Das Motiv des Chinesenspuks in "Effi Briest" von Fontane
Im Folgenden werde ich das Chinesenmotiv und was der Chinese für Effi sowie seine sprachliche Darstellung in dem Textausschnitt von der Seite 49 Zeile 30 bis Seite 52 Zeile 34 des Familienportraits „Effi Briest“ von Theodor Fontane als Buch erschienen im Jahr 1896 (zuvor erschienen von Oktober 1894 – 1895 in der Deutschen Rundschau). Als Grundlage für meine Analyse liegt mir die Fassung A18 aus dem Jahr 2017 des Schöningh Westermann Verlags („EinFach Deutsch“) zugrunde. Der Roman entstand zur Zeit des Poetischen-Realismus und portraitiert Effi, geborene Briest, welche mit Gerdt Instetten, in jungen Jahren (sie ist erst 17 Jahre alt) verheiratet wird. Sie zieht von Hohen Cremen nach Kessin und anschließend nach Berlin, wo ihre Affäre mit Major Crampas auffliegt und die schwer kranke Effi nach der Scheidung wieder von den Eltern aufgenommen wird und in Hohen Cremen letztlich dahingeht. Während fast der gesamten Handlung, welche man in fünf „Akte“ (Dramen Theorie nach Freytag, welcher den Aufbau des idealen Dramas so skizziert) einteilen kann, tritt immer wieder ein Chinese auf welcher die Handlung mitunter beeinflusst und die einzelnen Figuren näher skizziert.
Nach dem ersten lese Verständnis ist der Chinese ein zentrales Motiv um die Spannungen zwischen Effi und Instetten sowie die Entscheidung zwischen gesellschaftlichem oder menschlichen Verhalten zu verdeutlichen. Außerdem scheint es so als wenn sich Effi durch den Chinesen vor dem ganzen Kessin fürchtet, aber Instetten dies nicht beachtet.
Nachdem Effi mit jungen 17 Jahren den Liebhaber ihrer Mutter Instetten heiratet zieht sie von Hohen Cremen nach Kessin. Schon auf der Hochzeitsreise wird deutlich, dass sich Effi als Naturliebend nicht mit der Kunst anfreunden kann, zu der Instetten sie schleppt. Im Sechsten Kapitel kommen Effi und Instetten in Kessin an. In diesem ist auch der vorliegende Ausschnitt, welcher nun genauer analysiert wird. Dieser wurde – der Übersichthalber in 5 Abschnitte unterteil. Der erste beginnt auf der Seite 49 Zeile 30 und geht bis Seite 40 Zeile sieben, im Anschluss folgt der zweite Abschnitt bis Seite 51 Zeile 14, darauf der dritte bis Seite 52 Zeile acht. Der letzte geht von Seite 52 Zeile neun bis 34.
Im ersten Abschnitt ist die Hypotaxe so wie der sehr geringe Redeanteil zu nennen, als auffällige sprachliche Mittel. Dennoch wird Instetten als höhergestellte Figur dargestellt, da er Weisungen gibt (vgl. S.49, Z.33). Die einzige wörtliche Rede ist von Instetten knapp und fast befehlsartig formuliert „Nun vorwärts, Kruse“ (S.50, Z.2). Dann beginnt die Kutschfahrt und es wird beschrieben, wie die Kutsche in „Schräglinie[en]“ (S.50, Z4) den Bahndamm herunter fährt. Diese Erwähnung des nicht geraden Abstiegs deutet schon an, dass es nicht ganz rund laufen wird in der kommenden Zeit und es immer wieder problematische Situationen entstehen. Dies ist so, da vor allem bei einer Kutschfahrt eine Schräglage und / oder viele Kurven immer gefährlich waren. Nachdem diese Abfahrt jedoch hinter sich gelassen wird, kommen Effi und Instetten an einem Gasthaus vorbei, welchen den Namen „Zum Fürsten Bismarck“ (S.50, Z.7) trägt. Ob man diesem Namen besondere Aufmerksamkeit schenken sollte oder nicht ist strittig. Zum einen kann sie die damalige Situation verdeutlichen – Die einigungskriege waren erfolgreich gewonnen, der Sedantag wird gefeiert und die deutsche Nation ist durch Bismarck geeint. Überall gibt es Denkmäler, Restaurant, Straßen und Plätze zu Ehren des ersten Kanzlers mit seiner Zuckerbrot und Peitschenpolitik. Somit wäre dies dem damaligen Zeitgeist geschuldet, dass dieses Restaurant genannt wird. Doch da Bismarck auch im späteren Verlauf des Romans mehrmals auftritt, kann man diese Platzierung vor Kessin auch als Vorbote deuten. Noch sind Instetten und Effi nicht in Kessin – der Stadt in der Instetten Wohnt und dort hohe Ämter ausführt, dennoch wird schon der Scheideweg aufgezeigt. Somit deutet dieses Restaurant Instettens handeln an – rein gesellschaftlich. Er wird so wahrscheinlich nicht auf Effi’s Wünsche und Ängste eingehen, sondern seine Kariere verfolgen. Diese kommende Entscheidung wird auch durch die Gabelung hinter dem Restaurant angezeigt. Dort geht es entweder nach Varzin – wo Bismarck ein Rittergut besaß – oder nach Kessin.
Im zweiten Abschnitt wird eine Person beschrieben, die vor dem Restaurant steht und Instetten „mit viel Würde“ (S. 50, Z.13) grüßt. Auf Effis Frage erklärt Instetten in einer langen Rede dass es ein Starost sei und bei den Wahlen wichtig sei. Durch das würdevolle grüßen wird Instetten als „hohes Tier“ dargestellt in welcher Position er sich auch selbst sieht. Er wird durch den neutralen Erzähler insofern aufgewertet, dass er den meisten Redeanteil besitzt und dabei auch abwertend über den Starosten redet (vgl. S.50, Z.22-24). Hier unterstellt Instetten sogar Golschowski Straftaten als Höhepunkt des Klimax. Nach dem er seine Unterstellungen durch Heranziehen von Meinungen anderer Fürsten untermauert, schließt er seine Erläuterungen ab und betohnt noch mal dass er unverschämt hohe Zinsen nimmt, und somit seinem eigenen Volk – den Polen – entgegentritt.
Effis juvenile Antwort ist nur, dass er gut ausgesehen habe worauf Instetten weiter vor fährt gegen ihn zu reden. Somit wertet er sich weiter auf indem er meint, dass sein Aussehen das einzige sei, was man positives von ihm sagen könne. Dies hat den Unterton, dass das Aussehen keinen guten Menschen macht. Er fügt hinzu, dass sie keinen Respekt haben und macht sie so zu niedrigeren Menschen ohne Moral. Somit weitet er die Lebensart von Golschowski auf alle anderen Menschen aus, die um Kessin leben und macht Effi sogar Angst indem er ihr sagt, dass alles unsicher sei (vgl. S.51Z.8).
Wie vorausgeplant zeigt sich Effi nun sehr verängstigt, doch Instetten päsentiert sich als Ihr beschützer, der alles über Kessin weiß. Somit erhöht er nochmals seine Stellung und baut auch eine besondere Beziehung zu Effi auf. Das heißt dass, er Effi durch ihre Angst an sich bindet. Er weißt sie regelrecht auf ihren Platz und gibt ihr indirekt die Anweisung im Hause zu bleiben. Dies ist so, weil er alles außerhalb als böse und unsicher charakterisiert. Und diese Zeit, wo Effi alleine zu Hause sein muss, wird schon als Problem vorausgedeutet. Dass sie alleine sein wird, zeigt sich dadurch, dass alle unheimlich seien, die außerhalb ihres Hauses ist und sie nur da sicher ist, wenn Instetten sie nicht beschützen kann.
Im nächsten (dritten) Abschnitt scheint Effi zu merken, dass Instetten sich höher stellt, als alle anderen, weil sie fragt ob es nur Spott sei, oder nicht, doch Instetten rudert elegant zurück. Er erklärt ihr von oben herab, dass das die Stadtbevölkerung anders sei als die Landbevölkerung. Aber er relativiert auch gleichzeitig den Begriff „Unsere guten Kessiner“ (S.51,Z.13-14). Dabei stellt er sich mal wieder höher als die Bevölkerung Kessins. Außerdem ist sein Redeanteil immer noch weitaus größer und ausschweifender als der Effis, was seine erhöhte Position zu Effi unterstreicht. Effis Frage ist wieder kindlich und leicht dümmlich gestellt, und Instetten erklärt lang und breit, dass es von der Ursprünglichen Bevölkerung herstamme. Er benennt dieses Volk als Kataschuben und erklärt noch mal lang und breit was das für ein Volk ist. Doch dann zieht er auch eine klare Grenze zu dem Städtchen Kessin und beschreibt die multikulturelle Vielfalt. Er erklärt grob als Hinleitung zum Chinesen, dass in Kessin Menschen von überall her wohnen, weil sie Handel betreiben. Auffällig ist seine Beschreibung Kessins, als „Nest“ (S.51, Z.37). Dies deutet zweierlei an. Zum einen ist es ein Vergleich zu einem herkömmlichen Nest, wo Effi das Küken ist. So wird auf der einen Seite ihre Jugendhaftigkeit verdeutlicht und zum anderen ihre Abhängigkeit von Instetten, welcher auf sie Aufpasst und großzieht. Durch dieses großziehen im Nest wird auch seine Absicht als Erzähler von schaurigen Geschichten angedeutet – die Erziehung Effis, nach seinen Wünschen und somit das Ausbauen seiner Stellung ihr gegenüber. Auf der anderen Seite zeigt die Beschreibung „Nest“ (S.51, Z37) auch seine eigenen Wünsche auf. Er möchte in der Arbeitswelt aufsteigen und einen größeren und mächtigeren Job bekommen, um auch unabhängiger von anderen Ministerien zu werden. Durch die Wendung „Nest“, hat Instetten auch die Neugierde in Effi geweckt. Dieser Begriff hat somit für Instetten eine zentrale Bedeutung. Er verbindet mit dem Ort Kessin etwas negatives, Effi aber versteht es nicht – was wiederum Instetten als Kindliches Verständnis für sich ausnutzt – und findet es besonders spannend und positiv. Alleine dieser Gegensatz zeigt auch auf, wie unterschiedlich die beiden Figuren sind und dass diese Ehe irgendwann scheitern könnte. Am Ende dieses Abschnitts kommt Instetten als Höhepunkt seines Klimaxes auf den Chinesen zu sprechen. Somit ist eine deutliche Steigerung zu erkennen. Zunächst beschreibt er den Polen, dann das Kessiner Land und die Stadt mit den vielen Nationen, wo sich nun auch ein Chinese als Höhepunkt aufhält. Das dies der Höhepunkt ist, zeigt auch die Formulierung Effis, die sehr gespannt auf die neue Welt ist: „[…] und sogar ein Chinese“ (S.52, Z.7-8).
Im Letzten Abschnitt reagiert Instetten überheblich auf diesen Ausruf und zeigt somit noch mal, dass er sich als Erzieher sieht. Er erzählt dass der Chinese nun schon tot sei, aber malt gleichzeitig ein düsteres Bild von ihm. Er sagt, dass sein Grab neben dem Kirchhof liege, was ungewöhnlich ist, da man auf dem Friedhof, innerhalb der Kirchenmauern vor dem Bösen (der Hölle) geschützt ist, wenn man dort liegt. Dies tut der Chinese jedoch nicht. Hinzu kommt, dass sein Grab eingegittert ist (vgl. S52, Z.11-13). Dieses eingegitterte wirft einen weiteren Schatten auf den Chinesen, weil nur Straftäter eingesperrt werden. Dies gilt zwar für verstorbene nicht, da die Seele auch durch Gitter entweichen kann, zeigt jedoch in diesem Fall, dass die Kessiner Bevölkerung versuchte sich irgendwie vor dem Chinesen zu schützen. Des Weiteren erwähnt Instetten, dass um sein Grab Strandhafer gepflanzt ist. Strandhafer ist eine besondere Pflanzenart, die auf sehr sandigem und lebensfeindlichem Boden wächst und somit die Dünen zusammen hält. Dies zeigt so auch wieder, dass der Chinese an einem Platz begraben wurde, an dem man ohne Infrastruktur nicht gut leben kann, sei es Nahrungsmangel, oder das Problem, dass der Sand als Rohstoff nicht zu gebrauchen ist. Dennoch sind die Dünen – im erstaunlichen und fast komischen Gegensatz – oft eine sehr idyllische Region am Strand welche zudem auch das Hinterland gegen die Natürliche Flut und das damit verbundene Elend bei einer Flutkatastrophe schützt. Diesen Schutzfaktor der Düne kann man auch als abergläubischen Schutz vor dem Bösen und unheimlichen (vlg. Meer bei Nacht/ Sturm) deuten, welche als Parallele vor dem unheimlichen Chinesen steht. Neben diesen Fakten, des unheimlichen was anscheinend von dem Chinesen ausgeht, stehen auch Immortellen am Grabe des Chinesen. Sie werden auch übersetzt als Unsterbliche und verleihen dem Chinesen einen weiteren gruseligen Charakter. Dies ist so, da man die Anwesenheit der Immortellen auf das unsterbliche etwas des Chinesen beziehen kann – etwa der Chinese als ein Geist.
Mit den abschließenden Worten in einer Alliteration, dass es „[…]sehr schön und sehr schauerlich“ (S.52, Z.17-18)sei, macht Instetten schon Vorausdeutungen dass Effis Zeit sehr langweilig wird, auch wenn es hier sehr schön ist.
Effi ist nach Instettens Rede Zwiegespalten. Auf der der einen Seite möchte sie mehr erfahren, doch auf der anderen Seite fürchtet sie sich jetzt schon vor dem Chinesen. Durch ihre kurze Unentschlossenheit ordnet sie sich Instetten unter und erkennt ihn als starken Beschützer an. Instetten hat somit sein Ziel erreicht. Auch Instetten hat dies erkannt und nimmt Effi nicht die Angst vor dem Chinesen, sondern lässt die Möglichkeit – dass der Chinese wirklich an ihr Bett treten könne – offen. Und als Effi noch fragt ob es viele solcher Menschen in Kessin gibt bestätigt Instetten dies und gibt indirekt die Möglichkeit, dass es auch weitere unheimliche Personen in Kessin geben könnte, vor der sich Effi ängstigen kann (vgl. S.52, Z.28-31). Wie in den vorherigen Kapiteln hat Instetten den meisten Redeanteil und belehrt so Effi und zeigt sich als weißer, beschützender Mann – und auch durch seine Andeutungen als ihr Erzieher.
Und wie es bereits angedeutet wird, wird Effi alleine in Kessin gelassen wo sie sich sehr langweilt und sie hat auch einmal den Eindruck, als wenn der Chinese an ihr Bett träte – somit bewahrheitet sich ihre schlimmste Vorstellung. Außerdem wird wie angedeutet Instetten keine einfühlsamen Worte für Effi haben, sondern nur an seine eigene Arbeit und Gesellschaftliche Stellung denken, und nicht für Effi einen Schritt zurück treten.
Es zeigt sich, dass sich die Hypothese insofern bewahrheitet hat, dass sich Effi vor dem Chinesen fürchtet und Instetten genau darauf abgezielt hat. Des Weiteren trifft es auch zu, dass dort schon die kommenden Probleme der Ehe aufgezeigt werden. Effi fürchtete sich alleine in Kessin und ist somit abhängig von Instetten, welcher jedoch gesellschaftlich einen höheren Stellenwert erreichen will und somit auf Effi wenig Rücksicht nimmt.
Die Stelle ist für das Buch wichtig, weil hier der Chinesenspuk, welcher sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, zum ersten Mal erwähnt wird. Instetten festigt seine Macht und Position über Effi und bindet sie an sich. Was zwangsläufig zu Komplikationen führt wenn Instetten alleine auf Dienstreisen fährt.