Wie fange ich wohl an, wenn ich eine kleine Mär erzähle, aus einer anderen Welt als unserer, aus einer anderen Zeit als unserer, wenn ich erzähle, von der scheinbar unscheinbaren Angelegenheit eines kleinen, ebenso unscheinbaren Helden, der eines sonnigen Sommertages beschloss, seine Heimat und seine Freunde zu verlassen? Ich denke, jeder von euch hat denselben Gedanken im Hinterkopf: Es war einmal …
Doch es war nicht einmal und auch nicht zweimal oder dreimal, sondern … es war einfach. Es war das kleine Abenteuer des kleinen Fuchsjungen Tammtamm, der etwas kopflos loslief, sein Zuhause hinter sich ließ, halb Hütte, halb Höhle, auf der Suche nach einer Lösung für ein Problem. In seinen Augen war es ein sehr großes, gewichtiges Problem, das eine sehr große und gewichtige Antwort benötigte.
Wenn ich euch Tammtamm beschreibe, dann solltet ihr gleich auch Tamtam im Hinterkopf haben. Tammtamm war … ist ein kleiner Fuchs mit einem Fell im strahlendsten Orange, das ihr jemals gesehen habt. Na ja, ihr könntet ihn sehen, wenn ich jetzt ein Bild für euch hätte. Nun müsst ihr ihn euch vorstellen, den kleinen Rabauken mit seinen spitzen Ohren, seinem runden Bäuchlein und seinen tanzfreudigen Füßen. Um seinen Hals trägt Tammtamm ein Halstuch so grün wie Birkenblätter. Sein Herz trägt er auf der Zunge und seine Schnauze ist immer offen, denn der Fuchsjunge hat viel zu erzählen. Was er zum Frühstück verputzt, was er in der Nacht in seiner Kuschelhöhle träumt, was sich in seinem Süßigkeitenbeutel befindet und überhaupt plappert er gerne viel und laut in den Tag hinein. Tamtam eben. Denkt an einen kleinen Fuchs, der zu allem etwas zu sagen hat und obendrein über ein ziemlich lockeres Mundwerk verfügt. Fast so locker wie das Mundwerk eines anderen kleinen Fuchses, der … ach, ich schweife ab.
Tammtamms bester Freund in dem Baumhöhlenhüttenhaus ganz oben auf einem sanften Hügel, von dem aus sich die Umgebung überblicken lässt, und in dem so ungefähr zwanzig oder vielleicht sogar dreißig der unterschiedlichsten Tiere leben, ist - ihr werdet es für unwahrscheinlich halten, aber so ist es eben - ein Hund namens Luftikus. Ihr werdet mir jetzt den gedanklichen Vogel zeigen. Ein Fuchs und ein Hund, die Freunde sind? So etwas gibt es nicht!
In unserer Welt vielleicht nicht, aber aus unserer Welt kommt meine kleine Mär auch nicht. Womöglich kratzt ihr euch verwirrt am Kopf, wenn ich euch sage, dass in dem Baumhöhlenhüttenhaus - vielleicht bleibe ich der Einfachheit halber bei Baumhaus - ebenfalls ein weißer Bär mit einer großen roten Schleife lebt. Oder ein Ganter, der seine eigene Sprache spricht. Oder eine Gruppe Elefanten, ein scheuer Hase oder gar ein wurmähnliches Wesen, das sich jeglicher Beschreibung entzieht. Lasst es mich so beschreiben … es ist nicht von dieser Welt. Nicht von unserer und auch nicht von der von Tammtamm. Aber es hat in diesem bunten Baumhaus, das ein wenig schief und schräg auf seinem Hügel steht, ein Zuhause gefunden. Obendrein versteht es sich hervorragend mit einem stets wütenden roten Oktopus.
Ich schweife schon wieder ab. Ich war bei Luftikus, einem Hund mit kurzem buntem Fell und großen Augen, so groß, dass jedem von euch ein Hawww entfleuchen würde, könntet ihr ihn nur vor euch sehen.
Luftikus ist der Älteste und vielleicht auch der Schlaueste im Baumhaus, auch wenn Alter und Intelligenz an diesem Ort eigentlich keinerlei Rolle spielen. Oder … in diesem Fall womöglich doch? Denn Luftikus' Körper ist bereits von Narben und kleinen Unfällen gezeichnet, und seine großen Augen sind zwar schön anzusehen, doch wirklich gut funktionieren sie nicht mehr.
»Keine Sorge«, sagte Tammtamm als Luftikus eines Morgens länger als gewohnt auf seinem Kissen lag und die Sonne eines neuen, frischen und schönen Tages ein wenig schlechter als zuvor sehen konnte. Wie durch einen Schleier. »Ich bin deine Augen«, fügte der junge Fuchs hinzu und tätschelte sachte und ein wenig unbeholfen die Pfote seines Freundes.
Luftikus lächelte wehmütig und ließ sich dazu überreden, sich mit Tammtamm vor dem Baumhaus auf die Bank zu setzen, um im warmen Licht des Sommers zu baden. An diesem Tag hörte Luftikus das Rumoren im Haus und ums Haus herum mehr, als dass er es sah. Er vernahm die Rufe des Füchschens Platsche, das auf dem Platz vor dem Baum, so tönte das kleine Tier, dessen Gesicht etwas an ein Eichhörnchen erinnerte, Kampfballett übte. Man könne ja nie wissen, ob nicht jemand zu ihnen käme, der etwas Böses wolle. So etwas war noch nie geschehen. »Aber man kann ja nie wissen«, betonte Platsche dennoch jeden Tag aufs Neue, mit einer lauten Überzeugung, die definitiv größer als der Jungfuchs selbst war.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist Platsche, Tammtamms größter (heimlicher) Fan, genauso offenherzig wie sein Vorbild, und fällt mit seinem zuweilen großen Maul oft in Ungnade. In den Genen der Füchse muss irgendetwas liegen …
Luftikus hörte das eigenwillige Geschnatter der Ganter Gulliver und Kölle, die sich im Erbsenbeet stritten. Oder so etwas in der Art. Sicher konnte man sich bei den beiden Gänsemännern nie sein, denn niemand verstand ihre Sprache. Der etwas schiefe, doch nicht unangenehme Singsang der Kuh Edelgerti flimmerte durch die warme Sommerluft. Das unregelmäßige Geräusch von raschelndem Gras bedeutete Luftikus, dass das Lama Bergen, das, solange sie sich kannten, schwieg und tanzte, neue Schritte übte. Der Hund drehte sich in Bergens Richtung, doch wirklich gut erkennen konnte er das Lama und seinen Tanz nicht. Luftikus wurde betrübt. Er tanzte selbst doch auch so gerne. Doch diesmal ließ er es. Stattdessen sprang er von der Bank und zog sich leise zurück auf sein Kissen, mit einem tonlosen Seufzen auf seinen Lippen.
Tammtamm fiel das zunächst gar nicht auf, weil er damit beschäftigt war, in seinem Umhängebeutel nach noch gefüllten Bonbonpapierchen zu suchen.
Solche zu finden, das ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, wenn ich das anmerken darf. Tammtamms Beutel ist nahezu so groß wie er selbst und er muss aufpassen, dass er nicht hineinfällt, wenn er mit beiden Pfoten darin herumwühlt. Weil Tammtamm ein außerordentlicher Naschfuchs ist, ist die Tasche zumeist gefüllt mit bereits geplünderten Kaubonbonpapierchen.
Tammtamm landete auf seiner Suche nach einer kleinen Süßigkeit an jenem Tag tatsächlich kopfüber in seinem Beutel, und erst, als ihm Bergen und Platsche aus seiner Zwickmühle befreiten, fiel Tammtamm auf, dass Luftikus nicht mehr da war. Er drückte seine Schnauze an der Scheibe des Baumhauses platt und sah den Hund mit dem Rücken zur Tür auf seinem Kissen liegen. »Luftikus«, rief Tammtamm. »Komm doch wieder raus!«
»Nein«, drang die Stimme des Hundes durch die geöffnete Tür. »Ich mag heute nicht.«
»Ich mag heute auch nicht«, pampte Tammtamm impulsiv und lachte anschließend laut. Doch diesmal lachte Luftikus nicht mit ihm, sondern rollte sich unter seiner Decke zusammen.
»Ich mag heute nicht« wurde für Tammtamm zu einem unangenehmen Credo, das sich fortan Tag um Tag wiederholte. Luftikus wollte nicht mehr vor die Tür gehen, sondern nur in seiner Ecke liegen. Anfangs glaubte der Fuchs, dass sein Freund einfach nur schmollte, eine Laune hatte, doch als Luftikus sich selbst von den anderen Hausbewohnern nicht zu Spaziergängen, Abenteuern oder einfachem Sonnenbaden überreden ließ, begann sich Tammtamm zu sorgen.
Er redete mit allen Freunden, in der Hoffnung, dass sie einen Ausweg wussten. Der große Elefant Mii meinte, dass Luftikus vielleicht sein Lieblingsessen vermisste, ein Gebäck, das es üblicherweise nur im Winter bei ihnen gab. Gulliver sagt »Quorkqworkqukok« und damit konnte Tammtamm nicht wirklich viel anfangen. Der Bär Colbärt sah das Ganze pragmatisch. »Wenn Luftikus Probleme hat, dann müssen wir ihm einfach helfen.«
»Aber wie?« erkundigte sich Tammtamm mit verschränkten Pfoten und angestrengt gerunzelter Stirn.
Colbärt hatte keine Antwort. »Ihn fragen?« erwiderte er hilflos und hob die Tatzen.
Das brachte Tammtamm nicht weiter. Auch alle anderen, die er fragte, konnten ihm nicht weiterhelfen, denn niemand wusste eine Lösung. Und Luftikus wollte nicht mit der Sprache rausrücken, was ihm über die Leber gelaufen war.
Ich muss nun nicht erwähnen, so hoffe ich, dass es eine ganz schlechte Idee ist, sich in einer Beziehung, sei es eine berufliche, eine freundschaftliche oder eine noch innigere, auf telepathische Kräfte zu verlassen. Das geht zu 99,99 Prozent schief. Münder sind zum Kauen, Knutschen und zur Kommunikation da. Stellt euch jetzt für einen Moment vor, wie ich mit den Augenbrauen wackel und dann geht es weiter mit der kleinen Geschichte.
Luftikus wollte seine offensichtliche Wehmut nicht teilen, und Tammtamm war davon besessen, eine Lösung für ein Problem zu finden - ein gewichtiges, jawohl! - das er nicht kannte. Es verschlug ihn schließlich in die Küche des Baumhauses. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was Luftikus fehlte, hatte Tammtamm sämtliche Bücher studiert, derer er habhaft werden konnte. Nur war er nicht der geschickteste Leser und die Buchstaben zu entziffern, in teils uralten Kinderbüchern und in teils von Colbärt prankengeschriebenen Texten über ein verlorenes Raumschiff im Weltall, strengte Tammtamm an, so sehr, dass er die Geduld verlor. Schließlich kam er also in die Küche, wo ein anderer Hundebewohner des Baumhauses namens Galloway die Kochbücher aufbewahrte. Vielleicht hatte Mii doch richtig gelegen? Konnte es sein?
Tammtamm las (für ihn) unzählige Rezepte (in Wirklichkeit waren es viereinhalb) und düste dann (plötzlich inspiriert) zu Galloway. »Galloway, haben wir Anis, Nelken und Zimt? Fenchel, Piment, Macis?«
Galloway, der gerade die lange Treppe fegte, die von den höchsten Höhen des Hauses von der Krone des Baums bis in die tiefsten Höhlen führte, hielt in seinem Tagewerk inne und beäugte Tammtamm interessiert. »Wovon sprichst du?« wollte er wissen.
»Ich brauche die Gewürze, um Luftikus' liebstes Wintergebäck zu backen, und dann ist er bestimmt wieder ganz der alte!«
Galloway schüttelte den braungoldenen Kopf. »Du stellst dir das ein wenig leicht vor, meinst du nicht?« Er seufzte als Tammtamm seinen Standpunkt mit einem vehementen Pfotenstampfen vertrat. »Das meiste haben wir da, doch … was soll Macis sein? Bist du sicher, dass du das richtig gelesen hast?«
»Das steht so in den Kochbüchern!« betonte der Fuchs mit einem abermals eindrücklichen Schütteln seines gesamten Oberkörpers. »Das musst du doch wissen! Kochbücher lügen nicht!« empörte er sich ein wenig.
Impulsiv diese Füchse, ich sag’s euch doch.
»Das habe ich nicht geschrie-« Galloway stoppte sich selbst. Es half jetzt nicht erklären zu wollen, dass er nicht die Rezepte in den Büchern verfasst hatte. »Frag mal die Ganter, ob die wissen, was dieses Macis ist«, schlug er stattdessen vor. Kaum hatte der Hund ausgesprochen, schon polterte Tammtamm die Treppe hinunter, um die Gartenganter zu suchen, und von Weitem bereits rief er nur ein Wort. »Macis! Macis!« Wieder und wieder.
Erst dann fiel Tammtamm ein kleiner Denkfehler auf. Niemand sprach die Sprache der quorkenden Ganter. Würden sie ihn überhaupt verstehen?
Ein kleiner Einwurf von meiner Seite: Wenngleich die Ganter Gulliver und Kölle sich nur mit Geschnatter verständigen, verstehen sie unsere Sprache ausgezeichnet. Das erleichtert die Kommunikation. Einseitig zumindest. Die andere Seite hingegen … na ja, Gespräche mit beiden hatten immer viel mit wedelnden Flügeln, fliegenden Federn und einer wenig überraschend großen Ratlosigkeit zu tun.
»Quuuork!« versuchte es Gulliver also und schlug mit den Flügeln.
»Qwoorkouork«, fügte Kölle hinzu und nickte in Richtung des Waldes, der den Baumhaushügel umrahmte.
»Ich verstehe nur Geganter!« verzweifelte Tammtamm und raufte sich das Fell. Doch immerhin hatte er nun eine Ahnung. Im Wald sollte er nach Macis suchen? Was auch immer das war? Nicht ohne Grund würde ihn Kölle in diese Richtung schicken! Einen Moment lang zauderte der Fuchs und überlegte. Sollte er es wagen? Über die Schulter warf er einen Blick in die Richtung des Hauses. Ihm war, als könne er den Umriss einer Gestalt im Schatten des Inneren sehen. Luftikus auf seinem Kissen. Tammtamms Pfote ballte sich zur Faust. Natürlich sollte er es wagen!
Und so geschah es, dass der Fuchs einen Entschluss fasste. In der Nacht schlich er sich mit seinem Süßigkeitenbeutel, randvoll mit Kaubonbons und ein paar Zuckerstangen, in einem Kapuzenpulli gehüllt, mit Dinos bedruckt, aus dem Baumhaus, peste mit einem Affenzahn auf den Waldrand zu und verschwand in der Dunkelheit der Baumschatten.
Die ganze Nacht blieb Tammtamm weg und dann den ganzen nächsten Tag und die nächste Nacht und den darauffolgenden Tag. Den anderen Bewohnern des Baumhauses fiel das Fehlen des vorlauten Fuchses nahezu sofort auf, denn üblicherweise ließ Tammtamm niemals eine Mahlzeit aus. Er futterte viel zu gerne und ganz besonders mochte er die belegten Baguettes, die Platsche und Gulliver machten, wenn sie Küchendienst hatten, zusammen mit einem Glas gekühlter Limonade.
Im Haus herrschte helle Aufregung, ein gar wilder Aufruhr. Hatte jemand Tammtamm entführt, und seinen Süßigkeitenbeutel sowie alle Kaubonbonvorräte mit ihm? Unwahrscheinlich, nicht wahr? Doch wohin war der Jungfuchs nur verschwunden und noch viel wichtiger: Würde er zurückkommen? Alle suchten in der näheren Umgebung, manche wagten sich tief und tiefer in den Wald. Platsche suchte sogar in den angrenzenden Wiesen und Feldern, rund herum um den Sommersee, er rannte, bis ihn seine kurzen Beine nicht mehr tragen wollten. Er fand dabei interessante Dinge.
Ein Paar Socken, das an einem Zaunpfahl hing. Bonbonpapierchen in Pfützen. Ein abgerissenes Stoffstück, auf dem sich die Schnauze eines Dinos erkennen ließ. Platsche war definitiv auf der richtigen Fährte! Doch Tag um Tag verstrich, und Fundstücke, die auf Tammtamms gewählten Weg schließen ließen, wurden seltener. Und irgendwann war alles abgesucht, zumindest so weit, wie sich die Bewohner des Baumhauses in den Wald oder in die Felder dahinter wagten.
Es wurde kälter. Die Tage kürzer. Schließlich mussten sich die Bewohner des Baumhauses damit abfinden, dass einer von ihnen verschwunden war und sie nicht wussten, ob sie Tammtamm jemals wiedersehen würden.
Schließlich fielen die ersten Schneeflocken aus einem grau verhangenen Himmel und im Baumhaus herrschte eine bedrückte Stimmung. Üblicherweise wäre es Tammtamm, der dann Musik auf dem alten Grammofon abspielte und losgelöst tanzte, um den Schwermut zu heben. Jeder würde mit ihm tanzen, lachen, singen, kreischen.
Doch das Grammofon blieb stumm, und nicht einmal das Tanzlama Bergen hatte noch viel Lust, zu tanzen.
Luftikus, der im Sommer bereits seinen Antrieb verloren hatte, stand nun, im Winter, gar nicht mehr auf, sondern blieb unter seiner Decke. Daran änderte sich auch nichts, als Colbärt in seiner Werkstatt ein Gerät ausgetüftelt hatte, um dem Hund zu helfen. Er nannte es … eine Brille, und es handelte sich um zwei mit einem Draht verbundene, geschliffene Gläser, die es Luftikus erlaubten, besser zu sehen.
»Doch was soll ich sehen, wenn mein bester Freund verschwunden ist?« meinte er traurig, als ihm Colbärt seine Erfindung überreichte, und der handwerklich sehr begabte, aber mundwerklich nicht ganz so fitte Bär hatte keine Antwort.
Ein paar Tage vor dem Höhepunkt der Winterzeit, der Wintersonnenwende, versammelten sich alle Bewohner des Hauses in dem großen Raum, der gleich hinter der Haustür lag.
Na ja, fast alle.
Jeder von ihnen setzte sich auf ein Bodenkissen und stellte vor sich auf das blank gewienerte Parkett eine Kerze, sodass sie alle zusammen einen leuchtenden Kreis formten. Manche legten sich eine Decke um die Schultern, andere lehnten sich an einen Kuschelfreund. Für gewöhnlich, so machten sie es jedes Jahr, würden sie bei Tee und Gebäck darüber sprechen, was in den vergangenen Monaten vorgefallen war, welche Abenteuer sie erlebt und wann sie am lautesten gelacht hatten, bevor sie miteinander die Wünsche für die Zukunft teilten. Diesmal, ohne Tammtamm, war diese schöne und besinnliche Tradition nur eine leere Hülle, und der Herzenswunsch eines jeden Hausbewohners war ohnehin derselbe: Tammtamm sollte wieder zurückkommen, nach Hause.
Ob die Tiere wohl ahnten, was als Nächstes geschah, als sie so zusammensaßen? Ich bin mir nicht sicher … doch diese kleine Wintergeschichte wäre ja keine wahre Wintergeschichte, hätte sie nicht ein kleines Happy End, meint ihr nicht auch?
Platsche hörte es vielleicht als Erster oder womöglich war es auch Bergen. Vor dem Haus ertönten plötzlich allzu bekannte Schritte und im nächsten Augenblick flog die Tür fast aus den Angeln und ganz bestimmt krachend gegen die Wand, begleitet von einem lauten »Hallo!« von einem über und über mit Schnee bedeckten Wesen. Alle Bewohner des Hauses starrten es entgeistert an.
»Hallo?« wiederholte die vom Pulverschnee bedeckte Gestalt und dann schüttelte sie sich schnaubend, sodass das weiße Schneegeflock in sämtliche Richtungen stob. Unter der Schicht aus gefrorenen Himmelskristallen kam Tammtamm zum Vorschein.
Luftikus sprang auf und hetzte zum Eingang, konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und warf Tammtamm nicht nur um, sondern rücklings in den Schnee vor der Tür, der nach einem ganzen Tag mit weißem Gestöber inzwischen eine beachtliche Höhe erreicht hatte. »Du blöder, blöder Fuchs, wo warst du nur die ganze Zeit?« rief Luftikus, unsicher, ob er sauer oder einfach glücklich sein sollte.
»Ich habe nach einer Lösung für dein Problem gesucht, Luftikus«, murmelte Tammtamm. »Und ich habe versagt«, schob er mit einem beschämten wie traurigen Unterton hinterher. »Ich habe kein Macis gefunden, nirgendwo.«
Luftikus, der immer noch auf dem umgeworfenen Tammtamm lag, starrte den Fuchs irritiert an.
»Was hast du denn da?« nuschelte Tammtamm und deutete auf das Gestell auf Luftikus' Nase. »Ist das ein Schnauzenfahrrad?« versuchte er es mit einem unbeholfenen Witz, um die gespannte Stimmung zu lockern.
»Mit diesem Schnauzenfahrrad, Herr Fuchsnase, kann euch alle endlich wieder sehen«, grummelte Luftikus mit verengten Augen und kletterte dann von Tammtamm, damit der nicht mehr im kalten Schnee liegen musste.
Der Fuchs rappelte sich auf die Beine. »Heißt das, heißt das … dass du deswegen …« Ihm fehlten die Worte, weil ihm schlagartig bewusst geworden war, wie ungeschickt im Nachhinein seine Entscheidung gewesen war, nach Macis zu suchen, ohne eine Ahnung zu haben, was das sein könnte. Und dass er ausgeblendet hatte, dass es sich dabei vielleicht nicht um die Lösung für das gewichtige Problem handeln konnte.
»Ja«, entgegnete Luftikus schlicht. »Wo bist du nur gewesen?«
Tammtamm senkte den Blick. »Nicht hier«, antwortete er leise. »Und geholfen habe ich dir auch nicht. Entschuldige.«
»Du bist hier, und das ist alles, was zählt«, meinte Luftikus mit einem sanften Lächeln und drückte Tammtamm. Dann lehnte er sich zurück. »Hättest du mich gefragt, hätte ich dir sagen können, dass Macis auch Muskatnussblüte genannt wird, und der dazugehörige Baum wächst vorn im Garten.«
Es fiel Tammtamm wie fedrige Schuppen von den Augen, dass Kölle womöglich nicht den Wald gemeint hatte, sondern den kleinen Bereich mit den Obstbäumen. Er schlug sich die feuchte Schneepfote ins Gesicht.
»Was wolltest du damit?« fragte indes Luftikus und zog den Fuchs in die willkommene Wärme des Hauses, damit er nicht frieren musste.
Im Raum herrschte gespannte Stille, denn zwar war jeder froh, dass Tammtamm wieder da war, wo er hingehörte, doch wollten sie auch alle wissen, was ihn zu seinem abrupten Verschwinden veranlasst hatte.
Der Fuchs ließ sich auf seinen Hintern fallen, nachdem Edelgerti ein weiteres Kissen herangezogen und Galloway ihm eine Decke um die Schultern gelegt hatte. »Na, ich wollte-« Er verstummte, als sein Blick in die Mitte des Kreises fiel. Auf einigen hölzernen Tellern lag genau das, was Luftikus im Winter am liebsten verspeiste - Lebkuchen. »Ich wollte dir im Sommer deine liebste Nascherei machen, um dich aufzuheitern«, sagte er nach einem langen Blick in Luftikus’ nun bebrillte große Augen. »Niemand wusste, was Macis ist und …«
»... und das ist eine Zutat von Lebkuchengewürz«, nickte Luftikus nachdenklich und starrte eine Weile in eine Kerze.
Innerlich, ich verrate es euch, schüttelt Luftikus in solchen Momenten seufzend den Kopf.
Aber in diesem einen Augenblick war das nicht wichtig. Wichtiger war, dass Tammtamm dort war, wo er sein sollte, zu Hause. Und so konnten sie die Wintersonnenwende in dem kurios schiefen Baumhöhlenhüttenhaus auf dem Hügel, umgeben vom nun verschneiten Wald, so feiern, wie sie es immer taten: Im Kreise ihrer liebsten Freunde, mit Lebkuchen in Mündern, Mäulern und Schnäbeln, und mit einem warmen Winterpunsch.
An dieser Stelle endet diese kleine Erzählung, aber wer weiß … vielleicht wird euch Tammtamm noch erzählen, was er für ein Abenteuer erlebt hat, wenn ihr ihn bitten möchtet!