Ihren Atem zügelnd, sodass er nicht das ausladende Areal der Lungen rauschend zu durchströmen vermochte, trat sie hinter die vornehmen Vorhänge. Einem goldenen Fluss gleichend, an dessen Grund schillernde Schätze weilten - hier verbargen sich Kerzen hinter der bunt bestickten Oberfläche, wertlos und verräterisch -, sank die seichte Seide zu dem hellen Marmor, den scheinbar schwerelosen Schaum ehrfürchtig tragend, hinab. Achtsam, tonlos glitt sie hinter dem leichten Stoff voran zu der leuchtenden Lücke des Aufeinandertreffens zweier Vorhänge, bedenkend, die in ihrer linken Hand gebettete Klinge im Schatten ihres Leibes zu halten. Reflexionen würden gewiss den Stoff schreiend durchschneiden. Wenngleich sie keinen Laut aus des Raumes Mitte vernahm, so erschien es dennoch klüger, dem herrschenden Schweigen ebenbürtig die Atmosphäre nicht zu zerrütten; Stille barg, so war es ihr gelehrt worden, die Blindheit der Augen.
Nahe der sich dem Grund öffnenden Spalte hielt sie ein und verlagerte gemachsam ihr Körpergewicht zu dem vorderen Fuß, ehe ihre Furcht, kaum in das Schlafgemach blickend, zerfloss. Niemand befand sich innerhalb der nackten Wände; ein Versteck war, die an den Mauern wachenden Möbelstücke betrachtend, gänzlich unmöglich.
Sodann schritt sie eilig zu der künstlerischen Kommode neben dem - oh, was gäbe sie, ein Mal nur in einem solchen zu nächtigen! - berückenden Bett, um die darauf harrende, zierliche Tasse zu besehen. Das in ihrer milchigen Mulde ruhende, grün gefärbte Wasser war, wie ihre darüber gehaltenen Finger prüften, von geringer Temperatur. Ihre Mundwinkel trieben des Triumphs erquickt hinauf. Das Entschwinden des Königs war bis zu jener Minute, zu welcher die Dienerin den abendlichen Tee in sein Gemach gebracht hatte, unbemerkt verblieben, sodass die kollektive Flucht mit der außerordentlichen Zeitspanne einer gesamten Nacht gesegnet war.
Um Ruhe bemüht - wusste sie doch nicht um die Nähe von Wachen, Dienern, sondern lediglich um die Architektur des von ihr betretenen Raumes -, zog sie an den wenigen Schubladen, welche als schüchterne Schatzkammern dienten, entnahm ihrer emotionalen Erregung ungeachtet den Inhalt - Juwelen, Ketten, Broschen, Ringe - und legte ihn geübter Geschwindigkeit in die um ihre Taille gebundenen Beutel. Seien sie auch schwer; ihr Schritt war geschickt genug, um noch immer in Stille zu gleiten.
Sie empfand des Königs Beschluss nach, dünkte ihr doch bereits nun, in ebenjenem Saal alleinig, die vermaledeiten Kostbarkeiten raubten ihrer Sinne Sicherheit, schimpften eine jede Missetat, ihre hängende Haltung. Allzu funkelnd verlangten die teuren Tapeten, von Stickereien geziert, Verehrung, weitaus schändlicher wisperten die eingeschlossenen Parfums - hinter welcher Tür lauerten sie, streckten ihre schamlosen Stimmen durch die atemlose Luft? -, während Edelsteine jedweder Sorten den, verglichen mit der eigenen Grazie, missgebildeten Menschen verschmähten. Obgleich der König, so hatte er berichtet, seine Einsamkeit zu befehlen pflegte, übten sein Ruf, die Umgebung beharrlich Ungehorsam an seinem tatsächlichen Sehnen.
Er hatte nicht länger in ihrem Schein niedergehen wollen, hatte bereits zuvor nächtlich der Bande Obhut aufgesucht, um sich der Süße der Freiheit zu ergötzen, träumend, tanzend, trinkend. Nicht der Adelshäuser täuschende Tore ergriffen sein Herz in wahnhaftem Wunder. Umspielte sein Antlitz nur das von dem bebenden Blätterdach gefärbte Sonnenlicht, vermochte er, durch Täler sowie Wälder zu wandeln, so sollte es seinem Geiste genügen. "Des Abends ziehe ich mich gewöhnlich in das Kunstatelier zurück", er hatte des Palastes Umrisse in die Erde gezeichnet, sein Entweichen dargelegt, an welchem Ort er zu ihnen stoßen würde. "Schickt euren besten Dieb, in meinem Schlafgemach befinden sich zahllose Kostbarkeiten, welche uns einige Monate lang Nahrung schenken sollen."
Ob ihm denn nichts an den Schmuckstücken läge?
Er hatte das Haupt geschüttelt.
Ehe sie über den Balkon zu den behütenden Bäumen zurückkehrte, blickte sie zurück in das ehemals bewohnte Schlafgemach. Solange niemand an den kristallenen Knöpfen die geschliffenen Holztüren aufschloss, würde von ihrem Eindringen nicht erfahren werden.
Frei lebe der König.