Fremont
Ich trete die Kellertreppe hinab, mit jedem meiner Schritte klackert auch mein Gehstock auf den steinernen Stufen. Ich schließe die Finger enger um den metallenen Bärenkopf, der am Griff der schwarzen Gehhilfe sitzt. Das kalte Metall dringt sogar durch den dünnen Stoff meiner weiß-schwarzen Handschuhe. Es ist nicht so, dass ich sie wirklich brauchen würde. Ich bin kerngesund.
Mal abgesehen von meinen skelettierten Händen, die ich durch das häufige Nutzen schwarzer Magie völlig ruiniert habe. Ich kann sie zwar immer noch bewegen, allerdings spüre ich nur noch ein taubes Kribbeln darin.
Vermutlich mag ich genau aus diesem Grund den Gehstock so sehr. Er ist eine geeignete Waffe im Nahkampf und hilft mir sogar, Flüche zu wirken.
Als ich die letzte Stufe erreiche und auf den staubigen Kellerboden trete, sauge ich die feuchte Luft tief ein. Zu dem verwitterten Geruch mischt sich ein feiner Hauch von Wein und modrigem Holz, das von den alten, mittlerweile leeren Weinfässern stammt. Mein Blick schweift durch den schmalen, langen Flur, von dessen Seiten rechts und links je vier weitere Räume abgehen, die von schwarzen gusseisernen Gittern verschlossen sind. Ein paar wenige Lampen werfen ihren hellen Schein von der hohen Decke auf mich nieder und entblößen die Schlichtheit der Kellerräume. Ich bin hier am liebsten. Die Abgeschiedenheit des Kellers wirkt beruhigend auf mich, ganz anders als der Stuck und das Geschnörkel, sowie all die antiken Möbel und altgriechischen Statuen meiner verstorbenen Mutter, die die restliche Villa säumen. Sie hat es als Romantik bezeichnet. Doch meiner Meinung nach muss ein Zuhause pragmatisch und sicher sein. Und nicht voll gestellt mit viel zu treuem Plunder, den sowieso niemand braucht. Ich halte nichts von Romantik. Und sicher auch nichts von der Liebe.
Als ich an der letzten Zelle ankomme, schiebe ich meine Gedanken beiseite und konzentriere mich auf meine Aufgabe. Ich ziehe den Schlüsselbund aus meiner Manteltasche und öffne das Gittertor mit zittrigen Fingern. Mit einem lauten Quietschen öffne ich es nach innen und trete ein, schließe es sicherheitshalber wieder hinter mir und verstaue den Schlüssel wieder in meiner Tasche. Ich greife nach meinem Hut um ihn kurz anzuheben, als Gruß in die Richtung der jungen Frau, die mich aus ihren silbergrauen Augen heraus anstarrt. Ihr Blick steckt voller Hass.
„Bitte lassen Sie meinen Freund gehen, es geht ihm wirklich schlecht!“ Sie deutet mit einem energischen Kopfnicken in die hinterste Ecke, auf den rothaarigen Mann, der schon seit ich sie hergebrachte habe, ohnmächtig in seinen Fesseln hängt. In seinem nackten Schoß liegt eine der roten Decken aus meinem Wohnzimmer, damit mich seine Blöße nicht noch mehr als nötig anwidert. Seine Kleidung habe ich versehentlich bei unserer...Auseinandersetzung etwas in Mitleidenschaft gezogen.
„Ich befürchte, das kann ich nicht tun.“ Ich setze den Hut wieder auf und trete näher an die weißhaarige Frau heran, die an ihren Ketten reißt und versucht nach mir zu treten.
„Was wollen Sie von uns?“
Ich streiche mir durch den Bart und mustere sie prüfend. Die Wunde in ihrem Gesicht, die ich ihr bei unserer kurzen Begegnung verpasst habe, ist fast komplett verheilt. An ihrem weißen Haar klebt getrocknetes Blut. Sie scheint sich also noch schneller heilen zu können, als ich angenommen hatte.
„Ich stelle hier die Fragen“, entgegne ich monoton.
Der Hass in ihren Augen scheint heranzuwachsen. Genau das, was ich damit bezwecken wollte.
„Wo ist der Schicksalswolf?“
Sie zieht fragend die Augenbrauen nach oben. „Schicksalswolf?“
Ich hole mit meinem Stock aus und schlage ihr wuchtig gegen die Rippen, bohre dann mit der Spitze in ihren Bauch. „Verkauf mich nicht für blöd.“
Sie schreit unter den Schmerzen auf, reißt den Kopf nach unten und keucht angestrengt. Ihr langes Haar verdeckt ihr Gesicht. „Ich weiß nichts von einem Schicksalswolf“, erwidert sie mit zitternder Stimme, ringt noch immer nach Atem.
Ich hole erneut aus, zuerst setze ich zu einem Schlag an, der ihre Beine mit einem lauten Knacken wegreißt. Sie schreit noch leidvoller auf als zuvor und lässt sich auf den Boden sinken, dabei schneiden ihr die metallenen Fesseln noch enger in die gerötete Haut an ihren Handgelenken.
So schnell wird sie sich nicht mehr aufrichten können, so verdreht wie ihr rechtes Bein auf dem Boden liegt. Der nächste Hieb trifft sie mitten ins Gesicht, ein lautes Aufkeuchen scheint ihr die Luft aus den Lungen zu drücken. Sie spuckt Blut und für einen Moment erhasche ich einen Blick auf ihre Augen, die mehrmals blinzeln. Sie kämpft wohl gegen die Bewusstlosigkeit an. Ich fahre mit der Spitze des Stocks unter ihr Kinn und hebe es an, damit sie mich ansehen kann. Die junge Frau sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, aus der Platzwunde an ihrem Wangenknochen rinnt Blut heraus. „Bist du immer noch der Meinung, dass du nichts vom Schicksalswolf weißt? Dabei bist du doch sein Schützling.“ Ich knie mich zu ihr herunter, schenke ihr ein eisiges Lächeln und drücke ihr mit meinem Bein direkt auf den Knochenbruch. Sie wimmert, Tränen schießen aus ihren Augenwinkeln. „Du kannst mich nicht zum Narren halten.“
„Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen“, flüstert sie. Ihre Stimme bebt fast genauso stark, wie ihr restlicher Körper. „Aber selbst wenn ich es wüsste, würde ich nichts verraten.“
Da spricht wohl noch die Wölfin aus ihr heraus, aber nichts macht mehr Spaß als ihren Willen zu brechen und ihr zu zeigen, was sie momentan wirklich ist. Ein schwacher, verletzlicher Mensch.
Ich erhöhe den Druck auf ihr Bein, genieße die Qualen, die sich in ihren Augen widerspiegeln und die leidvolle Grimasse, zu der sich ihr geschundenes Gesicht verzieht. „Mistkerl!“, zischt sie und spuckt mir ins Gesicht. Ich wische mir mit den Handschuhen ihren Speichel, der sich durch etwas Blut rot gefärbt hat, von der Wange und rümpfe angewidert die Nase.
„Wie mir scheint, muss ich dich erst einmal richtig erziehen, bevor du noch mehr Unfug anstellst und meinen Plan in Gefahr bringst.“
Ich erhebe mich und löse die metallene Kappe an meinem Gehstock, an dessen Spitze nun das eingefasste Stück Drachenknochenkreide zum Vorschein kommt. Ich zeichne einen Kreis um den Holzbalken, an den der kleine Wildfang gekettet ist. Dann füge ich mit zittrigen Bewegungen die geschwungenen Linien der Runen hinzu. Als ich mein fertiges Werk zufrieden betrachte, stecke ich den Verschluss schnell wieder auf die Spitze des Gehstocks und trete einen Schritt zurück. Ich schließe die Lider und atme tief durch. Zuerst muss ich loslassen und meine Sinne befreien. Dann konzentriere ich mich auf die Dunkelheit in meinem Inneren und beschwöre sie herauf. Ich fühle einen kalten Luftzug um meine Beine streichen und weiß auch ohne hinzusehen, dass schwarzer Nebel vom Boden aufkommt. Ich konzentriere mich auf die Finsternis und versinke vollkommen darin. Schließlich schlage ich die Lider auf und fixiere die Wolfsfrau vor mir, richte meine Magie auf die zierliche Gestalt und gebe die Dunkelheit frei.
Der Nebelschleier verschlingt sie und wird immer dichter um mein Opfer. Ich sehe sie noch einmal panisch zucken und an den Ketten reißen, ehe das Schwarz sie komplett eingehüllt hat. Entsetzliche Schreie dringen aus ihrer Kehle. Immer wieder und wieder. Doch bereits nach wenigen Minuten verebben sie, lediglich ihr angsterfülltes Stöhnen und Keuchen füllt den Raum.
Es hat mich Jahre gekostet einen Fluch wie diesen zu erlernen. Albtraum-Nebel. Für jeden Außenstehenden wirkt es einfach nur wie eine dunkle Wolke, doch der, auf den der Fluch übergeht, erlebt die schlimmsten Albträume, die aus den Tiefen des Herzens entstehen. Und obwohl es nur Halluzinationen sind, wirken sie beängstigend real. Ich selbst habe es am eigenen Leib erfahren, glücklicherweise nur ein einziges Mal zu Testzwecken. Und das hat mir gereicht.
„Aufhören.“ Ihre flehende Stimme dringt heiser hervor, bricht dann ab. Ich warte noch einen Moment, genieße die Verzweiflung, die aus ihrer Stimme nachklingt. Mein Blick heftet sich auf das weiße Ziffernblatt der Uhr, die an der Steinmauer mir Gegenüber hängt. Als der Minutenzeiger eine Stelle weiterrutscht, beende ich den Zauber mit einer raschen Handbewegung.
Die Weißhaarige lehnt zusammengekauert an dem hölzernen Pfosten, ihre Augen sind vor Schreck geweitet. Jeglicher Hass ist unbändiger Angst gewichen. Zufrieden lächele ich.
Dann können wir ja jetzt anfangen.