In Erinnerung an Mimi, Alkina, Rita, Ariana
„Divide et impera – Teile und herrsche“
Ludwig XI
Immer, wenn ich Kühe freilaufen sehe, geht mir das Herz auf. Vielleicht erinnert mich das an Urlaubserlebnisse in den Alpen, oder an das befreiende Gefühl, als ich meinen Kühen vor 15 Jahren endlich, nach dem Stallumbau, die Ketten abstreifte, und sie sich im Stall frei bewegen konnten.
So auch diesmal: Was für ein wunderbarer Anblick. Vier schöne Fleckvieh-Rinder laufen hintereinander von rechts nach links durch mein Blickfeld. Doch irgendwas irritiert mich. Ich habe gerade einen geliehenen Autoanhänger zurückgebracht und fahre von Röthlein kommend auf die Hauptstrasse in Schwebheim zu. In Unterfranken gibt es wenig freilaufende Rinder, die Niederschläge sind zu gering für eine vernünftige Weidehaltung. Noch weniger Kühe gibt es auf Strassen, gar auf einer viel befahren Hauptstrasse! Kein einigermaßen verantwortungsbewußter Bauer läßt seine Kühe auf der Hauptstrasse frei laufen. Ergo: diese Tiere bewegen sich ohne ausdrückliche Zustimmung ihres Betreuungspersonals. Außerdem benutzen sie die rechte Fahrbahn ( immerhin) aber nicht den Gehsteig. Nach kurzer Durchsicht der viehhalteten Betriebe des Dorfes vor meinem geistigen Auge komme ich zu der Erkenntnis: Es gibt nur noch einen. Das sind meine!
Trotz mittäglicher Müdigkeit bin ich plötzlich hoch motiviert. Ich fahr rechts rann, steig aus, lauf auf sie zu.
„Wo hast du die Kühe hingetrieben?“ fragt meine Frau. „ Na da, auf die Wiese am Bach! „Eine gut Weide ist der beste Zaun!“ heißt es doch. Von hieraus können wir sie leicht über die Felder zum Hintereingang unseres Hofes treiben.“. Inzwischen hatte ich die Rinder durch eine Häuserlücke auf die Wiese getrieben, und bin heim, um Verstärkung zu holen. Erika hatte den Ausbruch des Jungviehs bereits bemerkt und die Tiere in den Stall getrieben- bis auf vier; die waren durch die Gartentür auf die Felder hinter den Hof gelangt. Holger, unser Lehrling kam auch gerade von der vormittäglichen Feldarbeit, und so machten wir uns auf zur 200m entfernten Wiese. „Ich seh’ aber keine!“ meint Erika. „Die müssen aber da sein!“ sag´ ich verärgert. „Die Wiese ist von drei Seiten begrenzt, und von der offenen Seite kommen wir.“ erkläre ich und scanne die Wiese mit den Augen ab. Wo waren die nur hin? So hoch ist das Gras Mitte Mai auch nicht, dass sich vier fast ausgewachsene Rinder verstecken könnten. „Oh-Oh“ raunt Holger vielsagend. Ich folge seinem Blick und brauche ein paar Sekunden um das Gesehene in einem terminologischen und kuhpsychologischen Zusammenhang zu stellen. Ich sehe vier grasende (besser gesagt kopfsalatende) Rinder in einem Kleingarten – jenseits- des Baches. Der Bach ist hier 3 Meter breit und die vier Polygaster sind trocken. Da ist zwar ein 80 cm breiter Steg über dem Bach, aber...- keine 10 Pferde würden die Tiere über einen so schmalen offenen Steg...- andererseits Kopfsalat, scheint doch interessanter zu sein als Wiesengras, sodass ein paar eingefleischte Fahrbahnbenutzer zu Fußgängern mutieren. „Und jetzt? Zurück über den Steg bringen wir die nicht mehr!“ bringt meine Frau unser neues Problem auf den Punkt. „Also gut; am Bach entlang Richtung Osten zur Schulstrassenbrücke, rechts über die Brücke und dann zurück über die Felder zum Hof.“ gebe ich klar für alle Anwesenden meine Strategie bekannt. Die Rinder haben offensichtlich auch gut zugehört und laufen gleich los, nur nach dem halben Kilometer leichtem Trab, an der Schulstrasse angelangt, verwechselt eine rechts mit links und schlägt sich in die Büsche. „Holger ! Ihr nach.“ zeige ich meinem Azubi. Holger schlägt sich ebenfalls in die Büsche. Erika und ich schaffen es irgendwie die anderen drei nach Plan Richtung Hof zu treiben. Ist’s der Blick auf den Hof oder das freie frisch-gesääte Sonnenhutfeld, das unsere Ausreißer antreibt. Wir versuchen jedenfalls auf gleicher Höhe mit zu rennen, damit sie seitlich nicht ausbrechen können. Holger ist zwar allein, dafür hat er auch nur eine Dame zu betreuen. Bei uns liegt das Tier-Treiber-Verhältnis mit 3:2 wesentlich ungünstiger. Aber was heißt hier Treiber, eher Hinterherhechler. Die Tiere geben die Richtung vor und vor allem das Tempo-.50 Meter vor dem Hof zieht sich ein Graben quer zu unserem Weg über die Felder. Die Tiere biegen nach links ab, entlang am Graben bis zum Schloßweg. Eine lässt sich nach dem Graben wieder leicht links durch den Garten in den Hof treiben. Hurra, die erste ist eingelocht. Die anderen zwei sind im Schloßweg verschwunden. Beidseitig des Weges sind Zäune, die nur eine Richtung zulassen: zum Kirchplatz. Dort angelangt kann ich meine Fährtensucherkenntnisse auf dem Sand-Schotter-Belag voll ausspielen. Zwischen den Fußspuren von Spinnen, Vögeln und Katzen erkenne ich : Paarhufer. Die Spuren führen nach rechts Richtung Kirche. Ob sie geistlichen Beistand gesucht haben? Nein- die Spur geht am Pfarrhaus vorbei. „ Wolfgang , Erika!“ ruft uns Ludwig B. Er steht vor seinem Haus und lacht uns an. „ Sucht Ihr was?“ „Wieso, hast Du was gefunden?“, frage ich zurück. „Ich bin g’rad zum Essen heim kommen, als mei' Frau vom Balkon aus ruft : `Da kommen zwei Kühe.` Die sind schön gemütlich an den Häusern entlang rauf gelaufen. Da bin ich hier steh'n geblieben, und die sind in den offenen Hof vom Krakennest. Dann hab' ich des Tor zugemacht.“ schließt er seinen Bericht ab. Tatsächlich im Hof der Gaststätte stehen ein Paar Paarhufer, als würden sie auf den Wirt warten. Der ist aber nicht da. Heute ist Ruhetag. Ludwig bietet sich an, einen Pferdeanhänger zu holen. Erika will sich nach Holger umschauen (ach ja Holger, wie geht’s dem überhaupt ) und unsere Tochter vom Kindergarten abholen. Ich bewache die beiden Rinder und verschnaufe etwas. „Alles klar, Wolfi ?“ Freddi B. der Sohn von Ludwig taucht mit ihrem ukrainischer Praktikanten auf. Ich hasse es, wenn er mich so nennt, erkläre ihm aber trotzdem die Sachlage. „Des macht nur dein Bio-Futter, das deine Kühe so wild sind und ausbrechen.“ erklärt mir der angehende Landwirtschaftsmeister. Ein herannahendes Motorengeräusch kündigt Ludwigs Geländewagen an. Das erspart mir weitere Erkärungsversuche Freddis zum sonderbaren Verhalten meiner Tiere. Ludwig kommt zwar ohne Viehanhänger, dafür mit einem anderen Vorschlag.: „Bei drei Anhängern war ich, alle abgeschlossen, und kein Besitzer aufzutreiben.-“ Ich finde es ja vollkommen unverständlich, dass die Leute ihre Sachen abschließen, vor allem wenn sie nicht da sind. Wie soll man sich da etwas ausleihen können? „ - aber wir könnten doch folgendes machen:“ sagt Ludwig, und reist mich aus meinen Gedanken. „Sergeij, du holst hinten aus dem Schuppen vier lange Stangen. Wir sind zu viert, und bilden mit den Stangen ein Quadrat um die Viecher. Einer geht vor, einer hinter, und je einer seitlich von den Viechern. Und so führen wir sie zu deinem Hof zurück.“ Hm, könnte funktionieren, denke ich. Immerhin sind wir jetzt doppelt so viel Treiber wie Tiere. „Okay,“, sag ich, als Sergeij mit vier 5 Meter langen Dachlatten wiederkommt. „ so machen wir's.“ Jeder nimmt sich eine Stange und Freddi öffnet das Tor. Ich gehe in den Hof und versuche die Kalbinnen hinaus zu treiben, die anderen drei warten vor dem Hof. Aber die Tiere spielen mit mir „blinde Kuh“ und drehen nur im Hof ihre Runden, bis Ludwig auch mit rein kommt. Jetzt gelingt es uns sie aus dem Hof zu schieben, aber draußen fehlt ein Mann. Ausserdem rechnen die Kühe nicht mit dem Kopf sondern mit den Beinen! Zwei mal vier Beine ist genau so viel wie vier mal zwei Beine. Und sie müssen sich nur zu zweit abstimmen. Während wir uns noch beraten, wer vorne und wer hinten läuft, sprinten die Beiden Richtung Schlossweg los. Wir wollen auch unsere Beine in die Hand nehmen, geht aber nicht, da sind ja schon die Stangen. So bleibt uns wieder nur das Nachrennen. Wir können sie soweit einholen, dass sie durch den Schlossweg wieder zurück rennen und sogar am Ende links abbiegen. Hier erweisen sich allerdings die starken, vor allem, personellen Mängel unseres Plans. An der hinteren Hofeinfahrt steht niemand, der die Tiere in den Hof leiten könnte. Und so rennen sie, im vollen Galopp – vorbei, weiter Richtung Hauptstrasse. Was uns jetzt fehlt ist erstens Personal, zweitens eine Idee, drittens der Atem und viertens immer noch die Rinder. Diese Runde geht an das animalische Team. Infolge einer Verschnaufpause unsererseits werden auch die Tiere langsamer, und schlendern, diesmal auf dem Gehsteig an der Hauptstrasse entlang Richtung Schweinfurt. Wir folgen ihnen mit 20 Metern Abstand. Freddi erweist sich mittels Mobilfunk als mobile Mobilisierungsinstutition. Unsere menpower kommt in Form von drei women: Helga, Gabi und Uschi. Als die Tiere an einem offenen Hof vorbeikommen, läßt sich eine von ihrer Neugier verleiten und geht in die Falle. Ein Hoch auf die fränkische Bautradition, die den Hof mit hohen Mauern umschließt. Freddi wird zur Bewachung abgestellt. Der Rest geht weiter. Zum dritten Mal über den Unkenbach, diesmal auf der Hauptstrasse. Die letzte Ausreißerin wird in einem tiefer gelegenen Garten an der Ecke Hauptstrasse-Gochsheimer Weg gestellt. Wir umstellen den Garten. „Hallo, Papa!“ Jonathan unser 9 jährlicher Sohn steht unvermittelt neben mir. „Die Mama hat mich zum Holger geschickt. Den hab‘ ich bei den Kleingärten mit einer Kuh gefunden. Er hat sie in so einem Wiesenstück, mit Zaun aussenrum. Er sagt er hält sie in Schacht bis du kommst.“ „Super, so übel ist der Kerl ja gar nicht. Okay, du gehst zurück zum Holger. Wir kommen dann, nachdem wir Dieda überführt haben.“ erwidere ich, froh über diese gute Nachricht. „Könnt‘ mer die nit mit dem Hofschlepper und Strick abschlepp'?“ meint mein Vater, der sich irgendwann der Treiber-und-Such Truppe angeschlossen hatte. Endlich ein Vorschlag, der sich als praktikabel und erfolgreich erweist. Dank, der auf Biobetrieben bevorzugten Rinderhaltung mit Hörnern, lassen sich die Rinder mit Seil einfangen und mit meinem Schäffer abschleppen. Jetzt, da alle irgendwie eingesperrt sind, können sie nicht ausweichen, bis der Strick um die Hörner und am Traktor befestigt ist. Vier-Huf-Antrieb gegen Vier-Rad-Antrieb, und eine Kuh-Stärke gegen 27 Pferde-Stärken lassen ihnen nicht wirklich eine Chance. So werden alle drei nacheinander ohne Probleme heimgeführt.
Dreieinhalb Stunden hat diese ganze Aktion gedauert, uns einen enormen Muskelkater am nächsten Tag beschert, ein paar Fleischpakete für die Mithilfe und verwüstete Gärten gekostet und mich zu folgendem Lied inspiriert:
Vier freche Kalbinnen die reisten aus im Mai.
Die eine verwechselt links mit rechts, da waren’s nur noch drei.
Drei freche Kalbinnen sind vom Rennen ganz high.
Die eine läuft zurück zum Hof, da waren’s nur noch zwei.
Zwei freche Kalbinnen die laufen Richtung Main.
Die eine verschwindet in `nem Hof, da war die andre allein.
Eine freche Kalbin, die bricht ein in einem Garten.
Darum wird sie abgeführt, muß gar nicht lange warten.