Kapitel 7
Dean wandte sich wieder der Krankenschwester zu. „Ab morgen werde ich in meiner Praxis sein. Schicken Sie mir alle Krankenakten zu.“ „In Ordnung Dr. Lewis. Kann ich noch etwas für Sie tun?“ „Nein. Ich bin in meinem Büro.“ Er ging los. Es war ein Schock für ihn gewesen, Claire wieder zu sehen. Besser gesagt, Ana wieder zu sehen. Nicht nur bei ihm hatte sich vieles verändert. Sie hatte eine neue Identität, Aussehen und ein Kind! Eins musste er aber zugeben, brünett sah sie sogar noch schöner aus. Heute hatte sie ihn völlig umgehauen. Anfangs hatte er geglaubt, dass Matteo der Vater wäre, aber das war er nicht. Nala kannte ihren Vater nicht, also lebte er auch nicht hier. Dean konnte nicht verstehen, wie jemand so eine Frau, wie Ana und ein so bezauberndes Kind wie Nala zurücklassen konnte. Dean hatte nicht damit gerechnet, seine große Liebe von damals erneut zu sehen. Das hatte ihn überrumpelt. Eigentlich hatte er das alles hinter sich lassen wollen, aber nun war genau das Gegenteil passiert. Er öffnete die Tür und betrat sein Büro. Auf seinem Schreibtisch lagen unzählige Ordner und Mappen. Er musste sich ein Überblick verschaffen und war nicht richtig dazu gekommen, da seine Gedanken immer wieder zu Ana schweiften. Nach einer halben Stunde gab er auf. Er stöhnte und sammelte die Akten seiner Patienten zusammen. Er legte sie in seine Tasche. Als er seinen Kittel ausziehen wollte, klopfte es an der Tür. Er hielt inne. „Herein.“ Die Tür ging auf und Peggy steckte ihren Kopf durch den Spalt. „Komm ruhig rein.“ „Okay.“ Peggy öffnete die Tür ganz und trat rein. Sie setzte sich direkt auf den freien Stuhl vor Deans Tisch. „Also, wie war dein Tag?“, fragte sie und sah ihn fragend an. Sie hatte ihre rote Lockenmähne nach hinten gebunden. Sie trug eine helle Jeans und eine grüne Tunika. „Raus mit der Sprache, was willst du wissen?“ Dean kannte diesen Blick. Sie hatte etwas gehört und wollte mehr Informationen. „Ich hab doch bereits eine Frage gestellt“, sagte sie unschuldig. „Ich kenne dich inzwischen gut genug. Also, was ist los?“ Dean zog den Stuhl hinterm Schreibtisch hervor und setzte sich Peggy gegenüber. „Also schön, ganz Hot Springs redet darüber.“ „Über was?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast Anas Tochter gerettet.“ „Ich bin Arzt, da ist es normal Leben zu retten.“ „Naja, nur ist es so, dass Jenna gehört hat, wie Ana dich geduzt hat.“ Dean zog eine Braue in die Höhe. „Und?“ „Ana ist ein Buch mit sieben Siegeln und einem Panzerschloss. Es dauert bei ihr lange, bis sie vertrauen aufbaut und die Menschen dann duzt.“ Die Frau, die er von damals kannte, war ein offener Mensch gewesen. „Wirklich?“ „Ja. Sie siezt noch immer John. Also, was ist so besonders an dir?“ Sie sah ihn eindringlich an. „Nichts. Das war wahrscheinlich nur, weil sie sich Sorgen um ihre Tochter gemacht hat. Ist das Verhör nun fertig?“ „Ich bitte dich, das ist doch kein Verhör.“ Dean stand auf und zog seinen Kittel aus. „Ich muss jetzt nachhause. Soll ich dich Heim fahren?“ „Nein, aber du könntest mich zum Diner fahren. John wartet dort auf mich.“ „Okay.“ Gemeinsam verließen sie das Krankenhaus.
Nachdem Ana ihre Tochter ins Bett gebracht hatte, zog sie sich um und trödelte dabei. Sie hatte keine Lust auf ein Gespräch mit Teo, aber sie schuldete ihm Erklärung. Sie ging nach zwanzig Minuten zurück ins Wohnzimmer. Dort saß Teo angelehnt auf dem Sofa und starrte die Decke an. „Willst du was trinken?“ „Ich brauche nichts. Aber du schon.“ „Bin gleich wieder da.“ Sie ging in die Küche und machte sich ein Kräutertee. Sie nahm ihre Tasse und lief zurück ins Wohnzimmer. Seine Position hatte sich nicht verändert. Ana setzte sich ihm gegenüber und stellte ihre Tasse auf den Couchtisch. „Was willst du wissen?“, fragte sie schließlich. Er sah auf und überlegte kurz. „Warum weiß der Typ nichts über Nala?“ „Ich habe damals erst erfahren, dass ich schwanger bin, als er schon fort war.“ „Okay“, sagte er gedehnt. „Aber ich werde mit ihm reden. Er muss wissen, dass er eine Tochter hat. Außerdem…“ „Warte mal kurz, Ana“, unterbrach Teo sie. „Was ist?“ Er sah sie ernst an. „Ich habe ihn bereits kennengelernt. Bevor Nala gestochen wurde.“ Ana runzelte die Stirn. „Wann denn?“ „Weißt du noch, als du eine Bestellung ausliefern musstest und mich gebeten hast Nala abzuholen?“ Sie nickte. „Er hat an dem Tag seine Patentochter abgeholt und wir hatten ein kurzes Gespräch und er hat klar und deutlich gesagt, dass er keine Kinder haben möchte.“ Ana schwieg und trank ein Schluck von ihrem Tee. „Das hat er gesagt?“, fragte sie schließlich. Teo nickte. Sie schloss kurz die Augen, als sie sie wieder öffnete, konnte Teo nichts in ihnen erkennen. „In Ordnung.“ Ihre Stimme war neutral. Er hörte weder Trauer noch Wut heraus. „Geht es dir gut?“, fragte Teo vorsichtig. „Ja. Es ist gut, dass du mir das gesagt hast. Ansonsten hätte ich ein Fehler begangen. Ich will Nala nicht verletzen.“ Teo musterte sie. Er wusste, dass es ihr miserabel ging, aber sie ließ nie zu, dass es jemand bemerkte. Er sah förmlich, wie sie wieder Mauern um sie herum baute. „Erzählst du mir, was vor der Zeit in Hot Springs war?“ „Warum nicht?“, fragte Ana und zuckte mit den Schultern. „Ich habe Dean kennen gelernt, als ich zwanzig war.“ Sie schwieg und Teo sah, wie sie in ihre Vergangenheit eintauchte. „Damals war ich eine ganz andere Person.“ Sie sah Teo an. „Ich meine es wortwörtlich. Mein eigentlicher Name ist Claire Daniels. Ich bin von Natur aus blond.“ Sie rollte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. „Ich habe Dean in einer Karaokebar kennengelernt.“
Fünf Jahre zuvor:
„Los Claire, ab auf die Bühne mit dir!“, drängte Brooke und schob sie auf die Bühne zu. „Brooke, hör auf damit“, zischte sie. Bevor sie auf die Bühne gelangte, stand ein Typ darauf. Claire atmete erleichtert durch. Er lächelte sie an. Oh Mann, was für ein Lächeln das war. „Na, da hast du aber Glück gehabt“, brummte Brooke. Claire hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihre Aufmerksamkeit galt im Moment nur dem Typ auf der Bühne. Er trug schwarze zerschlissene Jeans und ein weißes, lockeres T-Shirt. Er hatte braune Haare, die ihm in den Nacken fielen. Auf dem Monitor blinkte ein Titel auf. Just a dream. Das war ein Duett. Ohne einen Partner da oben, würde er sich blamieren und das, nur weil er ihr helfen wollte. Die Musik ging an und er fing an zu singen. Und als der Part für eine weibliche Stimme kam, kletterte sie ohne lange zu überlegen auf die Bühne, stellte sich hinter das zweite Mikrofon und übernahm die weibliche Stimme. Während sie ihren Part sang, lächelte er sie an. Claire hätte niemals gedacht, dass sie so viel Spaß dabei haben könnte. Aber mit diesem Fremden zu singen war wunderbar und befreiend. Es gab nichts außer sie und ihn. Als der Song zu Ende war, jubelte das Publikum. Claire sah sich um und bemerkte, wie ihre beste Freundin Brooke sie anstarrte. Sie waren hier her gekommen um den bestandenen Examen zu feiern. Obwohl Claire nicht gerne groß feiern mochte, war sie doch froh, dass Brooke darauf bestanden hatte. Sonst hätte sie niemals diesen Typ, mit den dunkelgrünen Augen kennengelernt. Sie ging von der Bühne runter und der Typ folgte ihr. „Hätte ich gewusst, dass du doch singen würdest, wäre ich da niemals auf die Bühne gegangen“, schrie er, um die Musik zu übertönen. „Hatte ich eigentlich nicht vor“, antwortete sie lächelnd. „Was?“ „Hatte ich nicht vor!“, schrie sie. „Wieso hast du es dir anders überlegt?“ „Wer weiß das schon?“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Ich habe das Gefühl, dass ich dir etwas schulde“, rief er. „Bezweifle ich. Du bist für mich auf die Bühne gegangen.“ „Stimmt, dann schuldest du mir was.“ „Nein, wir sind quitt. Ich habe dich nicht auf der Bühne hängen lassen.“ Sie bahnte sich einen Weg zu Brooke frei, was nicht einfach war. „Wie heißt du?“ Bevor sie antworten konnte, schrie Brooke ihren Namen und winkte. „Claire also. Ich heiße Dean.“ „Nett dich kennen zu lernen, aber ich muss jetzt los.“ Sie beschleunigte ihre Schritte und kam schließlich bei Brooke an. Er war ihr nicht gefolgt. „Oh mein Gott!“, schrie Brooke, sobald Claire neben ihr stand. „Was ist?“ Brookes Augen wurden groß. „Hast du keine Augen im Kopf? Der Typ ist sowas von heiß!“ Claire sah zurück, aber konnte ihn nirgends sehen. „Hast du seine Nummer?“, fragte Brooke. „Nein.“ „Du bist so ein Idiot! Und sein Name?“ „Dean.“ „Na immerhin das“, brummte ihre Freundin. Sie gingen zurück zu ihrem Tisch. Es war ein hoher Tisch mit zwei Barhockern. Nach einer Weile lief Brookes Lieblingslied. „Komm, wir gehen tanzen.“ „Ganz sicher nicht.“ Sie nahm ein Schluck von ihrer Cola und rührte dann mit dem Strohhalm die Eiswürfel darin um. „Du bist doch eine Spaßbremse.“ Brooke trank ihren Cocktail aus, hüpfte von ihrem Barhocker runter und ging auf die Tanzfläche. Ihre beste Freundin war genau das Gegenteil von ihr. Sie hatte pechschwarze Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten. Und jede Woche hatte sie ein neues Ombré. Diese Woche war blau dran. Sie hatte ihre Haare zu einem unordentlichen Zopf über ihre rechte Schulter geflochten. Sie trug ein schwarzes Top, dessen Rücken zerschlissen war. Vorne stand in knallroter Farbe Perfect drauf. Darunter trug sie eine enge, schwarze Lederhose und der krönende Abschluss waren ihre fünfzehn Zentimeter Pumps mit Nieten am Absatz. Claire hingegen trug ein schwarzes Kleid, dessen Rock locker um ihre Oberschenkel fiel. Das Oberteil des Kleides war Trägerlos und hatte an der Taille Cut-Outs. Darunter eine blickdichte, schwarze Strumpfhose, und eine dunkelblaue Lederjacke. Die dunkelblauen Lederpumps hatte sie von Brooke ausgeliehen. Ihre Haare hatte sie zu einem hohen Zopf gebunden. Ihre Locken fielen ihr in den Nacken. Sie hatte sich ebenfalls geschminkt, hatte aber nicht so übertrieben wie ihre Freundin. Sie war dezent geschminkt. Claire hatte auch Smokey-Eyes aber sie hatte helle Farben benutzt, während Brooke knallrote Lippen und Smokey-Eyes komplett in schwarz aufgetragen hatte. Sie meinte, sie würde so ihre blauen Augen betonen. Zwei Songs vergingen, dann drei und als der vierte ansetzte, piepste Claires Handy. Eine SMS von Brooke. Es war kurz und knapp: Hab ein Typ kennengelernt, bin schon mal weg, du kommst allein zurecht xo. Na super. Erst zwang sie sie mit zu kommen und dann ließ sie sie sitzen. Sie trank ihre Cola aus und sprang von ihrem Barhocker runter. Ein Kunststück, richtig zu landen, fand sie. Auch ihre Pumps hatten hohe Absätze. Sie nahm ihre Clutch und verließ die Bar. Na toll, sie waren mit Brookes Wagen gekommen und ihr Haus war nicht einmal in diesem Stadtteil. Sie seufzte und lief wieder in die Bar. Sie ging zum Barkeeper und fragte, ob man hier irgendwo Taxis fand. Er schüttelte bloß sein Kopf. Innerlich fluchend, wollte sie wieder rauslaufen aber jemand tippte ihr auf die Schulter. Sie drehte sich um und sah Dean ins Gesicht. Obwohl sie zehn Zentimeter Pumps trug, war sie ein Stück kleiner als er. „Du bist ja immer noch hier.“ „Ja, ich wurde sitzengelassen.“ „Von deiner Freundin?“ „Ja, sie hat irgend so ein Kerl kennengelernt und mir mit einer SMS mitgeteilt, dass sie schon weg ist.“ „Bist du nicht mit dem Auto hier?“ Claire schüttelte den Kopf. „Nein, wir sind mit ihrem hergefahren. Weißt du zufällig, wo ich hier ein Taxi finde?“ „In dieser Gegend? Da wirst du sicher eine halbe Stunde auf eins warten müssen. Mindestens“, fügte er hinzu. „Na super“, stöhnte sie. „Ich kann dich fahren.“ „Warum?“ „Weil es auf meinem Weg liegt?“, versuchte er es. „Netter Versuch, aber ich habe mit keinem Wort meine Adresse erwähnt.“ „Ein Versuch war es wert.“ „Außerdem kenne ich dich nicht“, fügte Claire hinzu. „Ich heiße Dean Lewis, bin vierundzwanzig Jahre alt, komme aus New York und wohne vorübergehen bei meinem Onkel.“ Sie musterte ihn. „Das könnte alles gelogen sein.“ „Stellt sich ein Taxifahrer auch vor?“, erwiderte er. Sie fing an zu grinsen. „Da ist was dran. Also gut, aber eins solltest du wissen.“ „Das wäre?“ „Ich nehme seit meinem fünften Lebensjahr Kickboxtraining.“ Diesmal lachte er auf und führte sie aus der Bar raus. „Sollte ich mir eigentlich um meine Sicherheit sorgen machen?“, fragte er sie in normaler Lautstärke, nachdem sie die Bar verlassen hatten. „Solange du mir nichts antust. Nein.“ Sie liefen zum Parkplatz. Vor einem Oldtimer blieben sie stehen. „Das ist deiner?“, fragte sie verblüfft. „Ja, mein ganzer Stolz. Mein Großvater hat es mir vererbt.“ Sie standen vor einem Chevy Camaro RS SS, sechziger Jahre. Er öffnete ihr die Tür. Lächelnd stieg sie ein. Dean lief um den Wagen und setzte sich hinters Steuer.