Ferdinand wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Er saß noch immer im Keller an der Wand. Tief versunken in Gedanken. Er hatte so viel geweint, wie noch nie in seinem Leben. Es war kein Gefühl mehr übrig in ihm. Nur Leere. „Ferdinand? Bist du hier?“ Usongu kam die Treppe herunter. Es war ziemlich spät und er hatte eigentlich keine Lust, nach dem Stallburschen zu suchen. Aber Idana konnte sehr nachdrücklich werden, wenn sie etwas wollte. Die Sniftfrau hatte den Ritter abgefangen, als er aus dem Thronsaal gekommen war und irgendetwas gefaselt von Drama und Liebeschaos und dass er, Usongu, unbedingt den Stallknecht Ferdinand finden müsse. Dieser sei seit geraumer Zeit verschwunden. Da die beiden Katzenfrauen über seine Affäre mit Fei-Ling Bescheid wussten – sie hatten es ihm quasi angerochen, schon kurz nachdem sie im Schloss angefangen hatten – war er ihnen ein bisschen ausgeliefert. Sie hatten ihn in der Hand, sozusagen. Usongu tröstete sich damit, dass das bald nicht mehr so sein würde. Nachdem er Stall, Küche und alle anderen Orte auf den Kopf gestellt hatte, an denen er Ferdinand vermuten würde, hat ihm einer der anderen Diener den entscheidenden Tipp gegeben. Er habe den Knecht in den Keller gehen sehen. Und hier war der Ritter nun also. Wünschte sich eigentlich ins Bett oder zumindest in die Arme seiner Geliebten und suchte dennoch nach dem Verschwundenen. Das Gesicht Ferdinands blieb unbewegt, als er Usongu auf sich zukommen sah. Eine Trauermiene wie aus dem Bilderbuch. „Du lieber Himmel, was haben sie denn mit dir angestellt? Komm schon, Junge, du musst hier raus. Viel zu dunkel und zu kalt hier. Du holst dir noch den Tod.“ „So gnädig ist der nicht, dass er mich ausgerechnet jetzt holen würde.“ Mehr als ein tränenersticktes Flüstern war es nicht, was der Verzweifelte zustande brachte, als er sich von Usongu hochhieven ließ. Der Ritter achtete nicht darauf. Er wollte nach oben, wo es warm war und Licht gab. Hier unten musste jeder depressiv werden.
In seinem Zimmer angekommen, erwärmte er etwas Met auf dem noch warmen Kamin, legte dem jungen Burschen eine Decke um die Schultern und setzte ihn so auf das Bett. Teilnahmslos ließ Ferdinand es geschehen. „So und jetzt raus mit der Sprache. Reden hilft.“ Usongu setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl, gab ihm den Becher mit heißem Met in die Hand und hörte sich die stockende, mit Tränen durchsetzte Geschichte an. Als Ferdinand fertig war, pfiff Usongu durch die Zähne. „Da hast du dir ja echt was geleistet, mein Lieber. Mal eben den Vogel abgeschossen und gleichzeitig mit beiden Füßen schön ins Fettnäpfchen gestampft.“ Genau das, was Ferdinand jetzt brauchen konnte: Jemand der noch richtig schön Salz in die Wunde rieb. Er war lang über jegliche Sorge um seine Würde hinaus. Er ließ die Tränen einfach stumm laufen und versaute Usongu sein Bett. Gnadenlos fuhr der Ritter fort. „Aber weißt du was mich am meisten stört? Bei deiner ganzen Geschichte ging es immer nur um dich. Was DU falsch gemacht hast, wie DU dich dabei fühlst, wie grausam der Zufall DIR die Suppe versalzen hat. Machst du das immer so? Nur an dich selber denken? Kein Wunder, dass Franzi sauer ist.“ Er nahm einen Schluck von seinem Met. Ferdinand hatte aufgehört zu weinen. Er hörte aufmerksam zu. Sehr gut, dachte Usongu. Den ersten Schritt in die richtige Richtung hat er schon mal gemacht. „Ich meine, versetz dich doch mal in ihre Lage. Jahrelang hast du mit ihr gespielt, ständig hast du ihr erzählt, wie sehr du sie liebst. Und jetzt, wo es ernst wird, muss sie feststellen, dass du ein rückratloser Vollidiot ohne Verantwortungsgefühl bist, der beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten den Schwanz einzieht und sich aus der Affäre ziehen will. Weißt du, was es für sie bedeutet, schwanger zu sein? Hast du jemals darüber nachgedacht, dass sie sich das vielleicht auch anders gewünscht hätte? Hast du sie irgendwann einmal gefragt, ob sie Kinder haben will?“ Tausend Gedanken schossen durch Ferdinands Kopf. Es arbeitete in ihm. Usongu schwieg. Er ließ seine Worte ihre Wirkung voll entfalten. Der Stallknecht wollte gerade aufspringen, da hielt der Ritter ihn zurück. „Nicht so schnell. Wo willst du hin?“ „Zu Franziska natürlich.“ Verständnislos glotzte Ferdinand Usongu an. Hatte dieser nicht genau das bezwecken wollen? „Sei bitte nicht der Vollidiot, für den sie dich eh schon hält.“ Mit sanfter Gewalt drückte er den jungen Mann zurück aufs Bett. „Hör mir genau zu, ich werde dir jetzt erklären, wie du sie zurück gewinnst. Aber eines muss dir dabei klar sein: Du übernimmst die Verantwortung für ein neues Leben. Falls du das nicht kannst, dann lass Franzi lieber in Ruhe. Sie findet an jeder Straßenecke einen, der mehr wert ist, als du.“ Klare Worte. Aber der Stallbursche verstand. Gehorsam machte er es sich bequem und hörte zu, was der Ritter ihm zu sagen hatte.