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Nach dem Prompt „Weißkopfseeadler/Produktivität“ der Gruppe „Crikey!“
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Sie kamen heran, zuerst nur eine dunkle Linie am Horizont. Dann hallte der Hufschlag ihrer Pferde her, ein Donnerhall vibrierte im Boden der Steppe und machte jedem unmissverständlich klar, dass es bittere Realität war. Was sie nicht hatten glauben wollen, trotz aller Zeichen, aller Berichte, aller Toten, trat den Bewohnern der Festung klar sichtbar entgegen. Es ließ sich nicht länger leugnen, so gerne manch ein erbebendes Herz das gerne getan hätte.
Der Sohn des Drachen war zurück.
Und keine Hoffnung konnte es geben. Keine Hoffnung für die Burg am Ghiga-Pass, diese junge Bollwerk aus hastig aufgeschichteten Steinen und grob bearbeiteten Holzpfählen, dem man ansah, dass seine Erbauer den Worten des Elben keinen Glauben geschenkt hatten.
Der Fremde saß auf seinem sandfarbenen Pferd, das er ohne Zaum ritt, gekleidet in Violett und Blau. Es war nicht die Kleidung eines Kriegers. Trotz seiner Wunden hatte man ihm nicht geglaubt, als er zum Pass gekommen und vor der Armee gewarnt hatte, hatte nicht glauben wollen, dass die Zeiten von Blut und Feuer zurückkehren würden.
So würde die Festung ohne Namen selbst einem gewöhnlichen Heer kaum standhalten können. Und dies war nicht irgendein Feind, es war Kabyzab Shôn, der Sohn des Feuers, der unsterbliche Drache, wiedergekehrt aus einer Gruft, die unermesslich tief unter den Bergen gelegen hatte.
Er ritt ein gewöhnliches Steppenpferd, an dessen Trense Gold klirrte. Golden war auch seine Schuppenrüstung und der spitze Helm, dunkel dagegen die Ketten im Visier, die das Gesicht des Vampirs vor der Sonne schützten und nur, an drei Punkten unter dem Rand befestigt, etwas Platz für die Augen ließen. Diese blitzten rot aus dem Schatten, als der Heerführer dem einzelnen Reiter entgegen kam, und rot war auch die Fahne, die an seinem Helm wehte, und seine Kleidung unter der Rüstung.
Kaum einen Steinwurf voneinander entfernt hielten sie, der uralte Vampir und Eroberer in der prächtigen Rüstung und der gebeugte Elb auf dem Rücken des schnaubenden Wildpferdes.
Zwei Adler saßen auf den Schulterplatten von Shôn und bewegten sich unruhig. Ihr Gefieder war blutrot und feuerrot, ihr Blick von durchdringender Schärfe.
"Du überreichst mit die Kapitulation, nehme ich an", sagte Kabyzab Shôn. Seine Stimme war rau und zischelnd, dumpf durch den Helm, und von erschreckender Finsternis.
"Nein." Der dunkelhäutige Elb hob erst jetzt den Kopf. Obwohl er dieser schrecklichen Gefahr gegenüberstand, strahlte er Ruhe aus.
Shôn musterte den Lebenden, der es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Er sah weder Waffen noch Schilde, spürte keine Magie, witterte keine Begleiter, außer jenen nach Angst stinkenden Soldaten in der armseligen Feste. "Nein? Ihr wollt euch nicht ergeben?"
Die Adler sperrten die Schnäbel auf und stießen eine Art Krächzen aus.
"Nein", wiederholte der Elb. "Und dies ist Eure letzte Chance, den Angriff abzubrechen."
Shôn der Blutige, der Aschensäer, hob die Augenbrauen unter dem verzierten Helm. Dann lachte er. Ein schallendes, raues Geräusch, das er hörbar nicht oft ausstieß. Es hallte über die Steppe vor dem Pass, der ins fruchtbare Tiefland führte, die letzte Bastion zwischen Shôn und dem Sieg.
"Ihr wollt mich aufhalten?", brachte er schließlich hervor. "Ihr? Ihr?!"
"Ich", sagte der Elb ernst und lenkte den Blick des Kriegsführer von der Festung ab, als er das Pferd vortrieb. "Ich allein werde Euch stürzen, Shôn, wenn Ihr auch nur einen Schritt weiter wagt."
"Leere Drohungen, Suugar", zischte Shôn, nun nicht mehr amüsiert. Er drehte den Kopf zu den Adlern auf seiner Schulter, erst zum feuer-, dann zum blutroten Tier. "Urr*. Torguuli*. Zeigt diesem Narr, was Krieg wirklich ist."
Mit schweren Schlagen der roten Schwingen hoben die Tiere ab. Ihr Flug führte sie über den Elben hinweg und auf die Stadt zu. Und was für ein Flug es war! Das Gefieder von Urr schlug plötzlich Funken, dann brachen Flammen hervor, als er sich in ein Tier aus Feuer verwandelte. Sein Sturzflug brachte eine Schneise der Vernichtung über die Siedlung.
Sein jüngerer Bruder, Torguuli, folgte ihm. Sein Schrei ließ den Mut noch in den härtesten Herzen gefrieren, und manch eine Hand, die nach einem löschenden Wassereimer getastet hatte, erstarrte in der Bewegung, um hoffnungslos zu sinken.
Der Elb betrachtete das Wirken der Adler schweigend, dann drehte er sich wieder zurück.
"Nun, Suugar?"
"Ich mag so aussehen, aber ich bin kein Suugar", sagte der Fremde. "Zwar bin ich als Sohn jenes Volkes geboren worden, doch das ist lange her. Ich wurde ein Mann der Eisenwelt, ohne Volk oder Herkunft."
Shôn schnaufte. Die Lebensgeschichte dieses Langohrs interessierte ihn herzlich wenig.
"Und auf diesen Reisen hörte ich auch von den legendären Adlerbrüdern", fuhr der Elb fort. "Urr und Torguuli, die Dämonenadler, deren Flug sie durch die Zeiten trägt, immer hin zu ihrem Herrn."
Der Sohn des Drachen musterte den Elb erneut. Was sollte das Gerede von seinen treuen Dienern? Er wollte sich umdrehen, um seiner Armee den Angriff zu befehlen, um den letzten Widerstand in der entflammten Festung auslöschen zu lassen.
"Es gab drei Eier in jenem Nest", sagte der Elb da.
Ganz langsam drehte Shôn den Kopf. "Woher weißt du davon? Niemand war dabei, als ich sie fand. Ich habe das Echo verschließen lassen. Niemand kann es wissen. Niemand ..."
"Es gibt Wege, die Vergangenheit zu sehen, auch ohne Echomagie und ohne Spuren", sagte der Elb. Ein Lächeln kräuselte seine von einem gestutzten Bart umrahmten Lippen. "Und es gab ein drittes Ei. Ein Adler, der dir entwischte, der die gleiche Gabe des Zeitenflugs beherrschte, die auch deine Diener besitzen. Ich nehme an, dass du ihn für tot hieltst ..."
Shôn stellte sich in den Steigbügeln auf und drehte wild den Kopf, auf der Suche nach dem Vogel. Die wartende Armee regte sich unruhig, als sie ihren Anführer so sah.
Shôn sah wieder nach vorne. "Du! Du bist es! Die ganze Zeit schon versuchst du, mich zu bremsen. Die alten Bündnisse neu zu erwecken, meine zerstrittenen Feinde zu einen. Du!"
"Ich", sagte der Elb, zum zweiten Mal in dieser Unterhaltung, und diesmal erkannte Shôn die Macht an, die in diesem Wort ruhte.
"Aber du kannst es nicht. Die Yurvaten sind zu zerstritten. Kein anderes Volk ist deinem Ruf gefolgt, Mann ohne Herkunft." Er spuckte unter dem klirrenden Kettenhemdschleier aus. "Du hast versagt, Widerständler."
"Vielleicht habe ich versagt. Doch mit etwas mehr Zeit ..."
Der Elb stieß einen Pfiff aus.
Auf einem knorrigen, ausgedörrten Strauch in der Nähe saß ein Adler, dessen Gefieder wie Schnee auf den Gletschern der hohen Berge schimmerte.
Das Tier breitete die Flügel aus, als es die Stimme seines Freundes vernahm. Ein Schritt, zwei, dann warf er sich Brust voran vom Ast. Während er fiel, glitten seine Flügel nach oben, bis die Rückseiten der Federn einander über seinem Rücken trafen.
Dann schlug er die Flügel nach unten und warf sich hinauf in den Wind. Der Luftstrom empfing ihn als seinen Freund, als ebenbürtig, und trug ihn hoch über das gelbe Gras der Stelle.
Unter sich sah er Meile um Meile gepanzerter Erdwesen, deren Belange ihn kaum interessierten, doch zwei Reiter gab es, die einen Sturm aus Gefühlen auslösten.
Der Blick des Adlers fand seinen Freund, dem er vertraute, ohne je zu zweifeln. Er saß auf dem treuen Sandpferd und jubelte, diesen Ruf, den der Adler als seinen Namen erkannt hatte.
"Möngö Sum! Flieg, Silberpfeil!"
Und er sah den Reiter in Rot und Gold. Den Nesträuber, Eierdieb, die zugreifende Hand. Hass wallte in ihm auf, wenn Möngö Sum an seine verlorenen Brüder dachte.
Der rote Reiter brüllte Worte und von unten zischten mit einem Mal Pfeile herauf, die nach seinen Federn griffen. Der silberne Adler warf sich zur Seite, wich ihnen aus, flog schneller und höher.
Wieder Worte von unten, ein Befehl. Diesmal jagte ihm eine dichte Pfeilwolke entgegen, als hätte jeder der Flügellosen dort unten einen abgeschickt. Dicht wie die zugreifende Hand eines Riesen kamen die Pfeile heran, schneller, als ein Adler fliegt ...
Doch nicht schneller als dieser Adler. Ein Licht erstrahlte und dann war die Pfeilhand weg, die Armee war weg, der Himmel nicht bedeckt, sondern strahlend Blau und die Steppe unter ihm unberührt von marschierenden Füßen.
Nichts war zwischen Erde und Unendlichkeit, nichts als Möngö Sum und das kleine, silberne Röhrchen an seinem Fuß.
Er glitt über gelben Gras dahin. Vereinzelte Bäume zeigten sich. Am Horizont bemerkte er eine galoppierende Herde.
Wildpferde.
Dann erklang ein zorniger Schrei hinter ihm. Sum drehte den Kopf und sah, über die vom Wind flatternden Federn des Rückens, zwei rote Vögel im Himmel.
Die Gestohlenen. Sein älterer und sein jüngerer Bruder. Er erkannte sie, wenngleich ihr Gefieder nun rot war. Mit zornigen Flügelschlägen holten sie auf.
Sum ließ sie nah herankommen. Als Urr beschleunigte und Hitze seine Schwanzfedern traf, stellte Sum die Flügel auf und schwang in eine rasche, scharfe Kurve. Er glitt zwischen ihnen hindurch, dem Feueradler und dem Blutadler, und ließ sich fallen.
Die Luft flimmerte, und dann war der Himmel nicht mehr blau, sondern grau und weiß vom Dampf unzähliger Schlote. Das Grasland war fort, an seiner Stelle erhoben sich Gebäude der Flügellosen, aus Stein und weißem Stoff, und im Himmel glitten wie Wolken die mächtigen neuen Rösser der Flügellosen dahin, weiße, bemannte Eier, umspannt von dichten Tauen.
Sum tauchte in das Gewirr aus Rauch und Schornsteinen. Hinter sich hörte er die Rufe seiner Brüder. Er wurde schneller, hielt auf die gewaltigen Schaufeln eines riesigen Rades zu. Es drehte sich gemächlich und doch unerbittlich. Sum glitt durch die Lücke, ehe der Stein sich knirschend schloss. Urr und Torguuli folgten, und dann wurde es dunkel.
Stein schabte über Holz. Möngö Sum stellte die Schwingen auf, spürte die einzelnen Federn im Luftstrom beben und glitt dahin, ohne zu sehen, worauf sein Sturzflug ihn zutrug. Um ihn war nichts als massiver Stein, in seinem Nacken jagten Feuer- und Blutadler heran.
Ein schmaler Lichtstreifen vor ihm! Dann schoss Sum in eine gewaltige Halle. Er ließ sich fallen, auf Rohre und Schächte und Kanäle zu, und glitt in eine davon, über einem schwarzen Band hinweg, auf dem bunter Sand transportiert wurde. Urr und Torguuli berührten fast seine Schweiffedern, als Sum mit den Flügeln schlug. Sand wirbelte auf, eine blaue Wolke, und dann ... waren die Adler fort.
Ein tosender Sturm empfing ihn dicht über dem Boden. Regen strömte aus dunklen Wolken und das gelbe Gras war nun wieder von Gebäuden befreit, doch nicht gelb, sondern lang und dicht und grün. Die Luft erzitterte unter einem Donnerschlag. Sum stemmte sich gegen den reißenden Wind und sah zurück.
Urrs Umriss erschien vor einem verästelten Blitz. Er war allein. Torguuli musste in der Sandwolke ihre Spur verloren haben.
Sum schlug mit den Schwingen, schraubte sich herauf, ritt die Böen, die ihn umwerfen wollten. Urr bliebt dicht hinter ihm, den Schnabel zornig aufgesperrt.
Er musste ihn abschütteln. Vielleicht in den dichten Wolken? Da krachte ein neuer Blitz und blendete ihn. Sum zögerte nicht, sondern warf sich nach vorne, in eine Zeit ohne Sturm und Regen hinein ...
Er glitt durch Luft, die salzig schmeckte. Unter ihm brauste ein Meer und das Atmen fiel irgendwie schwerer. Es war warm, schwül warm, nicht trocken wie in der Hitzezeit.
Während er über den Wellen entlang flog, sah er seinen Schatten mit einem Mal wachsen zu einer langhalsigen Silhouette mit riesigen Schwingen und einem langen, dornenbesetzten Schwanz.
Ein warmer Aufwind trug Sum hinauf. Von Urr war keine Spur mehr zu sehen. Fremdartige Stimmen begrüßten ihn, als er sich an die Formation großer, geflügelter Echsen mit dreieckigem Kopf anschloss, die alle im Schatten des großen, weißen Drachen dahinglitten. Plötzlich schossen Geysire aus den Wellen bis fast an die Flugformation heran, und buntschillernde Schuppen durchbrachen die Wellen. Ein langhalsiges Wesen folgte, beschrieb einen Bogen vor ihnen und Sum glitt zwischen den gespannten Flughäuten der anderen Flieger durch einen Vorhang aus herabstrahlender Gischt.
Er wechselte erneut. Die Luft war wieder trocken und vom Meer nicht mehr zu sehen als ein ferner See. Unter sich erblickte Sum Nomadenstämme, die, wie er wussten, einem großen Treffen der Flügellosen entgegenstrebten.
Er verlangsamte seinen Flug, ließ sich vom Wind tragen und gesellte sich zur Spur der ziehenden Reiter.
Dies war vor der Zeit des Roten Diebs, aber nicht zu sehr davor. Jenes Treffen war auch sein Ziel, wie ihm sein guter Freund erklärt hatte. Das kleine Röhrchen an Sums Bein trug etwas in sich, was die Saat des Streits ersticken konnte.
Mit etwas mehr Zeit, so hatte es sein Freund gesagt, wäre alles möglich.
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Urr: Zorn (mongolisch)
Torguuli: Strafe (mongolisch)
Möngö Sum: Silberpfeil (mongolisch)