Es war einmal ein alter Zauberer mit dem Namen Rugbert, einem langen weißen Bart und einem ehemals spitzen Hut auf dem Kopf, der schon so abgetragen war, dass man nicht mehr erkennen konnte, welche Farbe er ursprünglich einmal gehabt haben musste. Blau vielleicht? Es kam Rugbert logisch vor, denn er glaubte sich zu erinnern, dass dies seine Lieblingsfarbe war. Er lebte zurückgezogen auf einem hohen Eisberg mitten in der Arktis, wo nur selten mal ein Eisbär vorbeikam oder ein Polarforschungsschiff irgendwo fern am Horizont vorüberfuhr. Eigentlich war ihm das auch ganz recht so. Viel zu viele Jahre hatte er damit zugebracht, den Menschen mit kleinen oder größeren Wundern zu helfen. „Wunder“, so nannten sie es, wenn sie etwas Gutes und Schönes, das ihnen widerfuhr, nicht verstanden. Für Zauberer wie Rugbert war es selbstverständlich, diese Dinge nur unerkannt oder heimlich zu tun, er hasste zu viel Aufmerksamkeit. Wenn er also einen Fluss umleitete, einen Berg versetzte oder einen Lavastrom zum Erstarren brachte, dann bekam dies niemand mit. So die Theorie.
Als er eines schönen Abends im arktischen Winter aus dem südlichen Bullauge seines gletscherblauen Bergrefugiums schaute, da sah er nicht nur Polarlichter, sondern auch den Scheinwerfer eines Motorschlittens, der sich zielgerichtet mit einem Affenzahn genau in seine Richtung bewegte. So irre konnte kein normaler Mensch sein, fand der Alte, weswegen er sich gleich daran machte, einen ordentlichen Tee mit Schuss zuzubereiten. Wenn ein anderer Zauberer schon kam, um ihn in seiner selbstgewählten Wintereinsamkeit aufzustöbern, dann müsste der wenigstens beweisen, dass er einen guten Schluck mit Wums vertragen konnte.
Kaum war der Earl Shades of Grey durchgezogen, da klingelte es auch schon an der äußeren Eisschleuse.
„Wer da?“, donnerte Rugbert mit imposanter Zaubererstimme in den Tunnel hinein, der zum Portal führte. Er erwartete nicht wirklich eine Antwort, denn an die Namen seiner Kolleg*innen konnte er sich inzwischen sowieso größtenteils nicht erinnern.
„Ich bin´s“, dröhnte es mit sonorer Wucht zurück, „Jazzbert, dein Sohn!“
Ach du liebe Güte! Wann hatte Rugbert den nur vergessen? Und wer war seine Mutter? Leicht verdattert schüttelte er den Kopf, rückte sich den Hut würdevoll zurecht und drückte den Summer. Sogleich brausten ein eisiger Wind sowie der junge Mann mitsamt Motorschlitten in den Tunneleingang hinein. Hastig betätigte der Zauberer den Summer noch einmal, was das schwere Schleusentor verschloss, dann eilte er, um seinen Sohn zu begrüßen.
„Jazzbert! Wie schön, dich zu sehen!“, verkündete der Alte freudig und musste feststellen, dass der Bursche, der sich da eben den Helm abnahm und sich gleich darauf kiloweise Schnee von seinem Windbreaker abklopfte tatsächlich sehr fesch aussah. Das musste er von seiner Mutter haben, fand Rugbert. Die Wetterhexe Grizabelle? Diese windige Eisfee vom Nordkap? Oder gar die hellsichtige Nebelnorne aus Dingsbums …
Eine stürmische Umarmung seines Sprosses beendete das hoffnungslose Grübeln.
„Heißa Daddy!“, rief Jazzbert aus und wirbelte seinen Vater so mir nichts, dir nichts dreimal in die Runde, was den Alten schwindeln ließ. Als er wieder Boden unter den Füßen hatte, besah er sich den Jungen nochmal richtig. Er war eindeutig gewachsen, seit …
„Was ist, gibt’s Tee mit Wums? Ich bin seit heute Morgen früh unterwegs. “
„Aber sicher doch!“
Das wäre ja noch schöner, wenn Rugbert vergessen hätte, wie man den zubereitete.
Kurz darauf saßen Vater und Sohn zusammen in der Wohnküche, die zugleich eine typische Zaubererküche war. Überall gab es Kräutertöpfe, allerlei Tiegel, einen riesigen Messerblock, ungespülte Reagenzgläser und Klimbim, aber auch eine gemütliche warme Ofenbank mit freiem Blick durchs Bullauge auf den Nordpol. In unregelmäßigen Abständen wumste der Tee von Rugbert oder Jazzbert, der nebenbei reichlich aus der Keksdose nahm.
„Was führt dich hierher?“, begann der Alte irgendwann, während er in seiner Tasse rührte.
Natürlich lag es auf der Hand. Es war spät im Dezember und garantiert war das hier ein Weihnachtsbesuch, doch seit wann scherten sich Zauberer um diesen menschlichen Tüddelkram?
„Ich bin hier wegen einer Einladung“, begann Jazzbert und strahlte dabei über das ganze Gesicht, was andeutete, dass er mit einer Zusage rechnete.
„Du willst Weihnachten feiern? Das ist doch so gar nicht unsere Art“, hakte sein Vater etwas ungläubig nach.
„Potzblitz, das muss ausgerechnet von dir kommen“, fand Jazzbert und schlürfte am Wums.
„Wieso von mir?“
„Glaubst du, das wüsste niemand, dass du Jahrhunderte lang immer in diesem albernen rot-weißen Kostüm mit so einem nostalgischen Schlitten rumgeflogen bist, um Schornsteine zu verstopfen?“
Es wumste in Rugberts Tasse oder er verschluckte sich gerade. Was hatte er getan?
„Weißt du das etwa nicht mehr, Dad?“
Es war nur allzu offensichtlich. Vielleicht hatte Rugbert diesen Dienst an der Menschheit auch eingestellt, weil er sich nicht mehr rechtzeitig entsinnen konnte, dass es wieder so weit war, diese Show abzuziehen.
„Alles hat seine Zeit“, fand er und nahm sich einen Keks, bevor sein Sohn die ganze Dose allein verkasematuckelte. „Und was ist das jetzt für eine Einladung?“
„Stell dir vor, ich werde heiraten!“
Das war eine tolle Neuigkeit.
„Oh, wie schön!“, rief der Alte aus und umarmte seinen Sohn spontan. „Wer ist sie, kenn ich sie?“
„Sie?“
„Ja, sie?“
„Dad, hast du etwa mein Coming Out schon wieder vergessen?“
Oh Hilfe! Jetzt galt es, zu improvisieren!
„Mein lieber Junge, in meinem Alter, da wird das doch alles eins. Eine Schwiegertochter oder ein Schwiegersohn … Hauptsache, du weißt, wen du willst. Love is Love – wie man so schön sagt.“
„Das hast du jetzt aber toll formuliert, Dad“, gab Jazzbert zu, der sich schon daran gewöhnt hatte, seinem alten Herrn das eine oder andere nachzusehen. „Mum kommt übrigens auch“, fuhr er fort. „Ich hab ihr meinen Süßen neulich an Thanksgiving vorgestellt.“
„Oho! Und, was sagt die alte Hexe zu deinem Bräutigam?“
„Nenn sie doch nicht so!“
„Wie denn dann? Windige Fee, nebulöse Norne?“
„Grizabelle ist völlig in Ordnung. Und sie war sehr angetan von ihm. Er hat nicht nur alles restlos aufgegessen, was sie aufgetischt hat, er hat auch die Kartons vom Bringdienst ignoriert, die sie versehentlich nicht weggeräumt hatte.“
Rugbert sah ein, dass dies eine Leistung war und zauberte noch eine neue Ladung Kekse hinein in die Dose.
„Wie ist denn sein Name und was macht er?“, fragte er dann mit aufrichtiger Neugier.
„Robin heißt er und er ist ein Waldelb. Du weißt schon: tagsüber schläft er und nachts treibt er … so allerhand Unsinn.“
„Mit dir?“
„Oh ja!“
„Versteh schon …“
Das ließen beide für einen Moment sacken, dann bot der Alte noch eine weitere Tasse Tee an. Jazzbert rührte – in Gedanken bei seinem Robin – darin herum.
„Du kommst also“, stellte er dann fest. „Wir wollen Silvester heiraten.“
Rugbert nahm einen Schluck mit Wums. „Das ist schon in ein paar Tagen“, überlegte er laut.
„Ja, naja, und? Ich meine, wir sind beide Zauberer, Mum ist 'ne Hexe – wir werden doch in ein paar Tagen eine Hochzeitssause hingezaubert kriegen.“
Da war natürlich was Wahres dran. Zwar fand sich Rugbert als Wedding Planer denkbar ungeeignet, aber gewiss hatte sich Jazzbert bereits so seine Gedanken gemacht.
„Wenn ihr erstmal einen ruhigen, abgelegenen Ort für eure Flitterwochen braucht“, fiel dem Alten spontan ein, „dann kann ich dir gern den Eisberg hier überlassen. Ich habe ja noch eine Zweitwohnung in Manhattan.“
„Du hast eine Bude in Manhattan? Das hast du ja noch nie erzählt!“
„Hab ich vergessen. Es ist keine Bude, es ist eine Penthousewohnung am Central Park.“
„Du kriegst die Tür nicht zu! Dad! Macht es dir was aus, wenn du den Eisberg behältst und ich mit Robin das Penthouse nehme?“
„Na, von mir aus. Ihr jungen Leute wollt ja sicher ein wenig Action. Und mir gefällt es hier, vor allem, weil die Rentiere genug Auslauf haben.“
Mit dem Mund voll Keks nickte Jazzbert. Da war ja was. „Ich hatte gehofft, dass du die noch hast“, begann er.
„Natürlich hab ich die noch. Die sind mit einem Spezialzauber versehen und ich habe sie alle sehr liebgewonnen.“
„Dann bring sie doch unbedingt mit. Robin und ich haben lange überlegt und wir fänden es große Klasse, wenn wir mit diesem nostalgischen Schlitten von dir in die Flitterwochen fliegen könnten.“
Das war tatsächlich eine grandiose Idee, fand der Alte, konnte sich nur nicht so recht entsinnen, wo er das Ding zuletzt abgestellt hatte. So ein „Just married“-Schild wäre ja schnell gepinselt und ein paar Dosen zum Anhängen an die Kufen brauchte er hier in der Zauberküche nur zusammensuchen …
„Wenn du dann fertig bist mit Naschen, Sohnemann, lass uns nachsehen, wo der Schlitten hingekommen ist.“
Jazzbert war sofort Feuer und Flamme. Solche Suchen im Zauberreich seines Vaters waren immer ein Riesenspaß und für die ein oder andere Überraschung gut. „Vielleicht ist er unten in der Höhle, wo du deine Schätze bunkerst. Da könnten wir anfangen.“
„Dann müssen wir aber leise sein, sonst wecken wir meinen Drachen auf, der dort schläft.“
„Macht doch nix. Ich wollte Dragobert sowieso auch einladen.“
„Na dann mal los!“, rief der alte Zauberer begeistert. Kaum zu glauben, dass er seinen Sohn am Mittag noch vergessen hatte und jetzt dessen Hochzeit mit einem unsinnigen Waldelben mitplante! Und er würde Grizabelle wiedersehen. War das nicht alles ganz fantastisch?
The End.