Das Handtuch hatte ich nur für meine Tasche und die Kleider ausgebreitet. Ich selbst saß im kühlen und oft nassen Gras. Nackt. Nun wurden die Tage kürzer und das Wasser des Sees kälter. Der Sommer war vorbei und nur selten wagte jemand einige Schritte in den See. Bis zu den Knien oder den Schenkeln, keiner drehte noch seine Runden in ihm. Dafür drehten die Spaziergänger ihre Runden auf dem Wanderweg an seinem Ufer. Ich nicht. Ich saß nackt im kühlen und nassen Gras. Zu Beginn des Herbstes, als die Oktobersonne golden durch gelbbraune, orange, rot, braun und rostrot erstrahlendes Herbstlaub schien, sonnten sich noch andere unbekleidet auf der Wiese.
Die Tage wurden kürzer und kürzer, das Herbstlaub fiel zu Boden, um wieder zu Erde zu werden. Ein Blatt glitt langsam und gemächlich durch die Luft und landete auf meinem Rücken. Wie in der Sage von Siegfried, aber zu mir kam kein heimtückischer Hagen. »Sie haben da was!« Freudestrahlend hielt eine kleine, schwarzhaarige Frau das Blatt in der Hand, tätschelte meine nackte Schulter und eilte davon.
Immer niedriger zog die Sonne ihre Bahn an einem grauen Himmel. Keiner sonnte sich mehr. Die Fußgänger am Uferweg hüllten sich in Jacken und Mäntel und trugen schweres Schuhwerk. Nur ich blieb nackt. Nackt saß ich im nassen Gras und kühl und kalt strich die Luft über meine Haut. Im Sommer und zu Beginn des Herbstes hatte ich oft ein Buch hervorgeholt und gelesen. Buch und Lesebrille auf der Nase setzten Akzente. Nun war es dafür meistens zu dunkel. Meine Augen waren auch nicht mehr so gut wie in jungen Jahren.
Einmal wurde ich vom Regen überrascht. Den Schirm, den ich stets bei mir trug, spannte ich über meine Tasche, Hose und Pullover, damit die Sachen nicht nass wurden. Mich selbst konnte ich ja abtrocknen. Schlimmer war der Tag, an dem ich plötzlich musste. Ich richtete mich auf und sah nach meinen Klamotten – keine Zeit, sie noch anzuziehen und zur Toilette an der Kreuzung zu gehen. Die Zeit reichte, um zwischen die Bäume jenseits von Uferweg und Liegeweise zu flitzte, mich hinhockte und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nackt. Herbstlaub diente mir als Klopapier.
»Fertig?«
Die drei standen um das Handtuch, auf dem Tasche und Klamotten lagen. Zusammen mochte sie so alt sein wie ich. Wenn ich angezogen war. Jetzt war ich nackt. Mit bis zum Hals klopfendem Herz hocke ich mich wieder hin. Blicke war ich gewohnt. Mehr als einmal hatte ein Spaziergänger den Kopf in meine Richtung gewandt. Auch Bemerkungen gemacht. Aber nicht so nah. Ein Bengel nahm seinen Computer heraus (für mich waren diese Dinger allesamt Computer, egal wie smart und phone sie gerade hießen) und fotografierte mich. Es war vielleicht nicht das erste Mal, ein Spaziergänger mochte es schon getan haben, ohne dass ich es merkte. Aber nicht so nahe. »Klack« – noch eins! Trotzig rieb ich meinen Spalt – es klackte wieder und einer war über mir. In mir! Ich konnte nicht anders als ihn machen lassen und alles ging wie von selbst, Beine breit, die Knie angewinkelt, die spitzen Brüste empor gereckt. Er biss in eine Zitze und wollte meinen Mund. Für einen fordernden, alles in mir entblößenden Kuss.
»Dreh dich!«
Auf den Bauch. Ich kannte das und zog meine Arschbacken auseinander. Um ihm das Eindringen leichter zu machen. Damit es mir nicht so weh tat. Es tat weh.
Lang ausgesteckt lag ich im Gras. Keiner war mehr auf mir. Ich zwang mich hoch und tappte über den betonierten Uferweg zum See. Ihre Blicke folgten mir. Das kalte Wasser machte mich wieder klar. Mit den Händen formte ich eine Schale und spritzte es auf Brüste und ins Gesicht. Jauchzte. So war es immer hinterher. Die Bengel lachten.
»Aufpassen!«
Der, der mich zuerst gehabt hatte, nahm meine Hand und halft mir über die glitschigen Steine im flachen Wasser zurück ans Ufer.
Nichts passiert.
Außer, dass jetzt einige Bilder mehr von mir im Netz die Runde machten. Vielleicht auch ein Filmchen. Meine Karriere konnte ich dadurch nicht versauen. Denn ich hatte keine. Als Geisteswissenschaftlerin jenseits der Sechzig war ich schon lange auf dem Abstellgleis. Von Old Boys Networks rausgemobbt, von drei Jungschen vergewaltigt.
Die Jungschen waren mir lieber.
Das Arschloch tat weh. Kein Wunder nach drei hintereinander.
Es war fünf und wurde schon dunkel. Viel zu früh, wie immer, wenn wir wieder Winterzeit hatten. Ich zog mich an und ging. Sie gingen auch und ich sah sie nie wieder. Ein Abenteuer ohne Folgen.
Dachte ich.
Wieder saß ich im Gras, Anorak, Jeans und Rollkragenpullover neben mir. Spaziergänger machten die Runde um den See, einige mit Hunden. Die Hunde trugen Halsband und waren an der Leine, deren Schlaufe von Herrchen oder Frauchen gehalten wurde. Ein Paar hatte Leine und Halsband, aber keinen Hund. Mann und Frau waren gleichermaßen groß und breitschultrig und in ihren Lodenmänteln noch imposanter. Sie schritten einher, als ob ihnen die Welt gehörte. Sie schritten zu mir, als ob ich ihnen gehörte. Er hielt mir einen dieser Computer, die nicht Computer hießen, vor das Gesicht. Sein Monitor zeigte mich nackt im Gras und den Halbstarken, der auf mir rammelte. Hatte ich wirklich gestöhnt? Ja, und seine Kumpel hatten gelacht und mitgetan. »Bist du das?«
»Ja.« Ich zuckte die nackten Schultern.
»Haben sie dich gezwungen? Richtig, meine ich.« Zweifelnd sah die Frau auf mich herab.
»Nein. Es kam alles … so plötzlich, aber – nein!«
»Dann komm!«
Sie sah zu meinen Sachen, er schüttelte den Kopf. Nun wusste ich, für wen Leine und Halsband bestimmt waren. Für mich. Angeleint ging ich zwischen ihnen über das Gras und einige Stufen hoch. Meine Kleider blieben zurück, Haustürschlüssel und Fahrkarte auch. Regen setzte ein und lief kalt übermeine Haut. Mein Schirm blieb auch zurück. Ich blieb zurück. Die beiden hatten ihren Wagen nicht weit entfernt geparkt. In ihm war viel Platz, auch für die Hündin, die sich auf dem Rücksitz an der Seite ihrer Herrin kuschelte, um gestreichelt zu werden.
»Ja, das gefällt dir … haben dich die drei nochmal vergewaltigt?«
… schluckte … konnte nur den Kopf schütteln … mehr Streicheln, sie tätschelte den Halsansatz so, wie es die Hündin am liebsten hatte. Es machte »klack« und die Herrin steckte ihren Computer weg und sagte zum Herrn: »Für Ulf und Gertraud. Sie kommen nachher zum Essen und ich habe ihn ein Foto von unserem neuen Haustier geschickt.«
»Ah, ja.« Er nickte, mit sich und der Welt zufrieden.
Sie lachte, der Herr startete den Motor, um nach Hause zu fahren. Nach kurzer Zeit endete die Fahrt im Hof eines der weitläufigen und teuer aussehenden Häuser, an denen ich auf dem Weg zum See unzählige Male vorbei gegangen war. Ulf und Gertraud kamen und beide amüsierten sich über das Filmchen, auf dem drei Halbstarke das neue Haustier ihrer Gastgeber rannahmen. »Wie sie quiekt!« Gertraud lachte übers ganze hagere Pferdegesicht. Ihr Mann machte da weiter, wo die drei aufgehört hatten. »Jetzt kriegst ‘n richtigen Kerl!« Der richtige Kerl war ausdauernd und unermüdlich, wusste aber gut mit dem Haustier seiner Gastgeber umzugehen. Zusammengerollt lag die Hündin auf seinem Schoß und ließ sich nur zu gern von ihm streicheln. »Ich bin auch noch da!« Der gute Umgang gefiel seiner Frau überhaupt nicht. Die Hündin musste weg! »Komm!« Sanft, aber bestimmt zog die Herrin an der Leine und scheuchte ihr Haustier auf den Rücksitz ihres Autos, um sich vor das Lenkrad zu setzen. Wenig später hielt sie am See. »Soll ich …?«
Stummes Kopfschütteln, ein nackter Leib huschte aus dem Auto, nackte Füße tasteten sich in Dunkelheit Stufe um Stufe herunter und traten auf Gras. Motorengeräusch erklang und wurde rasch leiser – die Herrin fuhr zurück zur Abendgesellschaft.
Nackt und allein blieb ich zurück. Was konnte schon passieren? Die Sachen lagen noch da, vom dunklen Schirm vor Regen und neugierigen Blicken geschützt. Ich holte die Taschenlampe hervor, legte sie auf das Handtuch und schaltete sie ein. Noch immer nackt stand ich in ihrem Schein und schüttelte meine nassen Haare. Wie eine Hündin.
Tage später saß ich wieder im Gras. Nackt. Wie ich es ein- oder zweimal die Woche tat. Ab und zu kamen Spaziergänger vorbei, manche mit einem Hund an der Leine. Der November neigte sich dem Ende zu. Der Wind hatte das letzte Herbstlaub von den Zweigen geweht und die Bäume standen kahl. Kalt, aber nicht unangenehm strich der Wind über meine Haut.
Ich saß da, das linke Bein angewinkelt, die Arme um die Wade geschlungen und das Kinn auf dem Knie. Das rechte lag ausgetreckt im Gras und wer wollte, konnte die Votze sehen. Ein Ehepaar, beide noch zwanzig Jahre älter als ich, wollte. »Ist das nicht ein bisschen kalt, junge Frau?« Ich musste grinsen. Junge Frau! Mir wurde allerdings kalt und ich stand auf, um die Thermoskanne mit Tee aus meiner Tasche zu holen. Langsam, sehr langsam und in aller Ruhe bückte ich mich über die Tasche, den Rücken zu ihnen gewandt, damit sie auch mein Arschloch sehen konnten.
»Wollen Sie auch?«
Er schüttelte den Kopf, sie nahm dankbar den Becher mit dampfendem Tee und leerte ihn. »… oh …« »Ist noch genug da.« Nun trank ich, seine Hand patschte auf meinen Schenkel und seine Frau lachte. »Sie ist kein Geist, Egon.«
»Dann kann sie mir auch einen blasen.«
Ja, geblasen zu werden war sehr bequem. So waren die Männer. Ich hatte mich schon vor langer Zeit damit abgefunden.