen worden, und doch war sie nun hier.
Sie hatte keine Sinnesorgane, nicht einmal einen wirklichen Körper. Sie war ein Bewusstsein aus verdichteten Atomen, doch trotzdem konnte sich Efina an etwas klammern.
Mein Name. Ich bin Efina. Ich bin.
Sie fand eine Höhle unter einem Baum und schwebte hinein. Und stellte erstaunt fest, dass sie nicht allein war, dass sich noch ein Bewusstsein hier verbarg. Eine Schlange, voller Furcht vor dem tödlichen Sturm, der draußen tobte.
Vorsichtig glitt Efina näher und berührte das Wesen. Die Schlange schreckte zurück.
"Du bist eines von ihnen. Eine der Kreaturen von draußen! Die mit dem Meteor kamen!"
"Das weißt du alles?" Efina war erstaunt.
"Alle wissen es. Unsere Drachen sind tot! Unsere Welt brennt. Und ihr seid schuld!"
"Unsere Königin hat euren Planeten unterschätzt. Ihr wirktet nicht gefährlicher als alle anderen", sagte Efina leise.
"Ist es das, was ihr tut?", fragte die Schlange sie zornig. "Ihr reist von Planet zu Planet und tötet dort alles?"
"Das taten wir", sagte Efina kleinlaut. "Auch mein Planet wurde zerstört. Und ich wurde mit tausenden anderen Seelen mitgenommen. Damoxtli hat überall im Universum weitere Wesen in den Schwarm aufgenommen. Es wirkte so richtig, doch jetzt ..."
"Du warst auch mal lebendig?"
Erstaunt fühlte Efina etwas in den Worten der Schlange, das ihr gänzlich fremd war. Dieses Wesen war traurig - ihretwegen! Und zwar nicht, weil sie ihr ein Leid getan hatte, obwohl auch ein solcher Schmerz in ihrer Seele zu lesen stand. Nein, die Schlange war traurig, weil Efina traurig war.
Sie leidet, weil ich leide. Mit-Leid. Was für ein merkwürdiges Konzept.
"Ich glaube, ich war einmal fast wie du", murmelte Efina. "Deshalb wollte ich mich wieder in der Erde verkriechen. Aber ich habe keinen Körper mehr."
"Wir alle haben etwas in diesem Krieg verloren", murmelte die Schlange.
Efina fühlte sich bemüßigt, nachzufragen. "Was ist mit dir? Was haben die Damoten dir angetan?"
"Ihr habt mir", sagte die Schlange leise, "meine Familie genommen."
Efina sah die Bilder toter Schlangen, die auf dem Land verteilt waren. Und fühlte einen Schmerz in ihrer Seele, als hätte sie Freunde verloren.
Dabei kenne ich keine Freunde. Im Schwarm waren wir alle eins. Aber in den Gedanken der Schlange kann ich es lesen.
"Nun bin ich als letzte übrig", beendete die Schlange ihre Gedanken. "Nie wieder werden solche wie ich hier durch die Erde toben."
"Aber du kannst doch einfach Kinder kriegen." Efina verstand das Problem nicht.
"Nicht ohne ein Männchen", widersprach die Schlange.
"Ein was?" Efina musterte ihr Gegenüber genauer, versuchte, dessen Gedanken zu ergründen. "Ihr ... braucht zwei Wesen, damit Eier gelegt werden?"
"Wie sollte es denn sonst gehen?"
"Na, indem du ohne ein Männchen dein Erbgut weitergibst." Efina forschte fleißig weiter. "Aha. Da ist das Problem! Du brauchst natürlich einen dritten Strang. Aber das sollte sich machen lassen."
"Warte einmal!" Die Schlange richtete sich auf. "Du sagst, du kannst mir helfen, wieder Eier zu legen? Du kannst ... die Schlangen retten?"
"Es ist sogar ziemlich leicht", meinte Efina, abgelenkt durch die neuen Gefühle, die in der Schlange aufflackerten: Verwirrung, Zögern und ...
Hoffnung. Dieses Gefühl gefällt mir. Wie kann ich der Schlange mehr davon geben?
"Würdest du ... also, ich meine, können wir ...?"
Efina berührte die Schlange beruhigend. "Wir können. Aber dazu musst du einen Pakt mit mir schließen. Dann werde ich dein dritter DNA-Strang."
"Was ist das?"
"Das heißt, dass du wieder Eier legen kannst. Und kleinere Versionen von dir werden herauskommen. In meiner Heimat nannten wir es das Koolen."
"Und dann wird es wieder Schlangen geben?"
"Sie werden alle du sein, meine Freundin, aber ja, das ist der Pakt. Ich werde zu einem Teil von dir, und dein Volk wird unsterblich. Willigst du ein?"
Die Schlange zögerte nur kurz. "Du bist nicht wie die anderen Damoten. Du willst nicht vernichten."
"Wir wollten euch nie vernichten. Wir wollten euch immer nur helfen", widersprach Efina. "Aber ich glaube, wir haben eure Art des Lebens nicht verstanden. Wir ... ich ... habe nicht verstanden, warum ihr euch gewehrt habt und nicht in den Schwarm wolltet. Aber ich glaube, nun verstehe ich. Das Leben im Schwarm ist toll, aber als Individuum hat man so viel mehr Empfindungen."
Vertrauen. Mitleid. Freundschaft. All diese Empfindungen anderen Wesen gegenüber - sie fehlten jenen, die immer nur eins waren.
"Dann willige ich ein", sagte die Schlange. "Möge unser Bündnis ein erster Schritt sein, um unsere Welten zu versöhnen."