Eine Woche war seitdem zusammen Treffen mit der Giraffe Julie vergangen, jeden Morgen begrüßte die Schönheit Anna in der Schule und teilte mit ihr ein wenig des Nachhauseweges. Die Freundschaft, der beiden wuchs und festigte sich, während Anna beim Rest ihrer Mitschüler noch einen geringen Beliebtheitsgrad innehatte. Da sich die Freundschaft so schnell entwickelte, lud Julie Anna zu einem Filmabend mit weiterer ihrer Freunde ein. Anna war etwas aufgeregt, weil sie nicht wusste, wenn sie am heutigen Abend bei der Giraffe treffen würde, doch es überwog die Freude in kurzer Zeit eine Freundschaft entwickelt zu haben. Julie wohnte am Stadtrand und entstammte einer alten Landjunkerfamilie, deshalb wunderte es Anna nicht, dass sie sich für den Filmabend auf einem Bauernhof wiederfand. Julie meinte das sei äußerst praktisch, weil so niemand, von den lauten Boxen gestört fühlen würde, außer ihre Eltern, aber die zogen es vor in den Filmnächten ihre große Schwester oder andere Verwandtschaft zu besuchen und dort zu verweilen.
Anna presste ihren Zeigefinger förmlich auf den Klingelknopf und keine Minute später öffnete man ihr die Tür. Doch es war nicht Julie, die ihr die Tür öffnet, es war Andreas! Beide etwas überrascht sich auf neutralem Boden zu treffen, schwiegen sich erst einmal an. Andreas fand schneller die Fassung wieder: „Ich weiß ja nicht wie es in der Stadt abläuft, aber bei uns kommt man rein.“
Anna schreckte förmlich auf und huschte ins Haus um von Julie begrüßt zu werden. Was machte Andreas hier? Dieser unsympathische Typ sollte ein Freund von Julie sein? Das konnte doch nicht wahr sein. So in ihren Gedanken vertieft, registrierte Anna die Namen der anderen Gäste nicht wirklich und musste im Verlauf des Abends hin und wieder nachfragen, wer denn die unbekannte Person sei.
Julie führte Anna und ihre sieben Gäste in das übergroße Wohnzimmer, dass fast schon ein eigenes Heimkino war. Erst jetzt schien Annas Gedankenwelt nachzulassen und so schaute sie sich neugierig um. Das große beige Sofa lud zum Sitzen ein, während auf dem großen Glastisch eine Auswahl verschiedenster Chips, Schokolade und Getränke stand, insbesondere einer Menge Energydrinks wie Anna feststellte, die das Zeug nicht wirklich mochte, aber sie würde es wohl brauchen…
Als sich alle gesetzt hatten und von Julie jeder zur Begrüßung zwei warme Laugenbrezeln erhalten hatte, schickte sich die Giraffe an die versammelte Runde zu begrüßen: „Ich freue mich das ihr auch heute alle meiner Idee gefolgt sein und wir heute, den achten Filmmarathon machen können. Ganz besonders freue ich mich, dass Anna nun unserer kleinen Runde zu gestoßen ist.“, in diesem Moment richteten sich alle Blick noch einmal auf den Neuankömmling, der sichtlich unbehaglich versuchte sich in das Sofa zu drücken, um ihren Blicken zu entgehen. „Wie üblich haben wir den vorschlagenden Hut befragt und nach unserem Marvelmarathon ein neues Thema gezogen.“ Der vorschlagende Hut, war eine Idee von Julie nachdem Harry-Potter-Abend gewesen, ähnlich dem sprechenden Hut aus den Filmen, wies der vorschlagende Hut das Thema für den nächsten Filmabend zu. Dafür wurden im Verlauf des Abends Zettel und Stifte bereitgestellt, dass jeder eine Idee in den Hut werfen konnte. Eigentlich war es kein Hut, sondern eine alte und nicht besonders hübsche Pudelmütze, aber der Harry-Potter-Nerd Julie konnte sich der Idee einer Anspielung einfach nicht verwehren.
„Bei unserer letzten Ziehung wurde das Thema Klassiker der Horrorfilme gewählt. Ich hoffe, ihr habt heute euren Mut mitgebracht, denn das Grauen erwartet uns!“, einen Geist imitierend, beendete Julie ihre Ausführungen. Einen Monat hatten die "Filmnörds", wie sie sich nannten, Filme zu sammeln, welche dem Thema entsprachen. Eine Woche vor dem Filmabend wurde über Whattsapp abgestimmt, welche Filme gesehen wurden und nach Beliebtheit geordnete. Das war aber nur dann vonnöten, wenn das Thema etwas freier gestaltet war. Bei Marvel, Herr der Ringe und Harry Potter, folgte man der Chronologie der Filme.
Julie legte die DVD des ersten Filmes in den DVD-Player. Etwas umständlich, weil das Gerät sehr tief stand, mühte sie sich ab. Johannes glotzte ihr förmlich auf den Hintern dabei und grinste genießerisch, Anna registrierte diesen Blick, Männer dachte sie sich die Augen verdrehend. Jede Frau war wohl Freiwild. Allerdings unterlag Anna ihrem Vorurteilsdenken, insbesondere weil sie wegen der Begegnung mit Andreas nicht richtig zugehört hatte. Julie mühte sich weiterhin verzweifelt ab, bis sie ein wehklagendes Seufzen von sich gab: „Schaaaatz? Kannst du mir bitte mit diesem blöden Ding helfen?“, fragte Julie halb verzweifelt. Johannes richtete sich behäbig auf. „Es ist immer das Gleiche mit dir und der Technik.“, tadelte er seine Freundin scherzhaft. „Ich bin halt ein Landei.“, sagte Julie in gespielter Patzigkeit. Nur wenige Handgriffe waren nötig um den störrischen DVD-Player wieder zum Laufen zu bringen. Um nicht wieder in die peinliche Situation der eigenen Unfähigkeit zu geraten, überreichte Julie ihrem Freund die Fernbedienung und machte es sich, an ihn gekuschelt, bequem. Anna sah sie lächelnd an. Erst jetzt bemerkte sie das Sebastian und Simon ebenfalls eng beieinander lagen, während Simon seinen Freund liebevoll kraulte. Andreas, welcher sich in den Sessel geworfen hatte, konnte Anna nicht sehen. Besser so, dachte sie zu sich und versuchte sich auf den Film Es zu konzentrieren. Horrorfilme waren nicht wirklich Annas Genre, sie erschreckte sich bei ihnen nicht wirklich, auch wenn sie sonst eher schreckhaft war. Auch der Exorzist erschreckte sie nicht, er war allenfalls eklig. Die anderen der Gruppe sogen in sich die Filme auf wie das Essen und die Energydrinks, nur Andreas bediente sich nicht, man hätte meinen können er schlafe, doch das tat er nicht. Dem Exorzist, folgte das Ding und so kreisten die Zeiger der stummen Standuhr unaufhaltsam Richtung Mitternacht. Julie war nicht nur eine Giraffe, sondern auch ein ziemlicher Angsthase, welche bei selbst kleineren Schockmomenten sich in die Brust ihres Freundes krallte oder ihr Erschaudern verbal kund tat. Anna blickte fast ohne Regung auf den Fernseher, Horror war in Filmen doch irgendwie durchschaubar und vorauszuberechnen. Doch auch so war es schön neue Menschen kennenzulernen, die sie als Anna wahr nehmen konnten. Zumindest die meisten, denn Andreas würde wohl beim Städterin bleiben. Der dritte Film, des langen Abends, flimmerte bereits über den Flachbildfernseher. Das lange Haus der Schatten mit seinem Protagonisten Kenneth Magee kannte Anna schon gut, sodass ihr Kopf noch etwas mehr Abwesend war, als in den Filmen zuvor. SO wanderten ihren Augen, welche immer wieder an den großen Panoramascheiben des Wohnzimmers haften blieben. Es schien eine Ausstrahlung an ihnen, welche Annas wirre Gedankenwelt immer anzuziehen versuchte. Es war nur wenig dort draußen zu erkennen, zwei Scheunen, die eine groß und recht modern, die andere alt, verwittert und im Schatten der Moderne. Anna starrte gebannt und träumend auf das Haus, sie merkte nicht, wie der Film zu Ende ging und sich immer mehr Köpfe nach ihr richteten. „Das Haus der langen Schatten, es ist hier.“, äußerte Johannes, der Annas Blick zu folgen wusste. Annas Gedanken kehrten schlagartig ins Hier und Jetzt zurück, verwirrt über die Aufmerksamkeit errötete sie leicht. Exakt in diesem Moment schlug die Uhr Mitternacht. „Geisterstunde.“, sagte Julie fröstelnd und richtete sich an die anderen: „Da wir heute einen Horrorfilmabend halten, will ich euch auch Horror in 3D liefern. Zieht euch an, wir erkunden die alten Scheune.“
„Müssen wir uns dann auch aufteilen?“, fragte Anna zwinkernd.
„Aber natürlich!“, jauchzte Julie, Anna bereute ihre Frage, denn da die anderen alle Pärchen waren und so sich Zweiergruppen ergaben, musste sie mit Andreas eine Gruppe bilden. Der schien von der Ausgangslage auch nicht besonders angetan und zog beim hinausgehen Anna zur Seite. „Was hältst du von einem Waffenstillstand, Städterin?“ „Nenn mich nicht Städterin, dann können wir darüber verhandeln.“ „Gut, Anna.“, sagte Andreas Annas Namen gedehnt betonend und zog Anna noch weiter mit sich.
„Ey was hast du vor?“, fragte Anna halblaut, doch Andreas gab ihr Zeichen sich ruhig zu verhalten.
„Du bist genau wie ich nicht sonderlich von Horrorfilmen angetan oder irre ich mich?“
„Nein?“, überrascht, dass Andreas sie offenbar aus ihrer Position beobachtet hatte, „Was hast du vor?“
„Julie hat in der Scheune ein kleines Grusselkabinett eingerichtet. Oder eher versucht. Sie wird sich ärgern, wenn keiner Angst bekommt. Wir brauchen richtige Geister!“
Anna verstand Andreas Plan und er gefiel ihr. Im Schatten des Haupthauses huschten sie wieder zur Gruppe. Zum Glück war ihr Verschwinden niemandem aufgefallen. Julie öffnete das Scheunentor und die Filmgruppe trat herein. Wie Andreas vermutet hatte, hingen hier und da ein paar Stoffgeister. Ein leuchtender Weihnachtsmann, ebenfalls von einem alten Laken überspannt, versuchte ebenfalls ein gruseliges Konstrukt darzustellen. Simon und Sebastian drückten sich aneinander, mehr aus Feingefühl als aus wahrer Furcht. Plötzlich erloschen die Lichter und als sie wieder ihr schauriges Licht offenbarten waren Anna und Andreas verschwunden. „Entschuldigt bitte, der Stromausfall war nicht gepla… Wo sind Anna und Andreas?“, stammelte Julie, exakt in diesem Moment brüllte irgendwo aus der Scheune eine Mädchenstimme um Hilfe. Andreas brüllte lautstark ein „Lass sie los!“, was in seiner Macht nicht verfehlte. Wer war noch hier? Ein lautes knallendes Geräusch ertönte. War es ein Pistolenschuss? Anna, welche erneut brüllte wie am Spieß so markerschütternd und voller Qual, dass jeder Zweifel an einer Inszenierung erloschen schien. Andreas war verstummt. Julie stolperte panisch in Richtung der Stimmen. Was war da passiert? So war das nicht geplant! Johannes folgte seiner panischen Freundin, auch sein ruhiges Gemüt war nun aufgewühlt. Simon und Sebastian trauten sich keinen Schritt zu gehen, sie waren wie angewurzelt.
„Nein bitte nicht!“, brüllte Anna, doch in diesem Moment hörte man nur ein zweites Knallgeräusch. Stille, absolute Stille war zu hören. Julie versuchte zu hören, wo Anna und Andreas seien könnten. Doch in der halbdunklen Scheune waren sie nicht zu finden. Waren sie etwa in den alten Hof gegangen und dort auf jemanden gestoßen? Julie eilte mit Johannes durch die Tür zum alten Hof, auch Sebastian und Simon hatten nun wieder zu ihnen gefunden. „Was war das?“, fragte Simon sich an Sebastian klammernd. „Ich habe keine Ahnung!“, sagte Julie mit weit aufgerissenen Augen. Mühsam bewegten sie sich durch das Erdgeschoss, welches in den dreißigern letztmalig renoviert gewesen worden war. Stille lag über dem Hof und der silberne Mond strahlte herein. Nichts war zu hören und im fahlen Mondsicht ließen sich Anna und Andreas auch nicht erblicken. Dann, mit einem lauten Widerhall, hörte man eine geisterhafte Stimme jaulen. „TOD!“, plärrte sie. In diesem Moment fiel hinter der Vierer Gruppe die Scheunentür zu. Sebastian griff schlagartig danach, doch es half nichts, sie war verriegelt. Schweigend und panisch schauten sich die Vier an. Was wurde hier gespielt? Plötzlich waren Schritte zu hören und das Geistermädchen schien im oberen Stockwerk lachend durch die Gänge zu eilen. Als sie näher kam, jaulte eine männliche Geisterstimme auf, welche sich weniger gut verstellen konnte und klar als Andreas zu identifizieren war. Anna und Andreas stürztet lachend in den Treppenaufgang des alten Gemäuers. „Wir haben euch reingelegt!“, lachten sie ausgelassen. „Aber die Schüsse!“, stammelte Julie. „Knallfrösche“, grinste Andreas. „Boah. Ich hab' mir Sorgen gemacht ihr Ihr…!“ „Geister.“, sagten Anna und Andreas wie aus einem Mund prustend. Der Abend verlief nach diesen Ereignissen wieder gesitteter, es wurden noch weiter Filme geschaut und mit der Zeit konnten auch alle Beteiligten über das Drama der Verschwundenen Lachen. Am nächsten Morgen, als alle noch unter den Lebenden weilten, wurde aus dem vorschlagenden Hut eine neue Thematik vorgeschlagen. In Vierwochen sollte Pirates of the Caribbean die "Filmnörds" begeistern, dieser Filmabend bedeutete für die ausrichtende Julie deutlich weniger Arbeit und es war ihr auch ganz recht, wenn die nächsten Abende weniger aufregend waren. Anna und Andreas hingegen, welche bis zu diesem Zeitpunkt sich eher mieden, wurden von Bekannten zu Freunden.