Früh, viel zu früh am Morgen wurden die Vampire Riley und Phobos aus dem Schlaf gerissen. Irritiert darüber, was genau sie geweckt hatte, sahen sie einander an, zerzaust und zerknittert und eigentlich noch viel zu müde, um überhaupt in den Tag zu starten.
»Was ist das denn? Foltert da jemand eine Katze zu Tode?« Riley, größter Morgenmuffel unter allen Sonnen sämtlicher Götter, schwang die nackten Beine unter der warmen Decke hervor und zuckte. Der Steinboden war trotz des dichten Teppichs kalt.
»Keine Ahnung ...«, murrte auch der andere Unsterbliche und rieb sich mürrisch über das stoppelige Kinn. »Aber wenn wir schon wach sind, können wir auch nachsehen.«
Mit Leichenbittermiene schlurften beide ins Bad, um die Müdigkeit mit etwas kaltem Wasser zu vertreiben, bevor sie in ihre Kleider schlüpften und das Schlafgemach verließen.
Über den Flur schleichend, mit schwerem Tritt und müden Augen, wie immer vor dem ersten Kaffee und dem ersten Blut des Tages, bewegten sich die beiden der Quelle des Gejaules entgegen und öffneten schließlich die hohen Türen zum Familiensalon, ihrem privaten Wohnzimmer, in dem sie gemeinsam die Abende vor dem Fernsehapparat verbrachten und auch hin und wieder die Mahlzeiten zusammen einnahmen.
Musik aus der Menschenwelt schallte durch den hohen Raum, in dessen Kamin bereits ein großes Feuer brannte. Es duftete nach Kaffee, Eiern und Speck. Verwundert blickten die beiden Vampire einander an.
Nachdem die erste Verwirrung überstanden war, bemerkten sie die Ursache für den Katzenjammer.
Ari, gekleidet in seinen Schlafanzug und einen grauen Pulli, dessen Kapuze sich der kleine Junge über den Kopf gezogen hatte, stand aufrecht in seinem Laufstall und hielt sich mit seinen winzigen Fingern an den Holmen fest. Obwohl er bereits über eineinhalb Jahre alt war, konnte er weder allein laufen noch ohne Hilfsmittel stehen, aber er war fest entschlossen, das alles schnellstmöglich zu lernen. Im Krabbeln war er bereits unschlagbar.
Wo seine Väter in der ersten Sekunde dachten, ihr Sohn würde jämmerlich schreien und weinen, wurde ihnen schnell bewusst, dass es ganz anders war. Arian sang. Laut, grässlich, schief und engagiert trällerte der kleine Junge bei dem Song aus dem Radio mit, während er sich hin und her wiegte und kleine, hopsende Bewegungen machte, als würde er tanzen wollen, aber nicht wissen, wie es ging.
»Las Krismäs ei gef ju mai hart, butt se weri nex dei ju gef it aweh«, jaulte Ari mit einer Inbrunst, dass es beinahe liebreizend war - wenn es nicht so in den Ohren schmerzen würde!
»Oh, ihr seid auf. Ich wollte euch gerade zum Frühstück holen«, Sam, der neuste Mitarbeiter von Riley in dessen Gestüt und nebenbei auch Arians Kindermädchen, kehrte gerade in den Salon zurück und stellte Tassen und Teller auf den gedeckten Tisch.
»Wie ... wie kannst du Ari diese Musik vorspielen? Er wird uns jetzt tagelang damit nerven!«, knurrte Phobos, konnte sich ein Grinsen wegen des Gesangs seines Sohnes jedoch nicht verkneifen.
»Ach Hase«, lachte Riley in die Runde, »In meiner Welt ist es erst dann offiziell Weihnachten, wenn dieses Lied im Radio läuft.«
»Du kennst das?«
»Aber ja. Jedes Kind, das nach 1986 geboren wurde, ist damit aufgewachsen. Es ist ... Kult. Und gar nicht so schlecht, wie Ari es interpretiert.« Der junge Vampir hob seinen Sohn aus dem Laufstall.
»Hat Ari gut gesungen, Daddy?«, plapperte der Kleine und alle in dem Zimmer entspannten sich merklich, als es endlich stiller war.
»Aber ja, Krümel. Doch jetzt ... Guck, Sammy hat für uns alle so ein tolles Frühstück gemacht, da wird nicht gesungen, okay?«
»Okay!«
Das Essen verlief ohne schiefe Töne, doch beide Vampire und auch die männliche Nanny verfielen den ganzen Tag über immer wieder einem nur allzu vertrauten Ohrwurm.