MAGIE IM POTT
Die ersten Sonnenstrahlen begannen in die gemütliche Wohnküche der kleinen WG zu lünkern und Martinas kullernde Tränen zu beleuchten, als wollten sie ihren Beitrag leisten, der Verschmähten doch noch das Rampenlicht der Aufmerk-samkeit zu verschaffen.....
Gelis lange Fingernägel klackerten ungeduldig auf der Tischplatte –die impliziertenSteinchen auf weinrotem Lack schossen in der Morgensonne funkelnde Blitze in alle Richtungen der Wohnküche. "Wieso hat er abgesagt – es war doch fest abgemacht!" rief sie mit funkelnden Augen in den Raum, wohlweislich Martinas Blickrichtung vermeidend. Mit heftig ausgestossenem Rauch machte sie ihrer Empörung Luft und zerquetschte wutentbrannt ihre Zigarette, als könnte sie diesem undankbaren Verehrer noch im nachhinein den Garaus machen.
"War deine Glaskugel etwa nicht gut genug geputzt, Betty? "raunzte sie auf Bettys gesenkten Rotschopf, die arglos dösend und noch nicht ganz wach in ihren Kaffeebecher schaute. Bei dem Wort "Glaskugel" war sie jedoch sofort hellwach sofort an Bord. Dieses ewige Zankapfel-Wort - mit dem sie ihre Fähigkeiten diskreditiert fühlte.
"Ich lege Karten" - zischte Betty, wobei ihr schwarzes Abschminkstirnband auf die Augenbrauen abrutschte. "Ausserdem hat sie mich überhaupt nicht konsultiert!". Konsultiert - war Bettys Lieblingswort - es gab ihrer "Kunst und ihrem Talent" einen gehobenen Anstrich - wie sie fand.
"Wie, du hast unsere Haus und Hof Astrologin vor diesem wichtigen Event nicht konsultiert?" äffte Geli provozierend nach. Ich lege K a r t e n brüllte Betty und knallte ihren Naturjoghurt auf den Tisch. Weisse Tröpfchen sprenkelten den dunklen Schopf des geschmähten Opfers, das schluchzend ihr Handy in dem mit zwei Bärchen geschmückten Nachthemd vergrub.
"Zeig mal her", rief Geli wutentbrannt und griff nach Martinas Handy. Wie ein Blitz schoss Martina in ihrem kurzen Nachthemd aus dem weissen Korbstuhl und liess ihr Handy in gekreuzten Armen erbost verschwinden. "Habs gelöscht", heulte sie lauthals auf und lehnte sich haltsuchend an die Anrichte, wo Karlas duftender Käsekuchen trostspendende Duft-Wölkchen verströmte.
"Ach Schätzeken", gurrte Geli, deren Mutterinstinkte blitzartig die Oberhand gewannen - "komma her" und breitete die Arme aus.
Der Frieden des sonntäglichen WG-Morgens schien dahin. Bei dampfenden Kaffee sahen Geli und Betty der schluchzenden Martina zu, die Trost im Käsekuchen fand und in den wortlos klopfenden Händen der Freundinnen auf ihrem Rücken. So heiss wie ihr Kaffee - kochten in jedem von ihnen die eigenen Brandwunden der Vergangenheit hoch und wurden in dicken Rauchwolken in die Küche geschnaubt. "Männer!"
Als Karla die Küche betrat, glich diese einer Kneipe - jedes Fünkchen Sauerstoff schien gnadenlos verbraucht. "Was ist denn hier los", rief sie und beeilte sich ans Fenster zu gelangen. Geli wies stumm mit ihrem Kopf auf Martina, die mit verheulten Augen und Krümeln im Gesicht auf ihr käsekuchenverschmiertes Handy starrte.
"Hat unsere Kräuterhexe etwa versagt", versuchte Karla zu witzeln und ging geschmeidig vor Bettys leerer Zigarettenschachtel in Deckung, die ihrem entrüsteten Satz folgte – "ich lege KAHARTEN und kann überhaupt nichts dafür!".
Erst jetzt entdeckte Karla, dass ihr Käsekuchen ratzeputz verschwunden war. Unter Gelis warnendem Blick verstummte jedoch die Empörung ihres leeren Magens.
"Hab euch ja schon immer gesagt, Männertreu muss in unsere Blumenkästen, sonst wird das nix. Wenigstens vorm Fenster muss die Hoffnung blühen".
Martina war nur noch zu erstickten Seufzern fähig, der Käsekuchen hatte bereits zu viel Raum eingenommen.
"Mädels, ein Schlachtplan muss her", sagte Karla und liess ihre magere Kehrseite auf die Holzbank fallen. Bettys rote Lockenmähne nickte bestätigend, während Geli etwas ermüdet immer noch beruhigend auf Martinas Rücken eintätschelte. Würgend erhob sich Martina. Schwerfällig und bemühte sich redlich, dem vorzeitigen Ausbruch des Käsekuchens zuvorzukommen, wobei sie fast Cindy überrannte, die als Letzte im Bunde die Küche betrat.
"Hab ich was verpasst"- näselte sie vornehm und zurrte ihren seidenen Morgenmantel gründlich zu. Ihr fragendes "Oh?“ wurde von den Anderen stumm abgenickt. Mit einem seufzenden "Schon wieder“ nahm Cindy Martinas Platz ein.
"Und bevor jetzt wieder was kommt, mich hat sie nicht gefragt", giftete Betty. "Eben", sagte Cindy, "genau das war derentscheidende Fehler!"
Betty lehnte sich überrascht zurück, bisher hatten ihre Fähigkeiten keine Gnade unter den Augen der Anderen gefunden, obwohl sie über ein beachtliches und treues Klientel verfügte.
"Wie meinst du das", fragte Geli. "Na so können wir unsere Kleine doch nicht mehr laufen lassen, der ständige Trauerflor ist doch nicht mehr auszuhalten" liess sich Cindy inbrünstig vernehmen. "Als Erstes muss mal dieses Bärchenhemd samt Schlüppern verschwinden - wie soll man erotisch in den Tag starten, nachdem man die ganze Nacht in der Kinderstube verbracht hat. Hier schreit doch alles nach Ersatz-Daddy und vergrault jeden Mann. Etwas verruchtes, unergründliches, alles Versprechendes muss her, die Aura der Unwiderstehlichkeit" – Cindys Finger fuhren vielsagend durch die Luft.
"Bei Martina?" riefen die Anderen gleichzeitig, wobei vor ihren Augen Martinas Abbild erschien: nachlässig kräftig und taillenlos mit stämmigen Beinen, aber immerhin beachtlicher Oberweite, stets in Schlabbershirts verhüllt und auf flachen Ballerinas unterwegs.
"Da braucht es schon" ....begann Karla und bevor sie Wunder sagen konnte, ergänzte Cindy „Magie“. Überrascht beugten sich alle vor. "Magie – wie bist Du denn drauf?"
Genüsslich lehnte Cindy sich zurück und ergänzte vielsagend- "habe mich da mal informiert".
"Also bei Voodoo mache ich nicht mit", empörte sich Geli. "Keine Angst, Voodoo kommt doch zuletzt, immer nur im äussersten Notfall", antwortete Cindy. "Na dann wollen wir mal hoffen, dass das hier keiner wird", Geli verschränkte beunruhigt die Arme und ging in gößtmöglichen Sicherheitsabstand vom Tisch. "Von so was halte ich nix".
Na dann musst Du ja auch keine Angst haben", raunte Betty, die sich mehr in ihrem Element fühlte als die Anderen. Das allerdings ausgerechnet die sonst so unnahbare Cindy Bettys Hoheitsgebiet so überraschend und unverfroren betrat, ärgerte sie doch ein bißchen.
"Lass mal hören", flötete sie aufmunternd und fischte nach einer Zigarette.
Cindy genoss die unerwartetete Aufmerksamkeit und klimperte vielsagend mit ihren langen Wimpern. Ihr Flair des "etwas Besseres sein“ hatte ihr oft die Nähe zu den Anderen versperrt. Aber sie hasste es, gewöhnlich zu sein und übersehen zu werden.
"Gemach, gemach meine Damen"... zwitscherte sie und vergrub sich erstmal in ihre Kaffeetasse. Bevor sie erneut mit ihren Ausführungen ansetzen konnte, platzte Martina frisch geduscht in einem rosa Bademantel mit Bärchen im Liebesherz in die Küche. Die vorgebeugten Köpfe zuckten zurück und starrten wie auf Kommando auf den Bademantel Allen war sofort klar, der auch – Rundumschlag ist angesagt.
"Was ist?" Fragte Martina unbehaglich – "stör ich?" Setzte dann aber sofort nach – "ist kein Kaffee mehr da?"
Das war’s – keine Chance für weiter Ausführungen. "Wir vertagen das", sagte Cindy mit gedämpfter Stimme, während Martina im Kühlschrank nach ihrem Lieblingskäse wühlte und es nicht gehört hatte. Die vier Anderen nahmen sie dabei in Augenschein und musterten sie eindringlich. Ihren Gesichtern war deutlich zu entnehmen, das würde kein leichtes Unterfangen.....
Karla beschloss die Gunst des freien Badezimmers ausgiebig zu nutzen und verschwand wortlos aus der Küche. Die offen gebliebenen Fragen waberten über dem Küchentisch.
"Was ist hier eigentlich für eine unheilvolle Stimmung " liess sich Martina mit vollem Mund vernehmen. "Also wenn es wegen dem Käsekuchen ist" ... Geli schüttelte mit gespitzten Lippen beruhigend den Kopf. Das Thema hatte sie noch nicht losgelassen, sie hatte Angst vor diesem Zeugs und jede Menge Befürchtungen. "Na dann ist ja gut" – Martinas Sinne waren vornehmlich auf Essbares ausgerichtet. Mit gerunzelter Stirn und leerem Blick auf Martinas Käsebrot - brütete Betty über die territoriale Bedrohung, die ausgerechnet von Cindy ausging. Für Sie war doch bisher alles, aber auch alle Hokuspokus gewesen.
Magie war zwar nicht Bettys Steckenferd, aber den Rang des Ungewöhnlichen wollte sie sich doch nicht gern ablaufen lassen. "Ich mach mir Sorgen um Deine Figur" - versuchte sie ihren Unmut in falscher Richtung bei Martina loszuwerden. Geli verdrehte wütend die Augen – der Sonntag steuerte ins Land der Tränen....
"Was geht's dich an" - grollte Martina tapfer, während sich ihre Augen beim Anblick von Bettys schlanker Taille mit Tränen füllten. "Ausserdem werde ich hier als Nichtraucher ständig diskreditiert" -versuchte Martina ihre Trumpfkarte auszuspielen, "das ist gegen das Gesetz!"
"Herrgott, musste das wieder sein – die Kerle waren einfach immer der Anfang allen Übels!"....Geli rollte mit den Augen. Der Sonntag war gelaufen und Geli beschloss, für den Rest davon nach draussen zu verschwinden.....
Geli....
Eigentlich hiess sie Gerlinde, ihre Mutter hatte ihr diesen „zeitlosen“ Namen verpasst, wie sie es nannte. Sie hasste diesen Namen und zusammen mit der dicken Hornbrille ihrer Kindertage waren daran gemeine Hänseleien geknüpft.
Sie war mit einer Art siebtem Sinn geboren worden und konnte die Gefühle anderer unvermittelt genau fühlen, ob sie wollte oder nicht. Was ihr bisweilen eine Art "Beisshemmung" bereitete, weil sie die wahren Gefühle und Nöte des Gegenübers immer als Erstes wahrnahm- auch unter allem übertünchendem Verhalten.
Mit ihrem grossen Herzen für Andere war es immer schwierig für sie, sich selbst im Auge zu behalten. Sie suchte sich unbewusst überall "ihre Kinder zusammen“, die sie betutteln und bemuttern konnte. Und "ihre Kinder" fanden auch zu ihr- ob an der Gemüsetheke oder am Taschenstand im Kaufhaus - sie schien das Schild "Not-Ambulanz für Sorgen" an sich geheftet zu haben. Es dauerte nie lange, bis aus zwei, drei banalen Sätzen mit denen ein Gepräch angeknüpft wurde, ein dickes Päcken Sorgen ausgepackt und vertrauensvoll ausgeplaudert wurde.
Das Thema Männer und Partner war allerdings bei ihr ein heisses Eisen...das sie wie ein Brandzeichen in ihrer Seele trug. Da war ihr noch nicht viel gelungen. Sie schien mit tödlicher Sicherheit das richtige Händchen für die Falschen zu haben. Das Thema hatte sie wirklich mehr als einmal „weich gekocht“ und ihre Gefühle wie ein rohes Ei hinterlassen. Ihr aber ein unendliches Mitgefühl für alle Leidensgenossinnen ihres eigenen Geschlechtes hinterlassen.
Wo sie nur sofort austickte – war der Umhängemantel von der Bezeichnung "Seelenpartner" – der neuerdings in jede Beziehung Einzug zu halten schien, die sich in ihrem Umfeld anbahnte. Für sie war das erfundenes "Zeuch" aus der
Eso-Branche.....der sie eh nichts abgewinnen konnte. Sie war eher praktisch
und bodenständig veranlagt. Auch beim dicksten Kummer zählte bei ihr
ein "Bütterken" und ein "Tässken Kaffee" zum allerersten Notfall-Programm, das
der "Erdung" dienen sollte.
Auch sie selbst sprach auf so etwas an - und der, der ihrem bisweilen überraschend knurrenden Magen - etwas zu essen anbot -hatte in ihr einen wohlwollenden Beistand, der diese gute Tat nicht vergass.
Aber wehe dem, der es wagte - ihr etwas "wegzufuttern" - was sie für sich beiseite
gestellt hatte. Da verstand Geli keinen Spass und kannte keine Verwandten. Das
wusste jeder in ihrer kleinen WG und der Ein oder Andere hatte bei einem dies-
bezüglichen Fehlverhalten ihren empörten Wutausbruch noch lange in Erinnerung. Bei so etwas - nahm Geli kein Blatt vor den Mund - "wehret den Anfängen" war ihre Devise....."und zwar richtig - und ein für alle Mal".
Fortsetzung folgt....