(sooooo - dann hab ich mit den neu hochgeladenen Kapiteln die 10000 Wörter für die Winterinvasion geschafft! :D )
Donnerstag, 23. Juni
Er kam zu spät.
Verschlafen. Nachdem er von Arbeit nach Hause gekommen war, hatte er sich so erschöpft gefühlt, dass er sich ein paar Minuten auf der Couch ausruhen wollte. Nun war er zu spät - und immer noch müde.
Fast hätte Jonathan sich deswegen schlecht gefühlt. Doch dann fiel ihm ein, dass er Louisa den ganzen Ärger erst verdankte. Sein schlechtes Gewissen legte sich wieder. Trotzdem ging er zügig weiter. Und sei es nur, damit er nicht länger mit seinen Zweifeln im Kopf diskutieren musste. Doch die leise Stimme blieb nicht still.
Es könnte eine Falle sein. Louisa könnte ihm schaden wollen. Aber warum? Wegen den Kaktussteinen? Die hatte er sicher in seinem Portemonnaie verstaut. Außerdem war Louisa seine einzige Möglichkeit auf ein paar Antworten. Und letztendlich wusste sie doch sowieso, wo er wohnte, oder? Und sie hatte schon einen Einbrecher auf ihn angesetzt. Was sollte sie sonst noch tun?
Zögernd blieb Jonathan stehen. Gut. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, sie zu warnen. Und vielleicht war es erst recht ein Fehler, jetzt hierzusein. Er schluckte.
Intuitiv glitt seine Hand zu seiner Gesäßtasche. Das Klappmesser, das Lillian neulich dem Einbrecher abgenommen hatte, war noch da. Weder sie noch Raik hatten es für nötig gehalten, das Ding mitzunehmen. Also hatte Jonathan es sauber gemacht ... und nun für sein Treffen mit Louisa eingesteckt.
Die gut geschliffene Klinge nun in seiner Tasche zu spüren, war seltsam beruhigend und beängstigend zugleich. Eher beängstigend. Er musste wahnsinnig sein, freiwillig in eine Situation zu gehen, wo es ihm sinnvoll schien, sich zu bewaffnen.
Jonathan drehte sich um. Das war eine dumme Idee gewesen. Er sollte nach Hause gehen. So schnell wie möglich.
„Jonathan?“
Louisas Stimme. Er zuckte zusammen.
„Jonathan!“
Wie von selbst drehte sein Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam und sah nun die blonde Frau mit langen Schritten auf ihn zueilen, während sie ihr Handy in ihre Tasche zurücksteckte. Er blinzelte. Ihre Augen. Einen Moment lang schienen sie ihm regelrecht entgegen zu leuchten. Im wörtlichen Sinne. Er blinzelte wieder. Das Leuchten war weg. Irritiert sah sich Jonathan um. Hatte ihn ein Auto geblendet?
„Wie schön, dass du da bist!“, ergänzte sie ein wenig außer Atem. Einen Moment lang sah es so aus, als würde Louisa ihn umarmen wollen. Doch als sie merkte, dass Jonathan sich keinen Schritt auf sie zubewegte, trat sie wieder zurück. „Ich hatte schon befürchtet, du würdest nicht kommen.“
Er nickte, als hätte er sich nicht gerade entschlossen, dass es besser wäre, zu gehen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ja“, murmelte er leise und ergab sich seinem Schicksal. „Ich hab mir ein paar Antworten erhofft.“
„Die sollst du kriegen. Wollen wir etwas Essen? Der Italiener im Bahnhof soll ganz gutes Eis haben.“ Louisa lächelte, wie wohl Luzifer gelächelt haben musste, kurz bevor er Eva die Frucht gegeben hatte. Aber immerhin leuchteten ihre Augen nicht. Wie dumm. Natürlich taten sie das nicht. Er war nur geblendet worden.
Eine schweigsame Viertelstunde später, hatten sie jeweils einen Eisbecher vor sich stehen und beäugten sich über den Tisch hinweg unschlüssig. Noch immer sagte niemand ein Wort. Jonathan zwang sich dazu, sich ein bisschen gemütlicher hinzusetzen und holte sein Handy aus der Hosentasche. Das Klappmesser ließ er, wo es war – obwohl es noch sehr viel unbequemer in seiner Tasche lag.
Während er sein Telefon auf den Tisch legte, registrierte er das Blinken einer Nachricht. Kurz sah er zu Louisa. Aber das hier war kein Date. „Entschuldige kurz“, murmelte er ihr leise zu und öffnete den Bildschirm.
Eine Nachricht von Huntress: „Hey. Sorry for bothering you. But I really want to know: How is the painting going? A friend of mine is really into wolves and exited to see your art! :D“1
Unwillkürlich musste er lächeln. Ihre Worte und ihr Interesse machten ihn gleich optimistischer. Rasch tippte er eine Antwort: „Too slow. T_T I‘ve been very tired, lately. Last days were very tough. So I couldn’t find enough time to finish the picture.“2
Gut, nicht das beste Englisch, aber sie würde es schon verstehen. Jonathan legte sein Handy wieder auf den Tisch. Wenn dieses Treffen hier vorbei war, würde er mit seinem Leben normal weiter machen. Und vor allem endlich sein Bild beenden.
Aber dazu musste er dieses Gespräch erst einmal hinter sich bringen. Also begann er mit dem nächstgelegenen Thema: „Wie geht es eigentlich Jimmy?“
Immerhin war der Hund Thema Nummer eins bei ihrem letzten Date gewesen. Auch jetzt zauberte dessen Erwähnung ein hübsches Lächeln auf Louisas Gesicht. „Gut. Er ist grad bei meiner Mutter, weil-“ Ihr Lächeln erstarb. „Naja. Du weißt schon.“
Womit sie endlich am springenden Punkt angekommen waren – und Jonathan war nicht gewillt, länger drumherum zu reden: „Nein. Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Seit Tagen fühlt sich mein Leben wie eine schlechte Krimi-Soap an. Dann steht bei mir ein Einbrecher im Haus. ZUM ZWEITEN MAL! Und der wird von ... keine Ahnung ... Polizisten in zivil oder so ... verprügelt und abgeführt! Und jetzt sitze ich hier. Mit dir und Eis. Als wäre nichts passiert! Obwohl das alles deine Schuld ist. Und niemand hält es für nötig, mit mir über irgendwas zu reden!“
Seine Worte wurden nicht unbedingt lauter, aber immer schneller. Zum Schluss purzelten sie geradezu unkontrolliert aus seinem Mund. Während er Louisa vorwurfsvoll anstarrte, wurde ihm abermals bewusst, wie ungeheuerlich seine Lage war.
Louisas Schweigen machte es nicht besser.
Ihr Seufzen auch nicht.
„Lillian und Raik sind keine Polizisten“, murmelte sie schließlich zwischen zwei Happen Eis. „Würdest du mich fragen, ich würde sie als gewissenlose Handlanger einer Organisation mit mafiösen Strukturen beschreiben.“
Jonathan warf einen kurzen Blick auf seinen eigenen, noch immer fast vollen Becher. Er sollte mit Essen anfangen. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen. „Mafiöse Strukturen? Was meinst du? Arbeiten sie für irgendeinen einen Konzern? Einem Kartell? Einem Edelsteinschmuggler-Ring?“
Seine Gesprächspartnerin seufzte wieder und rieb sich die Stirn. „Du weißt wirklich gar nichts, oder?“
Boar. Sich mit ihr zu unterhalten war fast so nervig, wie mit Raik zu reden. „Nein. Woher auch?“
„Das ist ein Argument“, meinte sie schließlich und es klang, als hätte er etwas extrem Schlaues gesagt. Nur, dass Jonathan sich nicht danach fühlte. „Genau genommen sollst du auch gar nix wissen. Aber andererseits...“
Sein Telefon vibrierte. Reflexmäßig griff Jonathan nach dem Handy, das neben ihm auf dem Tisch lag. Vielleicht seine Mutter oder eine Antwort von Huntress?
Plötzlich legte sich Louisas Hand auf die seine.
Jonathan erstarrte bei dem Gefühl ihrer kalten Haut auf seinem Handrücken.
Doch Louisa ließ sich davon nicht beeindrucken. Stattdessen bohrten sich ihre hellen Augen intensiv in die seinen. Fast schienen sie zu leuchten. Fast- nein. Er war sich sicher, dass sie leuchteten. What the-?
„Andererseits steckst du schon zu tief drin. Das sollte man nicht mehr ignorieren... Rumpere.“
Mittlerweile war ihre Stimme kaum mehr als ein leises Flüstern, aber Jonathan verstand jedes Wort. Er konnte nicht anders, als Louisa anzustarren. Und plötzlich wandelte sich die Kälte ihrer Hand in prickelnde, stechende Wärme. Hitze, die sich durch seine Haut hindurchzubrennen schien. Er ächzte. „Was?!“
„Hexen gibt es wirklich, Jonathan.“
Er starrte sie an, das brennende Gefühl noch immer unter seiner Haut. Dann wollte er sich zurücklehnen und lachen. Sie vielleicht auch auslachen. Nicht zuletzt, um sich selbst Mut zu machen. Aber es ging nicht.
Louisas Griff um seine Hand war unerbittlich. „Ich scherze nicht. Oboedientia.“ Ihre Augen blitzten hell auf.
Jonathan blinzelte. „Du glaubst das wirklich, oder? Ich-“
„Nunc. Schweig.“
Er schwieg.
Nicht, weil er schweigen wollte. Oder nichts mehr zu sagen hatte. Sondern, weil es ihm wortwörtlich die Sprache verschlagen hatte. Egal, was er versuchte. Er bekam kein Wort heraus.
Jonathan starrte Louisa an. Sie blickte zurück und schien genauso sprachlos wie er zu sein. Als hätte sie selbst nicht geglaubt, dass das, was auch immer sie getan hatte, wirkte. Langsam kam die Panik.
Wieder versuchte er, zu sprechen. Wieder konnte er nicht einmal irgendeine Art von Ton über die Lippen bringen. Endlich riss er seine Hand aus ihrem klammen Griff heraus und griff sich an den Hals, versuchte zu husten.
„Ganz ruhig, Jonathan. Ich kann das erklären...“, murmelte sie leise.
Jonathan dachte gar nicht daran, ruhig zu werden. Stattdessen schlug er mit der Faust auf den Tisch – nur, um irgendwie auf sich aufmerksam zu machen.
Louisas Augen weiten sich, begannen regelrecht zu strahlen. „Nunc. Stopp!“
Ohne eigenen Willen stoppte Jonathan mitten in der Bewegung. Die Füße. Er konnte noch die Füße bewegen. Mit einer abrupten Bewegung schob er den Stuhl zurück, wollte aufstehen, verschwinden.
„Nein! Nunc. Bleib sitzen – entspannt.“
Er sackte in sich zusammen und Louisa atmete erleichtert auf. „Okay. Hör zu, hör zu“, ihre Stimme war leise, aber eindringlich.
Da Jonathan im Moment sowieso nichts anderes tun konnte, erwiderte er ihren Blick geradeheraus. Jetzt leuchteten ihre Augen nicht, sondern waren einfach nur hellblau. Genau so, wie er es in Erinnerung hatte.
„Ich habe einen Plan. Und du – du bist ein wichtiger Teil davon“, fuhr Louisa fort. „Also wir bezahlen jetzt, stehen auf und gehen zu meinem Auto. Unauffällig, ja?“
Nicht einmal, wenn er gewollt hätte, hätte Jonathan nicken können.
Trotzdem lächelte Louisa aufgeräumt und distanziert. „Gut. Dann wollen wir mal. Nunc.“ Ihre Augen blitzten wieder unnatürlich hell. Bemerkte das denn kein anderer? „Bleib ruhig, kein Wort, keine Gesten, keine auffälligen Geräusche. Du wirst das Eis bezahlen, wenn die Rechnung kommt.“
Mit diesem Befehl hob Louisa die Hand und machte eine schreibende Geste, um dem Ober zu verstehen zu geben, dass sie gerne zahlen würde, während Jonathan keinen Muskel rühren konnte, um irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Kurz darauf kam der Kellner mit der Rechnung. „Zusammen oder getrennt?“
„Getrennt bitte.“ Louisa behielt ihr Lächeln verbissen bei. Fast bewunderte Jonathan sie dafür. Aber er war viel zu sehr mit der Tatsache beschäftigt, dass er tatsächlich sein Portemonnaie hervorkramte. Er wollte das nicht. Aber er konnte es auch nicht stoppen. Hilflos starrte er auf seine Hände, die wie von selbst einen Schein hervorzerrten und dann das Münzfach öffneten.
Rotes Licht strahlte ihm gleißend hell entgegen.
Jonathan starrte es an. Wäre er Herr über seinen Körper gewesen, er hätte sein Portemonnaie weggeschmissen und wäre gerannt. Aber er war nicht Herr seines Körpers. Und so schoben seine Finger sich in das rot leuchtende Münzfach und kramten das fehlende Geld hervor, während das rote Licht ihn so sehr blendete, dass er gar nichts mehr erkennen konnte. Die Steine. Es mussten die zwei Steine aus den Kakteen sein. War er denn der Einzige, der das sah?
Da griff eine Hand nach seiner Geldbörse und drehte sie ein wenig. Es war eine Frauenhand. „Du hast sie dabei? Alle beide? Bist du wahnsinnig?“, zischte Louisas Stimme leise, ehe sie ihre Hand rasch wieder zurückzog.
Also hatte er es sich doch nicht eingebildet. Das war gleichermaßen beruhigend wie besorgniserregend. Doch wegen ihrem Zauber, konnte Jonathan nicht darauf reagieren. Stattdessen reichte er dem irritiert schauenden Kellner das Geld und steckte sein Portemonnaie wieder weg.
Als der Ober sie verabschiedet hatte, klopfte sich Louisa auf die Oberschenkel, als müsse sie sich selbst wieder zur Ordnung rufen. „Es tut mir leid, dass du deins nicht aufessen konntest.“ Es klang gut, doch das aufkommende Leuchten in ihren Augen, strafte ihre Worten lügen: „Nunc. Folge mir, ohne sprechen, ohne Gesten, ohne Geräusche. Unauffällig.“
Sie stand auf und zog ihr Handy aus der Tasche, um irgendetwas darauf herumzutippen. Im gleichen Moment bewegte ich auch Jonathans verräterischer Körper, stand brav auf und folgte Louisa. Was für ein Alptraum.
Er schwitzte wie nach einem Ausdauerlauf und der Schweiß floss ihm in kleinen Bächen den Rücken herab. Er spürte jeden Einzelnen davon, während er selbst Gefangener im eigenen Körper war und jeden Befehl von Louisa ausführen musste. Was war das? Und was war das, was er immer wieder zu sehen glaubte? Drogen?
Sie hatte von Hexerei gesprochen.
War das möglich? Alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Aber andererseits hatte er noch nie von einer Droge gehört, die eine solche Wirkung hatte. Oder war es Hypnose? Aber wann sollte sie ihn hypnotisiert haben? Jonathans Gedanken rasten, während er Louisa zu ihrem kleinen Ford Fiesta folgte. Alte Schrottkarre. Gab es dafür überhaupt noch Ersatzteile? Jonathan schnaubte – und war überrascht, dass er das konnte. Vielleicht deckte dieser „Zauber“ ja auch nicht alles ab? Vielleicht gab es ein Schlupfloch?
Mit dieser Überlegung stieg er in den Wagen, als Louisa ihm die Tür öffnete. „Nunc. Steig in den Wagen, schnall dich an und bleib sitzen, die Hände im Schoss.“
Natürlich tat er das. Angst und Frustration rangen in ihm um den ersten Platz seiner Gefühle, während er ergebnislos versuchte, wenigstens einmal ganz kurz den Hintern zu heben, damit das Klappmesser in seiner Hosentasche vielleicht in eine etwas bequemere Position rutschte. Aber er konnte nur sitzen und schweigen, während Louisa sich langsam in den Verkehr einfädelte.
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1 Übersetzung: „Hey. Entschuldige, wenn ich dich störe. Ich wollte nur Fragen: Wie geht es mit dem Zeichnen? Ein Freund von mir ist wirklich neugierig auf deine Kunst!“
2 Zu langsam. „Ich war in letzter Zeit sehr müde. Und die letzten Tage waren sehr anstrengend. Daher konnte ich nicht genügend Zeit oder Kraft finden, mein Bild zu beenden.“