Unweit der linken Kante entsprang - nein, sie endete dort, wie der erstarrte Tropfen bezeugte - eine gelbe Linie, gerade über den düsterblauen Untergrund fließend. Ihr Beginn war ungewiss, verlor sich ihr Streifen doch alsbald in zahllosen, eigenständigen Schlingen diversester Töne; blau, rot, namenlose Vermengungen.
Hochmütig zogen sie, als seien sie sich ihrer Richtung gewiss, in Gestalt eines aus Diagonalen bestehenden dichten Dickichts voran, während benachbarte Striche sich über ihre Bahn legten, sie selbst auf einen solchen kreuzten. Eine jede Linie schien eine heimliche Sphäre zu umschließen, in welcher alleinig ihres Schimmers Sprache galt, in welcher ein der Umwelt gerechter Gesang erklang, als nährten sich die - natürlich körperlosen, unwirklichen und doch, dennoch erdachten - Bewohner jenes, was sie erblickten, und das Betrachtete sich der Aufmerksamkeit wiederum. Jedoch verblieben die innewohnenden Geschichten verschüttet unter ihren übereinander liegenden, mit triefendem Pinsel erbauten Mauern, womöglich gar unter dem beinahe schwarzen Hintergrund des Gemäldes.
Schweigsam unterließ der Künstler das Mustern der sein Kunstwerk Besehenden. Gälte sein Schaffen dem Beschauen der Reaktionen seiner Rezipienten, so hätte er an des Pinsels statten seinen Mund zum Werkzeug erwählen sollen; sei es für den rednerischen Vortrag, sei es für die geschäftliche Überzeugung von Kunden.
"Es wirkt wie ein einziges Durcheinander", bezeichnete sie die Leinwand, auf welcher sich ebenjenes strichhafte Schauspiel rankte. Sicherlich wähnte sie ihre Worte als Urteil, tatsächlich beschrieb sie bloß den veranschaulichten Gegenstand, die minutiös verbildlichte Metapher des Gemäldes.
Er sandte die Mine klickenden Klanges zurück in den seinen Fingern gleichenden, dürren Kugelschreiber und nahm das soeben beschriebene Papier von dem bunt befleckten Schreibtisch. "So ist es wohl." Während er an ihr vorbei zu der Leinwand schritt, strich er einen Klebestreifen über die Oberkante des dermaligen Schildes, ehe er dieses sorgsam an die einst weiße - nun, zwischen den Hinterlassenschaften euphorischen Malens, graue - Wand neben das vollendete, behandelte, schließlich beschreibend bewertete Kunstwerk heftete. Etwas schief hängend, benannte das Papier es durch seine geneigten Handschrift als Der Verstand.