Es klapperte ununterbrochen. Tik, klap, klip, Tak. Sie saß im gemütlichen Lehnstuhl und schaukelte ab und zu Hin und Her. Ihre grauen Haare und Falten im Gesicht teilten lediglich mit, dass sie nicht mehr jung war. Aber niemand hätte ihr 90 Lebensjahre gegeben. Sie war wirklich eine alte Frau und hatte deshalb sehr viel erlebt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.
Bereits mit sieben fing sie an zu stricken, als der Zweite Weltkrieg begann. Ups, sie musste sich wieder vermehrt konzentrieren, um den Rundenwechsel beim Stricken nicht zu verpassen. Die Füßlinge bekamen die Farben schwarz und gelb. Die Letztere leuchtete kraftvoll auf dem dunklen Hintergrund und gab den Socken das gewisse Etwas und einen modernen Touch.
Damals im Krieg als junges Mädchen machte sie sich nützlich und lernte stricken. Ihre Mutter war ihr eine gute Lehrmeisterin und konnte sie immer wieder zum Stricken motivieren. Mit der Zeit war sie eine wahre Weltmeisterin und diese Tätigkeit gab ihr innere Ruhe und Gelassenheit und sie konnte vieles so verarbeiten. Über den gemeinnützigen Verein wurden die Socken an hilfsbedürftige Armeeangehörige geschickt. Hin und wieder hatten sie handgeschriebene Dankeskarten mit rührenden Worten der Soldaten erhalten. Dies war dann eine riesige Motivation und ein Ansporn, die Arbeit fortzuführen.
Die Nadeln klapperten hin und her. Sie hielt inne, zählte flüsternd die Maschen und machte nun den Abschluss. Mit der Hand streichelte sie die fertige Socke und legte sie zu der zweiten. Nahm dann beide und schlüpfte mit den Händen hinein. Sie gaben warm und dazu lächelte sie freudvoll, dicke Socken waren immer ein schönes Geschenk oder Mitbringsel.
Plötzlich aus dem Nichts kullerte eine Träne herunter. Sie wusste nicht, warum, aber die Weihnachtszeit war immer ein emotionaler Abschnitt mit einem Rückblick auf das vergangene Jahr. Dann wurde ihr wieder bewusst, wie schnell die Zeit unwiederbringlich vorbeiging und dies war wie eine Sanduhr. Sie wusste nicht, wie viele Sandkörner ihr noch verblieben.
Die Zeiten hat sich in den letzten Jahrzehnten weniger geändert als zuletzt gedacht. Ein Angriffskrieg in Europa hatte die Hoffnung auf weitere friedvolle Perioden für lange verbannt. Sie nahm einen Schluck des süßlichen Tees und verdrängte die negativen Gedanken und dachte an etwas Erfreuliches.
Sie richtete sich auf und bewegte sich im Zimmer hin und her. Beim Fenster blieb sie stehen und schaute hinaus. Es war bereits dunkel und es schneite. Sie machte das Fenster auf und streckte die Hand hinaus. Eine Schneeflocke verirrte sich und landete auf ihre Haut und war im Nu nur noch ein Wassertropfen.
Ein Blick auf ihre Uhr und sie erschrak. Es war höchste Zeit, sich vorzubereiten. Sie kleidete sich festlich mit einem dunkelblauen Kleid. Sie trug die silberne Brosche ihrer Mutter und begab sich ins Auditorium der Altersresidenz. Als sie hereinkam, klatschten alle. Der Leiter lächelte zu ihr hinüber und verkündete: „Frau Krämer, wir haben sie gerade erwähnt, vielen Dank für den unermüdlichen Einsatz und ihre Geduld. Sie haben mit einhundertundein Paaren Socken den diesjährigen Rekord geschafft“.
Augenzwinkernd meinte er noch: „Ich hoffe, sie haben trotzdem Zeit für andere Dinge.“ Er hob eine Socke hoch und streichelte über die Wolle: „Die geben bestimmt warm. In der heutigen Zeit ist dies eine ausgezeichnete Eigenschaft“. Er biss sich auf die Lippe, den beinahe wäre ihm herausgerutscht, dass dicke Socken in der aktuellen Energiekrise nützlich waren. Aber niemand wollte dies heute hören und er durfte nicht politisch werden. Er schloss mit „Frau Krämer nochmals vielen Dank!“ Er erwähnte die anderen 20 Helfer und Helferinnen und las deren Namen herunter. Mit den Worten: „Ihr seid nun alle eingeladen zu einer besonderen Mahlzeit im Esssaal“, beendete er seine Rede.
Als sie im Saal ankamen, stimmten die Angestellten ein mit „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit …“. Ein verschmitztes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht bemerkbar. An den mit rotem Band markierten Plätzen war je ein paar dicke Socken als Geschenk auf dem Tisch.
Die ersten Obdachlosen der Stadt kamen herein. Einmal im Jahr bewirtete die Altersresidenz diese. Einerseits, um den Kontakt zur Außenwelt herzustellen und um andererseits eine gute Tat zu erfüllen. Es war das Ziel, eine luxuriöse warme Mahlzeit und ein wenig Weihnachtsgefühl diesen Menschen auf dem Weg zu geben.
Eine halbe Stunde später waren alle Plätze besetzt und Karl, einer von ihnen, bestaunte das schöne Paar Socken. Mit der Hand streichelte er sanft über die Wolle. Frau Krämer wandte sich zu ihm und stellte sich kurz als Olga vor. Lächelnd erwähnte sie, dass das stricken, sie gut beschäftigte und ihr ein bisschen eine Tagesstruktur gab.
Karl bedankte sich für die tolle Arbeit und erzählte von sich. Er war früher leitender Angestellter in einer Sparkasse gewesen und irgendwann ging es schnell: eine Scheidung, Alkohol um die Einsamkeit zu verdrängen und dann verlor er seinen Job und landete mittellos und ohne Dach über dem Kopf auf die Straße. Alles stürzte ein wie Kartenhaus. Er lächelte Olga zu und meinte: „Irgendwann wird es wieder bergauf gehen“. Er streichelte das Paar Fußbekleidung und ergänzte: „Diese Socken sollen mein Glücksbringer sein für das nächste Jahr“. Olga freute sich sehr, dass ihre Arbeit so geschätzt wurde und diese für etwas Glück bei den Beschenkten sorgte. Sie nahm sich für 2023 vor, sofern sie gesund war, wieder ganz fleißig zu sein und etwas Gutes für die Gesellschaft zu vollbringen.
Ende