Kapitel 16
Als Ana das Diner betrat, kam sofort Celine auf sie zu. Sie sah panisch aus. „Was ist los?“, fragte Ana. „Hinten streitet Teo sich mit so einem Kerl und vor kurzem ist eine Frau dazu gekommen. Damit es hier drinnen nicht eskaliert, ist Teo mit ihnen zum Hinterhof.“ „Danke Celine. Ich kläre das. Pass nur auf, dass niemand dorthin kommt.“ Ana sah auch Ronny an. Immer noch benommen nickte sie. Dean reichte ihr die Tüten und folgte Ana. Ana öffnete die Tür und trat raus. Sofort hörte sie Teos Stimme. „Seid ihr begriffsstutzig? Hier lebt keine Claire Daniels!“ „Ich habe sie doch gesehen“, antwortete Brooke mit schriller Stimme. Sie könnte Meg Konkurrenz machen. „Das war Ana Davids und nicht Claire!“ Ana bog um die Ecke und sah sie. Die Hastings‘. Kevins Blick zuckte zu Ana. Dann starrte er sie an. „Claire“, sagte er bloß und kam auf sie zu. „Da, ich habe es doch gesagt! Das ist Claire!“, rief Brooke. Kevin blieb direkt vor ihr stehen. Dean lehnte hinten an der Wand, sodass ihn niemand wahrnahm. Kevin war schlank und ein Kopf größer als Ana, obwohl sie Schuhe mit Absätzen trug. Er hatte noch immer aschblonde Haare, die er zurück gekämmt hatte. Er trug ein sauteures Armani Anzug. „Was soll dieser Krach hinter meinem Diner?“, fragte Ana aufgebracht. „Claire, sag bloß, du erkennst mich nicht.“ Ana überlegte, ob sie die Nummer mit dem nicht kennen weiter durchziehen sollte, aber da jetzt auch Dean hinter ihr stand, musste sie nichts befürchten. Außerdem waren ja auch noch Teo und Ronny bei ihr. „Was wollt ihr beide hier?“, fragte sie schließlich. „Ha! Ich sagte doch, dass sie uns kennt!“ Brooke kam ebenfalls auf sie zu und wollte sie umarmen, aber Ana ging einen Schritt zurück, um ihr deutlich zu machen, dass sie das nicht wollte. „Ihr habt immer noch nicht geantwortet“, erinnerte sie sie. „Wir haben dich im Internet gesehen und erfahren wo du arbeitest. Ich wollte dich sehen“, sagte Brooke und lächelte. Früher hätte Ana ihr dieses Lächeln geglaubt, aber inzwischen kannte sie Brooke besser. „Und warum, wenn ich fragen darf?“ Anas Stimme klang kalt und distanziert. „Warum? Na, weil du meine beste Freundin bist“, sagte Brooke. Ana nickte langsam. „Da gibt es aber ein Problem“, sagte Ana schließlich. „Was für eins?“ „Du bist nicht meine Freundin.“ Brookes Augen weiteten sich. Nie im Leben hätte sie so viel Selbstvertrauen von Claire erwartet. „Warum sagst du das?“, fragte Brooke und ließ ihre Unterlippe zittern. „Lass stecken Brooke. Ich weiß, dass du das nur vortäuscht. Die Masche zieht bei mir nicht.“ „Was ist bloß mit dir passiert?“, fragte Brooke. Diesmal hörte Ana ein Funken Wut in ihrer Stimme. „Also ich finde, sie ist jetzt noch heißer geworden. Liegt wohl daran, dass dieser Versager nicht mehr bei ihr ist“, sagte Kevin und im selben Moment tippte ihm jemand auf die Schulter. Er drehte sich um. „Wen nennst du hier Versager?“, wollte Dean wissen. Merkwürdig, der Dean vor fünf Jahren hätte ihm bereits eine Faust gegeben. „Hätte ich mir denken können“, murmelte Kevin und wandte sich wieder Ana zu. „Können wir reden?“ „Nein. Ich will, dass ihr verschwindet und mich nicht länger belästigt.“ „Komm Brooke.“ Kevin wollte bereits gehen aber Brooke hielt ihn zurück. „Warte kurz Kev. Warum hasst du mich so sehr?“, fragte sie Ana. „Warum?“ Ana lachte auf. „Als ich dir gesagt habe, dass ich schwanger bin, hast du mich hängen lassen! Du hast mir eiskalt ins Gesicht gesagt, dass du keine Schlampe als Freundin haben willst!“, zischte Ana. Sie kochte vor Wut. „Was kann denn ich dafür, wenn du dich von einem Kerl schwängern lässt, der es zu nichts bringt?“ „Verschwinde Brooke! Verschwinde aus meinem Diner und aus meinem Leben! Verschwinde dahin, wo du mich vor fünf Jahren hängen lassen hast!“ „Ich fasse es nicht, dass du dich immer noch an die Vergangenheit festklammerst“, warf Kevin ein. „Ich? Ihr seid doch hier aufgetaucht!“, schrie Ana. „Weil wir mit dir reden wollten. Dir kann man es nicht recht machen.“ „Ich will nicht mit euch reden! Verdammt verschwindet doch endlich aus meinem Leben!“ Ana konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so wütend gewesen war. „Du hast deine Zukunft in den Müll geschmissen und das wegen diesem Kerl“, Kevin deutete auf Dean. Ana sah, wie sehr er sich zurück hielt. Auch Teo sah angespannt aus. Was für eine lächerliche Situation. Ana lachte auf. „Das war nicht meine, sondern eure Zukunft, die ihr für mich ausgedacht habt!“ „Was wäre so schlimm gewesen, mich zu heiraten?“, wollte Kevin wissen. „Alles?“, warf Dean ein. Kevin fuhr zu ihm herum und verpasste ihm eine. Ana schrie auf. Dean sah Kevin perplex an. „Wow, du hast Mumm gewonnen. Früher hast du zusammengezuckt, wenn ich dich nur angesehen habe.“ Dean blutete aus dem Mundwinkel. „Bist du bescheuert?“, rief Ana und wollte auf Dean zu gehen, doch da hörte sie: „Mummy?“ Das hatte ihr noch gerade gefehlt. Sie setzte ein Lächeln auf und drehte sich um. „Spätzchen, was tust du denn hier?“ Ana ging zu ihrer Tochter. Hinter Nala kam Sally angerannt. „Es tut mir leid Ana, sie ist los gerannt, als sie deine Stimme gehört hat.“ „Kein Problem Sally. Spätzchen, gehst du bitte mit Sally mit?“ Nala schüttelte ihren Kopf. „Ich will bei dir bleiben.“ „Nala, das geht jetzt nicht. Geh mit Sally in die Wohnung.“ „Nein.“ „Nala…“ Sie hätte wütend reagiert, wenn nicht Dean aufgetaucht wäre. „Hallo Nala.“ „Dean! Oh du blutest ja!“ „Ja, deswegen brauch ich eine Ärztin die mir hilft. Wie wäre es, wenn du mich versorgst und Sally die Krankenschwester ist?“ Nala strahlte. „Komm Nala, wir gehen vor.“ Sally lief mit Nala los. „Ich danke dir.“ „Ana, ich würde dich nicht mit den zweien alleine lassen, wenn Teo nicht bei dir wäre.“ „Ich weiß.“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Sobald alles vorbei ist, reden wir über uns und mit Nala.“ Ana nickte. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand um die Ecke. Ana holte tief Luft und ging zurück. „Du hast sie auf die Welt gebracht?“, fragte Brooke. „Was hast du gedacht? Ich wurde doch rausgeschmissen, weil ich nicht abtreiben wollte. Aber wenn ich auch nur einen von euch in der Nähe meiner Tochter sehe, wird euch das verdammt noch mal leid tun. Und jetzt verzieht euch. Denn Teo wartet nur um Kevin eine reinzuhauen.“ Beide sahen zu Teo. Er war ein Stück größer und breiter gebaut als Kevin. Teo konnte gut Fremde einschüchtern. Und der Blick, den er Kevin zu warf, war mörderisch. „Komm Brooke, wir gehen.“ Seine Schwester hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam stolzierten sie davon. Brooke hatte sich kein bisschen verändert. Äußerlich sah sie zwar erwachsener aus aber innerlich hatte sie immer noch zwei Gesichter. Ihre langen Haare trug sie jetzt als Bob. Sie hatte sich von ihren frechen und provokanten Klamotten getrennt. Sie trug ein beigefarbenes Rock und darüber eine weiße Bluse. Das Tattoo, welches sie an der Schulter gehabt hatte, war verschwunden. Anscheinend hatte sie es sich weglasern lassen. Brooke und Kevin waren Stiefgeschwister. Cassandra war Brookes Mutter und Thomas der Vater von Kevin. „Das sind die seltsamsten Menschen, die ich in meinem Leben je getroffen habe.“ Ana drehte sich zu Teo um. „Ich danke dir, Teo. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde.“ Er lächelte und legte einen Arm um sie. „Du wärst gut klar gekommen. Immerhin war der Arzt an deiner Seite.“ „Oh Gott, Dean! Ich hab ihn völlig vergessen.“ Sie wollte schon loslaufen, aber Teo hielt sie noch zurück. „Du wirst mir alles erzählen.“ „Vielleicht nicht alles, aber nur das du es weißt, Ronny weiß es auch. Zumindest, dass Dean Nalas Vater ist“, sagte sie und rannte los. Sie ging um die Ecke. Während dem Laufen holte sie ihre Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss ihre Haustür auf. Als sie die Wohnungstür öffnete, hörte sie Nalas Stimme. „Ich will auch Arzt werden, wenn ich groß bin.“ Ana zog ihre Schuhe aus, legte die Schlüssel in das, dafür geeignetes Schälchen und ging in das Wohnzimmer. Dean saß auf der Couch und auf dem Couchtisch waren Pflaster, Wattepads, Desinfektionsmittel und Wundsalbe verstreut. „Hattest du nicht nur eine aufgeplatzte Lippe?“, fragte sie und sah ihn schließlich an. Er hatte ein Pflaster an seinem Mundwinkel. „Wenn schon, muss man das richtig machen“, gab er schulterzuckend zurück. „Wo ist Sally?“ „Ich bin hier.“ Sally trat mit einem Tablet hinter ihr durch die Tür. Sie hatte Sandwiches vorbereitet. Dazu gab es noch Orangensaft. „Danke Sally. Wirklich, du warst meine Rettung.“ Sally lächelte. „Ich verbringe gerne Zeit mit Nala.“ „Ich auch“, warf Dean ein. Sally sah Ana fragend an. Es war nicht üblich, dass Ana einen fremden Mann in die Nähe ihrer Tochter ließ. Vor allem in ihre Wohnung. Aber anscheinend war das bei ihm eine Ausnahme. Sie nahm an, dass sie sich von früher kannten. „Wenn du mich jetzt nicht mehr brauchst, würde ich gehen. Mein Dad hat mir schon zig Nachrichten geschickt“, sagte Sally und rollte mit den Augen. „Natürlich. Ich verbringe heute den Tag mit Nala. Bis Morgen Sally.“ „Bis Morgen. Auf wiedersehen Doktor Lewis.“ „Dean“, verbesserte er sie. Sie lächelte kurz, winkte in die Runde und verließ schließlich die Wohnung. Ana fing an, die Arzneien einzusammeln. „Dean, willst du mit uns zu Abend essen?“, fragte Nala auf einmal. Ana hielt mitten in der Bewegung inne. Sie musste sich das dringend abgewöhnen. „Gerne, aber frag doch erst mal deine Mummy.“ „Mummy, darf er? Bitte.“ Sie zog das Bitte in die Länge. „Wir haben noch einen freien Stuhl“, sagte sie schließlich und trug die Sachen aus dem Wohnzimmer. Als sie die Sachen aufgeräumt hatte, klingelte das Haustelefon. Das Diner. „Hallo?“ „Ana, kannst du bitte kommen? Wir brauchen hier noch zwei helfende Hände“, hörte sie Ronny sagen. „Wieso? Normalerweise braucht ihr mich dienstags nie im Dienst.“ „Nick musste dringend gehen und Celine hat aus.“ „Okay, ich komme gleich.“ Sie legte auf. Das war’s dann mit dem gemeinsamen Tag. Verdammt, sie hatte jetzt auch noch Sally nachhause geschickt. Sie ging zurück ins Wohnzimmer und ging vor Nala in die Hocke. „Spätzchen, Mummy muss ins Diner. Soll ich dich zu Liah bringen?“ Nala schüttelte ihren Kopf. „Liah hat Daddy Tag. Da kann sie nicht.“ „Ich bleibe bei ihr.“ Sie sah abrupt auf. Dean lächelte sie an. „Außer du willst nicht, dass ich in deiner Wohnung bleibe.“ Sie überlegte kurz. Wieso eigentlich nicht? Er war ihr Vater und er hatte ihr versichert, dass er Nala liebte. Schließlich nickte sie. „Okay. Danke. Nala, du bleibst mit deinem Da…“, sie hielt mitten im Satz inne und sah schnell Dean an. „Du bleibst mit Dean hier. Okay?“ Fast hätte sie Daddy gesagt. Schon seltsam. Gestern hatte sie noch schreckliche Angst davor gehabt. „Okay. Komm Dean, ich zeig dir mein Puppenhaus.“ Nala zog Dean hinter sich mit. Ana ging in ihr Zimmer und zog sich ihre Arbeitsklamotten an. Anschließend verabschiedete sie sich von den beiden und ging runter ins Diner. Auf halbem Weg kam Reed ihr entgegen. „Dich hat mir der Himmel geschickt!“, rief sie und packte ihn am Arm. „Heute bist du noch seltsamer als sonst. Ist alles in Ordnung?“, fragte Reed misstrauisch. „Ich brauche jemanden, der aushilft. Komm mit.“ „Was? Ich kann nicht kellnern. Vergiss es.“ Er versuchte sich loszureißen aber ihr Griff war zu fest. „Warum bist du so stark?“, fragte Reed entgeistert. „Du kannst auch hinter der Theke stehen, aber ich brauche wirklich deine Hilfe, Reed.“ Sie hatte ihm sooft geholfen und an ihn geglaubt, also knickte er ein. „Ausnahmsweise“, murmelte er. „Du kannst mich loslassen. Das sieht etwas seltsam aus.“ „Oh ups.“ Ana führte Reed zur Theke. „Ronny, Reed wird hinter der Theke stehen, wir beide kellnern.“ „Okay. Komm ich zeig dir alles.“ Reed ging zu Ronny. Er lernte schnell und machte sich an die Arbeit. „Wo ist Nala? Ich habe Sally gehen sehen“, fragte Ronny leise. „Dean ist bei ihr.“ „Du wirst mir alles erzählen meine Liebe.“ „Stell dich hinten an. Teo war vor dir da.“ Ronny lachte auf und ging zu Tisch drei. Ana nahm die Bestellung von Tisch zwei entgegen. Einige Gäste musterten Reed hinter der Theke aber er tat so, als würde er es nicht bemerken. Andere ihrer Gäste aber schienen, als würde Reeds Anwesenheit sie nicht stören. Die alte Mrs. Thrown unterhielt sich sogar mit ihm. Was auch immer sie gesagt hatte, brachte ein Lächeln in Reeds Gesicht. Ana sah ihn zum ersten Mal lächeln. Er schien auch etwas lockerer. Als sie an die Theke trat um die Bestellung durchzugeben, hörte sie Reed sagen: „Das ist Ihre Schönheit Mrs. Thrown.“ „Du Charmeure“, sagte Mrs. Thrown lachend. „Reed, gibst du die Bestellung durch?“, rief Ana. Reed nahm die Bestellung entgegen. „Du machst das toll“, flüsterte Ana und ging zum nächsten Tisch. Ein weiterer Gast setzte sich an die Theke. Auch er unterhielt sich mit Reed. Bei diesem Anblick wurde es Ana warm ums Herz. Reed war ein toller junger Mann, mit sehr vielen Talenten. Er musste nur dazu stehen. Und die anderen mussten auch sehen, was Ana schon gleich bei ihrem ersten Treffen gesehen hatte. Unter seiner rauen und harten Schale war ein weicher Kern. Sie sah ihm an, dass man ihn oft verletzt hatte. Sein Herz hatte bestimmt gelitten, aber nun würde sie ihm helfen.