Fia blinzelte verwirrt, als helles Licht sie weckte.
Mist!
Sie hatte verschlafen!
Wie peinlich war das denn! Gleich am ersten Morgen ihrer Ausbildung zur Flockenfrau hatte sie es nicht geschafft, rechtzeitig aufzustehen!
Hastig schlüpfte sie in ihre Arbeitskleidung und eilte dann zum grossen Wolkensaal. Ihr Herz klopfte laut, als sie vor der Türe stand, aber da musste sie jetzt durch.
Leise drückte sie die Klinke nieder und schlüpfte in den Raum.
Unzählige Augenpaare wandten sich ihr gleichzeitig zu, Kichern und Tuscheln liessen sie vor Scham beinahe im Boden versinken.
"Naaa! Ausgeschlafen?" donnerte die tiefe, kräftige Stimme des Wetterengels durch den Saal. In ihrer Aufregung sah Fia nicht, dass ein leises Lächeln seine Lippen umspielte. Sie sah ja auch zu niedlich aus mit ihrem verwuschelten Haar und ach – den Arbeitsanzug hatte sie auch verkehrt herum angezogen …
Fia errötete und hatte eigentlich grösste Lust, einfach wieder zu verschwinden.
Aber nach der langen Zeit, während der sie sich auf diese Ausbildung gefreut und auch vorbereitet hatte, kam Aufgeben nicht in Frage. Sie mahnte sich innerlich zur Ruhe, straffte ihren Rücken und versuchte dann, möglichst gelassen dem Wetterengel ins Gesicht zu schauen.
"Es tut mir leid!"
"Entschuldigung angenommen." Die Stimme des Wetterengels klang etwas weicher.
"Morgen aber bitte pünktlich, ok?"
Fia nickte und hoffte, dass die Aufmerksamkeit aller Anwesenden sich nun wieder dem Unterricht zuwenden würde. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor dem nächsten Morgen. Sie musste sich unbedingt einen Wecker besorgen.
Der Wetterengel wandte sich nun wieder seiner Hauptaufgabe zu und erläuterte allen Anwesenden die eigentlich einfache Handhabung des Schneiens.
"Jede nimmt eines dieser grossen Kissen, setzt sich damit auf eine Wolke und schüttelt dieses unterwegs kräftig aus. Die Menschen werden sich über den Schnee freuen, besonders jetzt, da sie sich auf Weihnachten vorbereiten. Einen besonders schönen Effekt erzielt ihr, wenn ihr euch in Wolkengruppen zusammenschliesst. Auf der Erde wird dies Flockentreiben genannt – also seid grosszügig beim Schütteln!"
Er begann, grosse Kissen zu verteilen.
"Na, dann mal los! Schnappt euch eine Wolke und macht es euch bequem! Versucht,euer Kissen gleichmässig zu schütteln. So lauft ihr nicht Gefahr, selbst von der Wolke zu rutschen oder dass es an gewissen Orten viel mehr Schnee gibt als an anderen.
Denkt daran, eure Wolke zu bitten, euch nach getaner Arbeit wieder hierher zurückzubringen!
Wir treffen uns heute Abend wieder hier im grossen Saal!"
Während alle anderen Flockenfrauen sich aufgeregt lachend auf den Weg machten, legte Fia ihr Kissen auf den Boden und nestelte an ihrem Anzug herum, der sie aus ihr unerklärlichen Gründen beengte. Dann verliess auch sie den Saal und sah sich nach einer Wolke um.
Entzückt klatschte sie in die Hände. Da kam bereits eine angesegelt.
Fia setzte zum Sprung an, aber die Wolke kicherte: "Hey, du hast ja gar kein Kissen dabei! Beeile dich, sonst sind die anderen schon zu weit weg!"
Fia griff sich an den Kopf.
Dieser erste Tag begann ja denkbar schlecht!
Rasch eilte sie zurück in den Wolkensaal und holte sich ihr Kissen.
Dass der Wetterengel sie überrascht und leicht amüsiert beobachtete, bemerkte sie nicht.
"Da bin ich wieder!"
Etwas atemlos stand sie wieder bereit, um auf die wartende Wolke zu hüpfen.
"Na, dann wollen wir mal! Sei vorsichtig beim Springen!"
Niemals hätte Fia zugegeben, dass sie sich vor genau diesem Sprung fürchtete. Denn ihre Flügel waren im Anzug versteckt, damit sie keinen Schaden erlitten. Also musste sie sich auf ihre Beine verlassen. Und auf ihren Gleichgewichtssinn. Und der Anzug war irgendwie so eng ...
Sie schloss die Augen, umklammerte das Kissen, schloss die Augen, atmete tief ein und aus - und sprang.
Mit viel Glück landete sie auf der Wolke, die ihre Angst gespürt und sich extra so positioniert hatte, dass sie weich landen konnte.
"Gut gemacht!", lobte sie die junge Flockenfrau.
Erleichtert atmete diese auf.
Sanft setzte sich die Wolke in Bewegung.
Langsam entspannte sich Fia und begann, sich umzusehen.
Sie flogen über Städte und Dörfer, Hügel und Berge.
In ihrer Begeisterung merkte sie nicht, dass sie den Anschluss an ihre Kolleginnen längst verloren hatte.
Gedankenverloren liess sie sich treiben und bewunderte die Aussicht, während sie ihr Kissen immer noch fest umklammerte.
Nach einer Weile räusperte sich die Wolke.
"Ich will dir ja nicht zu nahe treten – aber ich habe das Gefühl, das wird heute nichts mit Schneien?"
Fia schreckte auf.
"Doch doch! Gerade jetzt!"
Sie rutschte an den Rand der Wolke und begann, ihr Kissen kräftig zu schütteln.
Aber ach – vor lauter Eifer verlor sie das Gleichgewicht und fiel mitsamt dem Kissen von der Wolke.
Sie fiel und fiel …
Verzweifelt versuchte sie, ihre Flügel zu benutzen. Aber die steckten ja in diesem blöden Arbeitsanzug fest.
Der Erdboden kam immer näher.
Ihr wurde schlecht vor Angst und sie schloss die Augen.
Nur ein Wunder konnte sie jetzt noch retten.
Doch der erwartete Aufprall blieb aus.
Stattdessen fühlte sie sich auf einmal aufgefangen und emporgehoben.
"Was machst du denn für Sachen!"
Vorsichtig öffnete Fia die Augen.
Sie fand sich auf ihrer Wolke wieder.
"Ich meine, ich bin ja schon sportlich und so. Aber einen solchen Looping, um dich zu retten, hätte ich echt nicht gebraucht!"
Die Wolke war sichtlich verärgert.
"Dir ist klar, dass ich diesen … Fall ... dem Wetterengel melden muss?"
Tränen liefen Fia übers Gesicht.
Flockenfrau zu werden hatte sie sich bedeutend einfacher vorgestellt.
Sie drückte das Kissen an sich und begann zu weinen.
"Na na na – beruhige dich wieder!"
Sanft begann die Wolke zu schaukeln.
"Am Anfang sieht alles schwierig aus. Aber bereits das nächste Mal wird es besser gehen!"
Die Wolke war nicht mehr ungehalten, sondern versuchte das Küken, wie sie die junge Flockenfrau innerlich nannte, zu trösten.
Sorgfältig setzte sie Fia kurz später in der Nähe des Wolkensaals ab.
Sie vermutete, dass der heutige Abend für den jungen Engel noch schwierig werden würde. Sie kannte aber die unendliche Geduld des Wetterengels, auch wenn er manchmal laut wurde.
"Kopf hoch und toi toi toi!"
Leise segelte die Wolke davon.
Und wieder stand Fia mit klopfendem Herzen vor dem Wolkensaal.
Von drinnen hörte sie aufgeregtes Geschnatter.
Gut so, dann würde es hoffentlich niemandem auffallen, wenn sie hineinschlich.
Leise öffnete sie die Türe.
Schlagartig wurde es still.
Immer noch hielt sie ihr Kissen umklammert.
"Das war nicht dein Tag heute, nicht wahr?"
Die Stimme des Wetterengels klang sanft und einfühlsam.
Fia konnte nur den Kopf schütteln, dann brach sie in Tränen aus.
All ihre Pläne und Hoffnungen fielen in diesem Moment in sich zusammen.
"Ich … habe … alles falsch gemacht!"
Mitfühlend beobachteten die andern angehenden Flockenfrauen das Häufchen Elend.
Eine von ihnen stand auf, brachte Fia ein grosses Taschentuch und nahm sie in die Arme.
Lange standen die beiden so da, bis sie sich einigermassen beruhigt hatte.
Der Wetterengel bedeutete ihnen, sich zu den andern zu setzen.
"Sie wird einmal eine der besten sein!"
Wie durch dichten Nebel drangen die Worte des Wetterengels an Fias Ohr.
"Sie lernt ihr Handwerk wahrhaftig von der Pike auf. Und ist, trotz ihrer Tränen, eine Meisterin darin, wieder aufzustehen."
Ein Raunen ging durch den Saal.
"Ihr alle habt eure Arbeit heute sehr sehr gut gemacht! Ich bin stolz auf euch!"
Warmherzig lächelte der Wetterengel jede einzelne Flockenfrau an.
"Ihr könnt jetzt Feierabend machen. Morgen früh treffen wir uns wieder hier.
Fia, bleibe bitte noch einen Moment. Ich mache dir einen Vorschlag."
Mit grossen Augen sah sie dem Wetterengel entgegen.
Dieser setzte sich ihr gegenüber auf den Boden und nahm ihre eine Hand zwischen die seinen.
"Du bist ein besonders kostbarer Engel", murmelte er.
"Ich frage mich, ob auf dich nicht noch eine viel grössere Aufgabe wartet als zu schneien."
Stille breitete sich aus zwischen den beiden.
Fia war viel zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen.
Der Wetterengel räusperte sich.
"Ich schlage dir vor, dass ich dich morgen begleite.
Deine Angst vor dem Sprung habe ich beobachtet. Und auch der Fall ins Leere, der glücklicherweise gut ausgegangen ist, ist mir nicht entgangen.
Weisst du, solche Dinge geschehen nicht einfach so, aus Zufall.
Oft wollen sie uns zeigen, dass wir vielleicht eine Richtungsänderung einschlagen sollten auf unserem Lebensweg."
Nachdenklich betrachtete der Wetterengel die junge Flockenfrau.
Ganz still sass sie da, in sich gekehrt. Er spürte aber, dass seine Worte sie erreichten.
Er sprang auf die Füsse und reichte Fia die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
"Dann treffen wir uns also morgen hier und ich komme dann mit dir, einverstanden?"
Fia nickte und schaute ihren Lehrer dankbar an.