Kapitel 4
Das Coffee-Plaza bestand von außen und im ersten Stock fast nur aus Mauerwerk. Neben der pinken Eingangstür hing ein Schild, das in leuchtenden pinken Neon-Buchstaben dem potenziellen Besucher vermittelte, ob das Kaffeehaus entweder geschlossen oder offen war. Stephanie Carlsson, die Besitzerin Schrägstrich Arbeitgeberin hatte, wie man sehen konnte, einen klitzekleinen Faible für diese Farbe, was auch der Grund war, weshalb sich nur wenige Männer hier herein trauten. Als ich durch die Tür trat, kam ich in den Vorraum, der fast kahl war, außer einer riesigen Fensterwand zur Rechten, die zu einer überdachten Terrasse führte, und eine weisse Wendeltreppe, mit der man in den 2. Stock kommen konnte. Wenn man sich dazu entschied, die Zeit auf der Terrasse zu verbringen, konnte man auf bequemen, von Kissen wimmelnden, roséfarbenen Diwanen sitzen und die gemütliche Atmosphäre mit Kerzen und Lichterketten individuell gestalten. Wenn man dann doch Lust auf frische Luft bekam, führte einen eine kleine Treppe direkt in den Garten, durch den ein kleiner Bach floss. Wenn man dem Lauf des Baches folgte, gelangte man zu einem romantischen Pavillon, in dem sich schon das ein oder andere Pärchen verlobt hatte. Zur Weihnachtszeit war es aber leider viel zu kalt, um es sich draußen gemütlich zu machen.
Als ich die Wendeltreppe hinauf lief, hörte ich schon das stetige Treiben des Cafés. Die im Hintergrund laufende Jazzmelodie versetzte mich sofort wieder in Stimmung zu arbeiten. Auch hier oben gab es eine Fensterfront, doch die einzelnen Scheiben waren gedämpft, sodass man nur eine verschwommene Aussicht nach draußen hatte. Das war aber auch gut so, denn es gab nicht viel zu sehen, nur die kahlen Dächer der Nachbarhäuser. Der Regen prasselte unaufhörlich auf die Fenster ein; wenn man die Augen schloss, hörte es sich ein wenig so an, als würden Menschen sich unterhalten, lachen und klatschen, während Pianojazz im Hintergrund dem ganzen einen nostalgischen Flair verlieh. An den Fenstern war eine riesige Bank, auf denen schweinchenrosa Kissen verteilt wurden und hie und da auch einige Decken. Ich sah ein paar Mädchen aus meiner Stufe, die sich allesamt in Decken eingemummelt hatten und an ihrem Getränk sippten. In einer hinteren Ecke gab es Holztische, neben denen Steckdosen angebracht waren, um auch denen Platz zu bieten, die am Laptop arbeiteten.
Ich eilte hinter die Theke, und musste die ganze Zeit an das Gedicht denken, welches Evan mir geschrieben hatte.
Meine Wangen wurden rot, wenn ich daran dachte, dass er mir eiskalt ein Gedicht geschrieben hatte! Es war immer mein Traum, einem Mann so viel zu bedeuten, dass ich die künstlerische Seite in ihm erweckte. Bei diesem Gedanken stoppte ich; Ich bedeutete ihm bestimmt nichts. Vielleicht war ihm einfach nur ein wenig langweilig gewesen und er wusste sonst nicht, wie er seine Zeit vertreiben wollte. Ich verdrängte die ganzen Gedanken komplett und konzentrierte mich auf die Arbeit. Im Angestelltenraum hinter der Theke hing die Uniform an der Garderobe, wenn man es denn so nennen konnte.
Stephanie wollte nicht, dass wir uns für die Arbeit schick machten, um das gemütliche Ambiente noch zu verstärken, also mussten wir uns einfach eine weiße Schürze anziehen.
An einem der vielen kleinen Tische saß Andrew, der hier nur noch knapp 2 Monate arbeitete, um sich sein erstes eigenes Auto finanzieren zu können. Er scrollte gerade an seinem Handy; ich dachte, er hatte mich nicht bemerkt, bis er mich mit einem >>Was läuft<< begrüßte.
>>Alles was Beine hat<<, sagte ich, was unser Spruch war, den wir immer als Begrüßung benutzten. Andrew arbeitete hier schon, als ich vor einem halben Jahr frisch angefangen hatte. Seine Eltern wollten, dass er schon früh den Umgang mit Geld erlernte, deshalb kauften sie ihm kaum etwas. Ich arbeitete im Coffee-Plaza, weil es mir gefiel, mich nützlich zu machen und Stephanie eine gute Freundin von meiner Mom war. Da ich am Anfang Startschwierigkeiten hatte, ging Andrew mit mir alles durch bis ich fast genauso gut im Kellnern war wie er. Er war hübsch, hatte große blaue Augen, blonde Haare und weiche Gesichtszüge, nichtsdestotrotz war sein Kiefer ausgeprägt, und er trug immer eine Beanie. Ich hatte das Gefühl, er besaß mehr Beanies als Oberteile.
>>Von wann bis wann geht deine Pause?<< Andrew war immer zur Stelle, wenn es mir mit den Bestellungen zu viel wurde, und ich wollte mich auf der sicheren Seite wissen.
>>18 Uhr 30 bis vor 20 Minuten. Stephanie ist heute früher gegangen, weil ihr Kind sich das Bein gebrochen hat und sie es ins Krankenhaus fahren muss, deshalb habe ich mir mal raus genommen, etwas länger Pause zu machen. Sie kanns ja eh nicht sehen<< Er zuckte mit den Schultern, während er sein Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch legte und sich gähnend streckte.
Ich schnappte mir eines der vielen kleinen Notizheften und einen Stift vom Tisch, und verließ den Raum mit den Worten: >>In 5 Minuten bist du draußen und hilfst mir, kapisch?<< Auf seine Antwort wartete ich nicht mehr. In der Glasvitrine der Theke waren ein paar Schokoladen-, Bananen-, und Blaubeermuffins, ein paar pinke Donuts, und eine Himbeertorte. Stephanie hatte als Dekoration einige Sukkulenten in bunten Töpfchen auf den Tischen verteilt, was die Gäste in ihren Rezensionen immer positiv hervorhoben. Im Moment waren kaum Gäste da, nur noch die Mädchen aus meiner Stufe, also säuberte ich die Kaffeemaschinen. Danach ging ich mit einem Lappen durch die Tischreihen und wischte alle gründlich ab.
Als ich Leute reinkommen hörte, eilte ich zurück hinter die Theke. Die Mädchen, ich wusste gerade nicht wie sie hießen, lachten gerade über irgendetwas lauthals, und mir wurde unwohl. Wenn andere Leute lachten, fühlte es sich immer so an, als würden sie über mich lachen, obwohl ich natürlich wusste, dass das totaler Quatsch war.
Außerdem kam noch dazu, dass sie wahrscheinlich heute morgen bei dem Vorfall in der Mensa dabei gewesen waren. Vermutlich waren sie deshalb hier her gekommen, um mich noch einmal in Aktion zu sehen. Ich nahm die Bestellung der neuen Gäste an; es war ein junges Pärchen, das Händchen hielt und sich verliebte Blicke zuwarf.
>>Willkommen im Coffee-Plaza! Was darf ich ihnen anbieten?<<, fragte ich, als ich meinen Stift bereitwillig zückte.
>>Wir hätten gerne einen Moccha für mich, eine heiße Schokolade und...<<, er machte kurz Pause, und guckte die Frau an, die auf den Kuchen zeigte. >>... ein Stück Himbeertorte für meine Freundin<<, beendete er seinen Satz. Ich sendete sie zu den Sitzplätzen, während ich mich daran machte, die Kaffeemaschine zu bedienen, um den beiden eine heiße Schokolade und einen Moccha zu bringen. Während der Kaffee langsam die Becher auffüllte, schnitt ich ein großes Stück der hausgemachten Himbeertorte ab, legte zwei Gäbelchen dazu, und stellte alles vor ihnen ab. Da in dem Moment die Mädchen wieder lachten und ich unsicher wurde, ordnete ich fälschlicherweise dem Mann den Kuchen und den Kakao zu, während ich der Frau den Mocha hinstellte. Sie rückten alles in die selbe Reihenfolge und waren sehr nett, dennoch war es mir sehr unangenehm. So etwas passierte mir sonst nie! Hoffentlich waren es nicht die Sorte der Kunden, die sofort alles in ihrer Rezension zerissen. Mit hochrotem Kopf wandte ich mich zur Theke, wo schon die nächsten Gäste auf mich warteten, diesmal eine Kleingruppe von älteren Damen.Wo blieb denn nur Andrew? Er wusste, dass meine Drohung von vorhin nicht ernst gemeint war, aber wenn er jetzt bald nicht kam und mir unter die Arme griff, machte ich Hackfleisch am Spieß aus ihm. Ich nahm die Bestellungen der Frauen auf, und achtete sorgsam darauf, nichts falsch aufzuschreiben. Ich ordnete der Dame mit dem grünen Cardigan einen Blaubeermuffin, der Dame im magentafarbenen Kleid ein Stück Torte, und der Dame in den schwarzen Stiefeln einen Donut zu. Allesamt nahmen sie einen Latte Macchiato mit Sahne. Diesmal brauchte ich etwas länger, um alles zuzubereiten, da ich erpicht darauf war, bloß keinen Fehler zu machen. Meine Mom mochte Stephanie sehr, und ich wollte nicht, dass sie aufgrund meiner Unfähigkeit litt. Ich servierte den Damen alles, und diesmal richtig. Mit gutem Gefühl wandte ich mich zur Theke, doch blieb an etwas hängen und ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden. Im ganzen Laden war es eine kurze Zeit still, in der ich ein merkwürdiges leises schnarchen vernahm, es jedoch als Folge meines Sturzes hinnahm. >>Nichts passiert<<, meinte ich betont locker und lachte nervös. Oh Boden, tu dich bitte auf und verschlinge mich! Worüber war ich denn überhaupt gestolpert? Ich warf einen kurzen Blick nach unten, und stellte fest, dass ich über eine Unebenheit im Teppich gefallen war. Ein Hubbel! Das Treiben wurde fortgeführt, nur bemerkte ich, dass die Mädchen hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Ich rollte mit den Augen, da ich mich mental auf einen gemeinen Tweet von ihnen gefasst machte, und lief wieder in den Personalraum, um Andrew zu holen. Schon auf dem Weg da hin hörte ich wieder oder immer noch dieses Schnarchen. Ich hatte doch wohl keinen bleibenden Hirnschaden, oder? So etwas könnte auch echt nur mir passieren.
Was ich im Personalraum fand, bestätigte mir, dass ich definitiv keinen Hirnschaden hatte. Andrew war seelenruhig auf seinem Stuhl eingenickt; die Hände vor der Brust verschränkt und den Kopf in den Nacken gelegt, war er der Verursacher des Schnarchens. Ein wenig Sabber lief aus seinem Mundwinkel, und wäre ich jetzt gemein und auf Rache wegen seiner Abwesenheit gewesen, hätte ich mein Handy gezückt und ein Foto von ihm geschossen. Ich hätte schwören können, er träumte gerade von seinem neuen Auto. Bei diesem Anblick vergaß ich fast, mich in Grund und Boden wegen dieser Stolperfalle zu schämen, und ich überlegte mir wirklich fieberhaft, nicht doch ein Foto von ihm zu machen. Kurzerhand entschied ich mich dafür. Während ich mein Handy aus meiner Handtasche kramte, achtete ich sorgsam darauf, keinen Lärm zu machen, der Andrew aufwecken könnte. Bevor ich dazu kam, ein Foto zu machen, blinkte mir auf dem Display eine neue Nachricht von Evan entgegen. Automatisch schoss mir das Blut ins Gesicht; dabei war er nicht einmal im selben Raum wie ich!
Lange nicht mehr gesehen ;)
Zwinkersmileys sollten verboten werden. Dies schrieb ich ihm auch, was etwas gewagt war, was mir erst bewusst wurde, als ich die SMS bereits versendet hatte. Manchmal wünschte ich mir, man könnte Nachrichten einfach wieder zurückrufen, damit blieb einem ziemlich viele peinliche Situationen erspart. Ich starb gerade tausend Tode vor Nervosität. Meine Nachricht signalisierte ihm auf so viele verschiedene Ebenen, dass die Art, wie er Zwinkersmileys einsetzte, mich nervös machte.
Um mich abzulenken, schoss ich schnell ein paar Fotos von Andrew aus verschiedenen Perspektiven. Danach rüttelte ich ihn an der Schulter wach.
>>Was is'n<<, nuschelte er und drehte seinen Kopf von mir weg. Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. >>Wenn du bei drei nicht aufstehst, dir die Schürze umbindest, und mir hilfst, den Laden nicht vollkommen zu zerstören, schicke ich an jeden meiner Kontakte ein Bild davon, wie du im Schlaf sabberst<< Natürlich bluffte ich nur, doch es zeigte seine Wirkung. Plötzlich war er hellwach, sprang auf, und band sich die Schürze am Bauch um, anstatt um den Rücken. Er hechtete nach draußen, während er etwas murmelte, was sich so anhörte wie: >>Wie kann so viel böses in so einem kleinen Körper stecken<<.
Ich hörte, wie er die Bestellung von zwei kichernden Mädchen aufnahm, und mich plagte ein klitzekleiner Gewissensbiss. Ich aktualisierte den Chatverlauf von mir und Evan immer wieder, in der Hoffnung, dass er antwortete. Doch nichts kam. Geräuschvoll stieß ich die Luft zwischen meinen Zähnen raus und schloss kurz die Augen. Was, wenn ich ihm zu offensiv war? Das war gar nicht meine Art. Vor allem war es gar nicht meine Art, mit einem Typen anzubandeln, den ich kaum kannte. Ich hatte ein Jahr damit verbracht, um mein Herz eine unzerstörbare Mauer zu erbauen, und jetzt stieß ich auf Evan und alle meine Vorsätze und Prinzipien waren mir nichts dir nichts einfach weg?
Das Einzige, was verboten werden sollte, ist dein Lächeln. Zwinkersmiley.
Meine Hände verselbstständigten sich völlig, und tippten etwas, ohne die Einverständniserklärung meines Gehirns abzuwarten.
Hm? Da fällt mir aber noch was ein. Gedichte ans weibliche Geschlecht können ganz schön gefährlich werden. Zwinkersmiley. Senden. Verflucht sollte ich sein.