Nach dem Prompt „Drachentausendfüßler“ der Gruppe „Crikey!“
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Was ist eigentlich ein Drache?
Diese Frage kann jedes Kind der Eisenwelt beantworten, und doch ist die Antwort nicht so simpel, wie sie auf den ersten Moment scheinen mag. Denn Drachen waren - und sind - sehr vielfältige Geschöpfe und die Definitionen können sich stark unterscheiden.
Der klassische Drache ist lange ausgestorben. Bei ihm handelt es sich um jene Tierart, die den Planeten gemeinsam mit den Dinosauriern bewohnte und als vernunftbegabte Herrscher oder Hirten jener Zeit gelten. Die engste Definition umfasst die Drachenkaiser und ihre unzähligen Artverwandten, welche Meer, Luft und feurige Berge bewohnten. Vier Beine und Flügel, gehörnte Köpfe und reptilienartige Schuppen, dazu eine inhärente Magie von Feueratem oder einer vergleichbaren Waffe gelten als Merkmale der Wahren Drachen. Doch schon hier gibt es mannigfaltige Unterschiede, etwa in giftigen Seeschlangen mit verkümmerten Flügeln oder in den schwerfälligen, flugunfähigen Lavadrachen. Lange oder kurze Hälse und Beine, Form der Körper, große Köpfe, kleine Köpfe, Körperbau, sogar in der Lebensspanne unterschieden die Drachen sich gewaltig. Manche, wie die Drachenkaiser, lebten für ganze Erdzeitalter, andere für wenig länger als Momente.
Dann gibt es Kreaturen wie die möglicherweise fiktionalen Himmelsdrachen oder Long von Akijama, welche ohne Schwingen flogen und großen Schlangen mit vier kurzen Beinen glichen, und Wyvern, welche nur zwei Beine nebst den Schwingen haben.
Oder die verschiedenen Arten der Basilisken! Den Cockatrice, ein Drache von der Größe eines Strauß', mit drei Köpfen und drei Schwänzen, gefiederten Schwingen, Vogelbeinen, Schnabel und Hahnenkamm, Schlangenkörper und tödlichem Blick: Jedoch eindeutig ein Drache. Was ist dann aber mit dem Gemeinen Basilisken, einer großen Schlange mit gefiederten (Weibchen) oder Hautflügeln (Männchen), Hahnenkamm und Drachengift, welche noch heute von Wieseln gejagt wird und deren Eier sich häufig in Hühnerställen finden? Ein überlebender Drache? Wie steht es mit dem Falschen Basilisk, Sibilus aus, einer schwarzen Giftschlange mit orangem Bauch und einer markanten, dornenartigen 'Krone' auf dem Kopf, welche für Erdwesen nicht die geringste Gefahr darstellt?
Weiterhin gibt es kuriose Fälle wie die Drachenschnecken, feuerliebende Tiefseeschnecken mit einem Panzer aus Eisen, die in ozeanischen Vulkanen wohnen. Sie haben wenig Drachenartiges an sich, allerdings existieren sie bereits seit der Zeit der Dinosaurier, sind ungewöhnlich langlebig und scheinen bei ihrem Abbau vulkanischen Gesteins - aus dem sie ihre Panzer bauen - erstaunliche Kunstwerke und Hallen zu formen. Zwar lassen sie sich nur schwerlich erforschen, doch diese uralten Wesen zeigen scheinbare Zeichen von Intelligenz, die Fähigkeit zur Kunst, also warum sollte es sich nicht um kleine, merkwürdig geformte Drachen handeln? Schließlich gab es auch Wesen wie die Riffdrachen, welche einen plumpen Leib, langen Schwanz und nur noch zwei kurze Ärmchen aufwiesen, zudem eine hohe, schmale Rückenflosse (oder Rückensegel).
Welche Rollen spielen die geschuppten Tiermenschen der Dracotauren von Meleris, oder Kreaturen wie die Hydra, welche ein Einzelwesen, aber nicht weniger drachenartig war?
Die Antwort ist ernüchternd: Ob es sich um Drachen handelt oder nicht ist in vielerlei Hinsicht abhängig von der verwendeten Definition und darum geradezu beliebig auszuwählen. Ob nun eine evolutionäre Geburt angenommen wird, eine Systematik nach äußeren Merkmalen oder eine grobere Klassifizierung als Unterart der Fabelwesen, immer finden sich Fälle, wo ein Wesen ausgeschlossen wird, das eindeutig ein Drache sein sollte, oder eingefasst, wenn es sich wohl kaum um einen Drachen handeln sollte. Viele der Definitionen rücken Drachen in die direkte Nachbarschaft von Insekten, andere sehen in der Definition eine Rollengruppe, der verschiedene Tier- und Fabeltierarten entsprechen, was eine kulturell begründete Definition annimmt: Es gibt also gar nicht den Drachen, sondern einen Haufen verschiedener Arten und Gattungen, die mit dem gleichen Namen bezeichnet werden!
Erst kürzlich wurde eine Kreatur entdeckt, die alle Definitionen erneut auf die Probe stellt: Der Drachentausendfüßler, auch dhubyanischer Monsun-Teufel genannt. Dieser rote bis pinke Tausendfüßler bewohnt die Kalksteingebirge des Dschungelreichs und ist vor allem nach starken Regenfällen anzutreffen, wo sich wahre Kolonien der drei bis 30 Zentimeter langen Tausendfüßler zeigen. Je nach Art sind sie bei Berührung toxisch oder können sogar Gift bis zu einem Meter weit spucken, und es gibt Unterarten mit Hörnern und Dornen auf dem Panzer. Ihre Säure ist hochentzündlich und kann durchaus als Drachenatem gewertet werden, und doch handelt es sich 'nur' um ein Insekt ... oder nicht?