In den kommenden Monaten gab es weitere Expeditionen in die Dörfer des Feenlands. Jedes Mal kamen sie mit neuen Geschichten über die Exzentrik der Dorfbewohner zurück. Diese nannten sich jetzt Feen, nach dem Land, das sie so fleißig „umbauten“. Sie hatten eine neue Gemeindeordnung für ihre Dörfer aufgestellt, in der alle Feen die gleichen Rechte hatten. Und – das Seltsamste von allem – sie hatten damit begonnen, die Samen der Ranken im Wald aufzusammeln, damit keine neuen Ranken mehr wachsen konnten. Ja, sie holzten die Ranken sogar aktiv ab, um Platz für große Mengen an Bäumen zu schaffen. Dem Unterfangen wurden in den Höhlen keine sonderlich großen Erfolgschancen eingeräumt. Die Feen schienen jedoch fest davon überzeugt, dass ihre Prophezeiung ihnen Baumwälder und blühende Obstwiesen versprochen hatte, und dass es auch genau so kommen würde. Immer wieder trafen Trupps von Feen in den Höhlen ein, die mit den Pimpfen dort Handel trieben und ihnen Unterstützung beim „Umbau“ ihrer eigenen Umgebung anboten. Die Höhlenbewohner ließen sich gerne darauf ein, mit den Feen neue Erfindungen von beiden Seiten auszutauschen. Als die Feen jedoch vorschlugen, man könne die Wälder rund um das Zwerggebirge von Ranken befreien, um dort später Obst von den Bäumen ernten zu können, lehnten die Höhlenbewohner ab. Die Wälder waren viel zu weit von den Bergen entfernt, als dass man dort hätte sicher arbeiten können. Es bestand keine Chance, rechtzeitig in die Höhlen zurückzukehren, wenn der Himmel einzustürzen begann. Und schließlich konnte niemand voraussehen, wann es so weit sein würde. Besser, man blieb auf der sicheren Seite. Und so sah das Feenland bald sehr anders aus als die Landschaft rund um die Berge. Die Wälder bestanden wieder aus Bäumen, und die Feen gewöhnten sich an, jedes Jahr zur Zeit der Obsternte ein großes Obstfest zu feiern. Die Wilden Tiere fanden keine Verstecke mehr zwischen den Bäumen und zogen sich weit in die verbliebenen Rankenwälder zurück.
„Seht ihr?“, fragten die Feen. „Jetzt gibt es keine Ranken und Monster mehr im Feenland, dafür gleiches Recht für alle und blühende Obstwiesen mit mehr Obst, als wir alle zusammen essen können.“
„Aber der Himmel, der ist noch da!“, beharrten die Höhlenbewohner, die jetzt Zwerge hießen.
Unter den Pimpfen im Zwerggebirge hatte sich nämlich, nachdem sie über mehrere Generationen hinweg dort gelebt hatten, nach und nach die Selbstbezeichnung Zwerge eingebürgert. Die jüngeren Zwerge betrachteten das Leben in Höhlen als Teil ihrer Kultur und brachten es immer weniger mit dem Großen Umbau in Verbindung. Sie schürften in den Tiefen der Berge nach nützlichen Metallen und weideten tagsüber ihre Schafe an den Berghängen. Nachts über zogen sie sich in die Höhlen zurück, einfach, weil man nun einmal wusste, dass es dort sicherer war. Die Legende vom Großen Umbau erfreute sich weiterhin großer Beliebtheit, man sah sie jedoch als eine Legende über ein großes und dramatisches Ereignis an, von dem man nicht wusste, ob es je eintreffen würde. Eine Splittergruppe, die sogenannten Tiefenzwerge, bestanden darauf, dass der Große Umbau unmittelbar bevorstünde. Da sie sich auch in den näher an der Erdoberfläche gelegenen Höhlen nicht mehr sicher fühlten, zogen sie sich immer tiefer in die Berge zurück und begannen, sich von den übrigen Zwergen abzuschotten. Sie verließen ihre Stollen lediglich für missionarische Streifzüge, bei denen sie Zeitschriften voller Warnungen über das baldige Ende an ihre Mitzwerge verteilten und lauthals verkündeten, dass nur die Auserwählten den Einsturz des Himmels überleben könnten. Unter den Zwergenkünstlern in den höher gelegenen Höhlen etablierte sich ein neuer Stil der Malerei, der den Großen Umbau ohne Monster und Prophezeiungen, sondern als große Naturkatastrophe darstellte. Junge wie alte Zwerge bezahlen bis heute gerne Geld, um sich diese Bilder in ihren Museen anzusehen. Zwischen den Zwergbergen und dem Feenland liegt heute eine große Handelsstraße, auf der reger Betrieb herrscht. Die Zwergenhändler, die über diese Straße ins Feenland reisen, gelten unter den Zwergen als sehr, sehr mutige Männer. Immerhin besteht auf der ganzen Straße keinerlei Möglichkeit, in einer sicheren Höhle zu schlafen …