17. Kapitel
Amir
Amir war schon als Teenager früh in kriminelle Machenschaften verwickelt worden. Er stammte aus der Unterschicht der Bevölkerung und wuchs in einem der ärmlichsten Viertel der Stadt auf. Seine Eltern waren mit ihrem damals 5- jährigen Sohn, aus einem arabischen Land hierher geflüchtet und schafften es, Asyl zu erhalten. Schon früh lernte Amir, dass er kämpfen musste, um in dieser feindlichen Welt zu überleben. Denn sein Leben war alles andere als leicht. Seine Eltern und auch er, waren traumatisiert von ihrer Flucht, aus ihrem einstigen Heimatland und wie so oft, fing sein Vater deshalb auch noch zu trinken an. Das erschwerte es für diesen natürlich, einen Job zu finden. So musste Amirs Mutter immer arbeiten und war kaum zu Hause, um bei ihrem Sohn zu sein. Sein Vater wiederum, war manchmal gewalttätig und verprügelte seinen Sohn und auch seine Frau, oftmals heftig.
So lernte Amir schnell allein zurecht zu kommen und sich, wenn nötig mit den Fäusten zur Wehr zu setzen. Er war ein verbitterter, junger Mann, welcher sich nirgendwo richtig daheim fühlte und so lebte er die grösste Zeit auf der Strasse. Eines Tages kam er mit einem smarten Mann, mittleren Alters, in Kontakt. Dieser hiess Sergej und weihte Amir schon ziemlich bald in seine Geschäfte ein. Sergej war ein Zuhälter und Drogenhändler und sah in Amirs Flüchtlingsvergangenheit eine gute Gelegenheit, um das Vertrauen junger Mädchen, welche ebenfalls hierher geflüchtet waren, zu gewinnen.
Amir lernte schnell die verschiedensten Tricks, um diese jungen Mädchen zuerst in Sicherheit zu wiegen und darauf zu warten, bis sie seine Hilfe in Anspruch nahmen. Nachdem er ihnen dann ein oder zwei Gefallen, ohne Gegenleistung, getan hatte, brachte er sie dann mit seinem Chefzuhälter zusammen. Dieser begann die Mädchen dann mehr und mehr von sich abhängig zu machen und verschacherte sie schliesslich, an willige Freier. Als Sergej eines Tages, durch rätselhafte Umstände ums Leben kam, übernahm Amir seine Nachfolge. Dadurch lernte er die grösseren Fische seiner Organisation kennen. Jene Fische, die er nun gedachte ans Messer zu liefern, damit er selbst einige Jahre weniger Knast bekam.
Er musste damals nach dem Tod seinen Mentors, einige Reife-Prüfungen bestehen, bis er als Sergej Nachfolger akzeptiert wurde, doch er schaffte es und baute sein ganz eigenes, kleines Imperium auf. Milena war nur eins seiner zahllosen Opfer gewesen. Doch sie begann schon bald die Dienste, die man von ihr erwartete, vehement in Frage zu stellen. Amir musste deshalb alles daransetzen, um sie noch mehr von sich abhängig zu machen. So sagte er ihr, dass er sich in sie verliebt hätte und er sie heiraten wolle. Danach war sie, eine ganze Weile, wieder Wachs in seinen Händen. Bis dann diese vermaledeite Claudia in ihr Leben trat und sie davon überzeugen konnte, sich von Amir zu trennen. Claudia und Milena gingen dann eine Bindung ein, mit welcher er niemals gerechnet hätte. Sie wurden ein Liebespaar. Das machte ihn unglaublich wütend und er drohte Milena, Claudia etwas anzutun, wenn sie sich nicht von ihr trennte. Das tat Milena dann auch, doch zu ihm zurückkommen wollte sie dennoch nicht. Sie wollte raus aus dem Ganzen, wollte ihr eigenes Leben aufbauen und begann sogar wieder als Zahnarztassistentin zu arbeiten. Amir fühlte sich zutiefst in seinem Männerstolz verletzt und tat alles, um Milena wieder zu sich zurück zu zwingen.
Dann jedoch passierte das Unglaubliche. Er wollte Milena, die dafür überhaupt kein offenes Ohr mehr hatte, nochmals eine richtige Abreibung verpassen.
Doch dann machte sie ihn stattdessen gnadenlos fertig. Wie sie das bewerkstelligte, wusste er bis heute nicht. War sie bisher doch immer so schwächlich und ängstlich gewesen.
Sein Blick glitt über die kahlen, steinernen Wände seiner Zelle. Dieses verdammte Miststück! Er trat gegen das Bettgestell, seines schmalen Zellenbettes und dieses knallte scheppernd dagegen. Dass eine Frau ihn so niedergemacht hatte, konnte er noch immer nicht verdauen.
Und gerade dann, als er Claudias Handy an sich gebracht hatte und nahe daran war, Milena aus ihrem Versteck zu locken, tauchte dann auch noch diese Verrückte mit der Maske auf, die sich als Schutzengel von Milena und Claudia erwies, verprügelte ihn erneut und entriss im sein einziges Druckmittel wieder. Woher war diese Fremde nur gekommen, wie hatte Milena so jemanden kennengelernt? Wusste sie wohl, wer sich hinter dieser Maske verbarg? Es hätte ihn brennend interessiert. Nun jedoch, war die Maskierte ein für ihn unkalkulierbares Risiko und er hasste… unkalkulierbare Risiken.
Er wurde aus seinem düsteren Grübeln herausgerissen, als ein Polizist in voller Montur, mit Pistolengürtel und Schlagstock, seine Zelle aufschloss. «Es wird Zeit für deine Verhandlung Amir. Ich hoffe die treten dir dort so richtig in den Arsch, bei allem was du verbrochen hast.»
Amir setzte eine unberührte Miene auf. «Das werden wir ja noch sehen!» Der Polizist lachte aus vollem Halse. «Noch immer grosse Töne spuken, dabei sind die Beweise mehr als erdrückend. Mach dich auf etwas gefasst! Ein Gefühl sagt mir, dass dein Schicksal bereits besiegelt ist.»
Und nun sass Amir also, hier in diesem Gerichtssaal. Um ihn so viele Leute, die in mit einer Verachtung anstarrten, welche ihm den Schweiss auf die Stirn trieb. Einige der Anwesende kannte er und das gefiel ihm überhaupt nicht, denn es waren alles Mädchen und Frauen, von welchen er einst der Zuhälter gewesen war.
Die Verhandlung verlief gar nicht gut. Er hatte wahrlich üble Karten und die Anwältin der Anklage, schien auf Zack zu sein. Sie trieb Amir immer mehr in die Enge und all die Zeugenaussagen der Opfer, taten ihr Übriges. Gerade dachte Amir, es könne nicht mehr schlimmer kommen als die Anwältin der Anklage sprach: «So rufe ich nun eine letzte Zeugin in den Zeugenstand: Milena Petrova!»
Amirs Anwalt blickte ebenfalls erstaunt. «Milena Petrova? Gehe ich recht in der Annahme, dass das jene junge Dame ist, welche meinen Klienten einst so schrecklich zugerichtet hat?»
Die Anwältin nickte: «Ja, genau diese…»
Die Tür ging nun auf und Milena trat, flankiert von zwei Polizisten, in den Gerichtssaal. Amir reckte seinen Hals, ihm war als würde ihm der Boden unter den Füssen weggerissen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet! Milena sah aus wie immer, mit ihren dünnen, aschblonden Haaren und dem bleichen Gesicht. Zorn stieg in ihm hoch, als sie selbstsicher auf ihn zukam und ihn fest mit ihren wässrig- blauen Augen anstarrte.
«Nehmen sie bitte Platz Frau Petrova!» sprach die Anwältin siegessicher. Amir hasste auch sie, er hasste all diese Frauen, die sich anmassten, sich gegen ihn zu stellen.
Seine Augen funkelten böse zu Milena herüber, doch diese blieb erstaunlich ruhig, auch als Amirs Anwalt sie ins Kreuzverhör nahm. Milena gab zu, dass sie Amir geschlagen hatte, räumte jedoch ein, dass es aus Notwehr geschehen war. Sie gab zu, dass sie sich jedoch nicht mehr genau erinnern könne, wie es zu diesen Gewaltexzessen, ihrerseits, gekommen war. Sie schilderte alles, was sich zugetragen hatte und die Beweislast begann Amir mehr und mehr zu erdrücken.
Schliesslich konnte er seinen Zorn nicht mehr zügeln und sprang auf: «Diese Schlampe lügt doch! Sie hat sich ganz klar der schweren Körperverletzung schuldig gemacht!»
«Und das sagt jemand, der jahrelang arme, unschuldige Mädchen misshandelt und zur Prostitution gezwungen hat,» gab die Anwältin kühl zurück. «Und ausserdem, wenn Körperverletzung, dann sicher keine schwere, denn sie trugen ja keine bleibenden Schäden davon Amir. Im Gegensatz zu ihren Opfern, die dank ihnen, eine Menge Narben an Körper und Seele mit sich herumtragen müssen.»
Die Anwältin wandte sich an die Geschworenen: «Sehen sie all diese Frauen, die endlich ihren ganzen Mut zusammengenommen haben, um gegen diesen Mann hier auszusagen? Sogar Frau Petrova hat sich entschlossen, sich ihrem einstigen Peiniger zu stellen, ohne dabei sicher zu wissen, ob sie nicht auch noch angeklagt wird. Das zeugt von wahrer Grösse! Was braucht es sonst noch, ausser der Beweise und den Aussagen, die uns bereits vorliegen? Mehr gibt es dazu nun wahrlich nicht zu sagen.»
Amirs Verteidiger erkannte, dass seine Kollegin die Wahrheit sprach. Es gab nicht mehr viel zu den bereits vorhandenen Tatsachen, hinzuzufügen. Ob Milena nun wegen Körperverletzung angeklagt wurde oder nicht, hatte keinen Einfluss mehr auf Amirs Schicksal. Dieser hatte sich so viel zu Schulden kommen lassen, dass er für einige Jahrzehnte in den Knast wandern würde. Da konnte der beste Anwalt nichts mehr ausrichten. Und wollte er das überhaupt? Amir war ganz klar ein Mistkerl, erster Güte und vor allem hatte er Minderjährigen schreckliche Dinge angetan.
Der Anwalt liess seinen Blick über die Geschworenen wandern. Ihre Gesichter sprachen eine ziemlich klare Sprache.
«Hat die Verteidigung noch Fragen?» wollte der Richter wissen.
Der Anwalt rang einen Moment mit sich, dann warf er Amir einen leicht schuldbewussten Blick zu und sprach: «Nein, keine weiteren Fragen mehr!» «Was!» nun sah Amir endgültig rot. «Das soll es schon gewesen sein? Was sind sie bloss für ein miserabler Anwalt!? Ich habe eine bessere Verteidigung verdient. Bring mir sofort einen richtigen Anwalt, nicht so ein Idioten wie den hier! Und du…» er wandte sich nun in unkontrolliertem Zorn an Milena. «Du kleine, miese Schlampe wirst das noch büssen! Eines Tages wirst du büssen! Ich töte dich, verstehst du, ich töte dich!» Er wollte sich wutentbrannt auf die Frau stürzen. Doch eine Gruppe Security Polizisten, hielten ihn davon ab. Sie packten Amir, warfen ihn zu Boden und legten ihm Handschellen an, dann führten sie den laut tobenden Mann aus dem Gerichtssaal!
Milenas Anwältin trat zu der jungen Frau und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schultern. «Nur keine Angst, er kann ihnen nichts mehrt tun. Dieser Ausbruch ist, so schrecklich er für sie auch sein mochte, das Beste was uns passieren konnte. So haben gleich alle gesehen, was für ein Mensch ihr Ex- Mann wirklich ist. Bleiben sie tapfer, denn alles wird sich zum Guten wenden, glauben sie mir!» Und die Anwältin sollte recht behalten.