Warme Sonnenstrahlen schienen durchs Fenster und fielen so in mein schlichtes Zimmer. Es war ruhig. Die Natur war gerade dabei zu erwachen und im Haus lag noch alles still. Zumindest noch, sicher würde Felix bald aufstehen, um seinen Tag anzutreten, oder er würde erst jetzt sich mal ein paar Stunden Schlaf gönnen –schwer zu sagen.
Ich lag schon länger wach, mindestens seit einer Stunde. In meine Decke eingekuschelt hatte ich die Zeit damit verbracht, zu beobachten, wie die Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch mein Zimmer suchten. Es war zu früh und zu kalt draußen, als dass ich mich aus meinem warmen Bett bewegen wollte. Außerdem konnte ich so den Morgen genießen.
Aber klar, ewig konnte ich hier nicht vor mich ihn gammeln. Also wuselte ich mich dann doch aus meiner Bettdecke, stand auf und streckte mich erst mal ausgiebig. Flausch! Seit ich auf meiner Reise zum Reservat die Nächte auf dem harten Boden und im Schlafsack verbracht hatte, war das bequeme Bett ein wahrer Segen.
Ich schritt zum Fenster und öffnete es. Ich stützte mich mit meinen Armen auf den Fensterrahmen ab und atmete die frische Herbstluft ein. Dumpf konnte ich schon die Geräusche einiger Wesen vernehmen, welche es sich im Reservat gemütlich gemacht hatten.
Ob Fersengeld schon wach war?
Bisher hatte ich mich nicht wirklich mit dem jungen Geflügelten Wort beschäftigt, abgesehen von einer kurzen Entschuldigung, als ich ihm einmal über den Weg gelaufen war. Vielleicht würde sich heute mal die Chance finden, ihn näher kennenzulernen.
Ich wand mich von der Landschaft ab und schaute in mein leeres Zimmer.
… Ok, vielleicht sollte ich vorher das in Angriff nehmen. Im Zimmer gab es nur das bequeme Bett und mein Rucksack, welcher direkt neben diesem stand; ansonsten war da nichts.
Ich ging zum besagten Rucksack und setzte ihn kurzerhand aufs Bett. Dort packte ich alles an meinen vorhandenen Besitztümern aus. Es war doch einiges, wo sollte ich das denn hinstellen? Auf den Boden? Vorerst war die Antwort Ja, aber dafür war ich so früh am Morgen zu faul. Lieber schnappte ich mir ein grünliches, modernes Notizbuch, sowie einen schlichten Kugelschreiber mit schwarzer Tinte. Es musste eine Liste her von Dingen, die ich besser erledigen sollte. Ich setzte mich halb auf das Bett und fing an zu grübeln.
Was würde ich alles brauchen? Einen Tisch, einen großen am besten, dazu natürlich einen Stuhl. Es musste ein großes Regal her für Bücher oder anderen Kram, da würden auch einfache Bretter reichen. Eine Kommode für Kleidung wäre angebracht... Ich blickte zu meinem alten Shirt, welches ich aus meinem Rucksack gezogen hatte und zu den anderen Klamotten, welche am Rand des Betts hingen und ich eigentlich gleich wieder anziehen musste. Kleidung kaufen, fügte ich der Liste hinzu. Toll wäre auch komplett schwarze Bettwäsche fürs Bett.
Mehr fiel mir im Moment aber nicht ein, also klappte ich das Notizbuch wieder zu und legte es zur Seite, den Kugelschreiber verstaute ich in einem schwarzen Mäppchen.
Mit Schwung stand ich auf und streckte mich wieder. Jetzt war es aber mal Zeit, herauszugehen. Ich schnappte mir meine rote Jacke aus Baumwolle und zog sie geschwind an. Dann schlenderte ich kurz ins Bad der Etage, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu schmeißen und mich etwas zu waschen.
Als ich fertig war, trabte ich fröhlich aus dem Bad, die Treppe runter und direkt in die Küche. Dort setzte ich Wasser auf und schlich dann leise zur Bibliothek, wo ich vorsichtig durch die angelehnte Tür spähte.
Mit einem Seufzen öffnete ich die Tür ein Stück weiter. Felix lag mit dem Kopf auf seinen Armen, welche er auf seinen Arbeitstisch abgelegt hatte – ich konnte ihn sogar leicht schnarchen hören. Ich machte auf dem Absatz kehrt und holte aus der Küche eine Wolldecke, welche auf einem Stuhl lag. Leise schritt ich mit der Decke wieder in die Bibliothek, wo ich, so lautlos wie ein Geist, Felix vorsichtig die Decke umlegte. Meine Vermutung war, dass er vielleicht seit zwei oder drei Stunden mit dem Kopf auf dem Tisch lag und hoffentlich vor sich hin träumte.
Kopfschüttelnd räumte ich noch offene Stifte und Notizen etwas zur Seite, damit nichts zerknittern konnte. Dann bewegte ich mich wieder mit leisen Schritten zum Flur und lehnte die Tür nur an.
Während der Bellologe im Land der Träume war, machte ich mir einen Tee und frühstückte vorerst nur einen Apfel und etwas Müsli mit Yoghurt. Nach 20 Minuten war ich fertig und flitze nach oben, um mir schnell die Zähne zu putzen. Kaum war ich fertig, trabte ich wieder die Treppe runter und schnappte mir meine Lederjacke von einem Hacken neben der Haustür. Mit Lederjacke und weiter Jogginghose trat ich vor die Tür und fröstelte. Verdammt war es noch frisch. Sobald man wieder länger in einem beheiztem Haus wohnte, wurde man sofort wieder Kälte empfindlicher.
Kurz schaute ich mich um, zog mir dann meine Kapuze über und lief dann einfach los, erst ein Stück gerade aus, dann bog ich spontan schräg rechts ab und fing an zu joggen. Ich hatte freie Fläche und mich erfasste immer mehr ein Drang nach Bewegung und Abenteuer.
Es war angenehm im blassen Schein der Sonne und frischer Herbstluft zu joggen und so den Körper vollends zu wecken. Aus joggen wurde auch immer mehr richtiges laufen. Mit respektvollem Abstand zu den auftauchenden Pavillons lief ich eine große Runde um das Haus. Insgesamt lief ich für ungefähr zwanzig Minuten und die letzten hundert Meter zum Haus ging ich nur, schließlich wollte ich nicht rabiat von achtzig auf null gehen, auch wenn ich das Bedürfnis hatte, mich zu setzen und Pause zu machen. Ich musste wirklich mehr trainieren, früher wäre ich glatt noch eine Runde gelaufen.
Mit einem wohligen Seufzen streckte ich mich wieder und strahlte mit einem Grinsen der Sonne entgegen. Beim Haus angekommen tippte ich kurz die Haustür an und machte dann wieder kehrt, um fast denselben Weg erneut zu gehen. Dieses Mal ließ ich mir aber Zeit und schlenderte gemütlich, mit Abstand zu den Pavillons, wieder die Runde um das Haus. Zumindest war das der Plan, denn die Pavillons weckten doch sehr meine Neugierde. Ehe ich mich versah, wurde der Abstand zu den kleinen Gebäuden immer kleiner und kleiner. Auch die große Runde um das Haus wurde immer mehr und mehr zu einem komischen Ei mit Delle.
Ich war doch einfach zu neugierig. Ich spähte öfter zu einem Pavillon, der ganz in der Nähe war. Was für Wesen waren da? Schließlich bewegte ich mich für ein Stück genau auf das Gebäude zu. Nach ein paar Minuten wich ich der Richtung aber wieder ab und schien es zu umgehen. Diesen Vorgang wiederholte ich wenige Male und näherte mich so, als sei ich ein Tier, welches etwas Faszinierendes entdeckte und es vorsichtig beäugte, immer mehr dem kleinen Pavillon. Viele Tiere konnten da nicht drin sein. Klar, es gab einige Pavillons, die waren weitaus größer und oft täuschte der Eindruck auch. Dennoch blieb ich bei meiner Vermutung.
Tatsächlich war ich sehr überrascht, als ich nur noch wenige Meter vom Pavillon entfernt war. Etwas skeptisch umkreiste ich das Gebäude. Ich war neugierig, ja. Aber hier handelte es sich immer noch um wilde Wesen, die sicher nicht so gerne von einem herumstrochelnen Menschen gestört werden wollten. Genauso wenig wollte ich, direkt am Anfang meiner Zeit im Reservat, eine negativbehaftete Bekanntschaft machen. Die Wesen waren mir hier im Grunde genauso fremd, wie ich ihnen. Na gut, mit dem Unterschied, dass ich über einige bereits gelesen hatte.
Ich hatte den Pavillon jetzt insgesamt dreimal umkreist. Bisher hatte ich nicht viel erspäht, außer etwas Schwarzem. Vorsichtig und ganz leise schlich ich zum Eingang. Ich wollte es jetzt wissen, was für ein Wesen war da drin? War es nur eins, oder waren es mehrere? Waren vielleicht verschiedene Wesen in diesem Pavillon und, wenn ja, wieso kamen sie miteinander aus?
Als ich neben dem Eingang stand und um die Ecke schauen wollte, konnte ich schon ein sehr bekanntes geräusch vernehmen. Ein Geräusch, welches ich sehr geliebt, aber irgendwann aufgegeben hatte. Ich hörte, wie Hufe über den Boden scharrten.
Ich hielt kurz die Luft an und mein Herz machte einen Satz. Pferde? Oder wohl eher, Geflügelte Wörter? War da etwa Fersengeld drin? Erst wollte ich sofort um die Ecke treten und hineingehen, besann mich aber dann. Es war nie gut plötzlich aufzutauchen, wieso schlich ich überhaupt hier rum? Wenn die Wesen es gemerkt hatten, hatte es sie sicher nervös gemacht. Und vor allem, was, wenn Avaghul da drinnen war? Ich hatte Felix Warnung vor dem stattlichen Hengst nicht vergessen und auch wenn ich mir zutraute heil davon zukommen, wollte ich es mir doch wirklich nicht mit solch einem eindrucksvollem Wesen verscherzen.