Ich würde mich wirklich über etwas Rückmeldung freuen :) Danke schon mal im voraus!
Kapitel 11
Direkt als ich sein Auto von meiner Einfahrt wegfahren sah, fehlte er mir schon. Ich schloss die Tür und musste erst einmal durchatmen. Heute war so viel passiert; ich hatte so vieles erfahren, was ich verdauen musste. Es tat mir unendlich leid, dass sein Vater schon so früh gestorben war. Neben ihm kam ich mir mit meinen Komplexen und Problemen ziemlich schwach vor, und ich nahm mir vor, mich selbst nicht mehr
so zu bemitleiden.
Da erst kurz nach sechs war, beschloss ich, mit meinem Fahrrad in die Stadt zu fahren, und das Foto ausdrucken zu lassen. Ich schrieb Celeste und fragte sie, ob sie zufällig noch ein paar Weihnachtseinkäufe zu erledigen hatte. Ihre Antwort kam buchstäblich in der selben Minute, sie sagte mir zu. Darüber freute ich mich ungemein, denn ich wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte. Ich schnappte diesmal meine Jacke, denn ich wollte nicht als riesiger Eiszapfen bei Celeste ankommen. Unser Treffpunkt war vor der Mall, wo es einen Automat zum Foto ausdrucken gab. Es herrschte viel Verkehr und es war rutschig auf der Straße, vielleicht war es ja doch keine so gute Idee mit dem Fahrrad zu fahren. Ich gab mir größte Mühe, dass es mich nicht noch einmal hinlegte. Sonderlich Lust auf Der große Fall der Lilly Wallace, die Dritte hatte ich nicht. Bei meiner Trefferquote konnte es gut sein, dass jemand meine Stürze zusammenschneidete, mit witziger Musik unterlegte und als Compilation auf Youtube postete. Fast musste ich kichern bei dem Gedanken, irgendwie wäre das ja schon ein bisschen witzig.
Ohne noch einmal hinzufallen kam ich, zum Glück, unversehrt vor dem Einkaufszentrum an. Celeste wartete mit zwei Bechern in der Hand schon auf mich. Sie begrüßte mich mit einer Halbumarmung, bei der sie ihre beiden Hände so weit wie möglich von meinem Körper fernhielt. Nachdem sie mir den Becher übergeben hatte, bedankte ich mich bei ihr. Es war Kakao, genau das Richtige für diese kalte Jahreszeit. Ich hielt ihn mir vors Gesicht, um es ein wenig zu wärmen.
>>Für wen brauchst du noch Geschenke?<<, fragte sie, während wir durch die automatischen Türen das Einkaufszentrum betraten. Es war voll mit Menschen, die alle noch nach Last-Minute Geschenke suchten. Wir liefen in Richtung Drogerien, wo sich der Fotoautomat befand.
>>Oh, eigentlich nur für Evan, du weißt ja, meine Eltern sind noch in Irland auf ihrer Fortbildungsreise<< Sie spuckte fast ihren Kakao aus. >>Immer noch?<< Ich nickte.
>>Mein Vater ist immer noch sehr krank und kann nicht reisen.<< Sie strich mir mitfühlend über den Arm. >>Wie geht es dir damit?<<
Ich seufzte und ließ die Schultern hängen. >>Es geht. Klar bin ich nicht froh drüber, aber es ist bestimmt echt seltsam alleine Weihnachten zu feiern.<< Das meinte ich auch so. Ich war ein sehr auf Traditionen bedachter Mensch, und wenn ich mir einen Weihnachtsabend alleine vorstellte... wenigstens hatte ich ja einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Und was hatte ich vorhin beschlossen? Kein Selbstmitleid mehr.
>>Das wird bestimmt. Ich würde zu dir kommen, aber du kennst ja meine Mom...<< Allerdings. Ihre Mom war ein sehr... spezieller Mensch. Sie war die Art von Mutter, die anderen Müttern das gute Zeugnis der Kinder unter die Nase rieb. Die Art von Mutter, die ganz begeistert den eigenen Sohn zum Football drängt, obwohl sie genau weiß, dass er lieber tanzen würde. Und die Art von Mutter, die ihre Kinder an den drei Weihnachtstagen nirgendwo hin ließ, da Weihnachten ein geheiligtes Fest war und man es nur mit der Familie verbringen solle.
>>Das ist gar kein Problem, wirklich<<, versicherte ich ihr, denn mir war klar, dass sie Weihnachten mit jedem anderen als ihrer Familie verbringen wollte.
>>Wie geht es dir eigentlich?<<, fragte ich sie beim Eintreten in eine Drogerie. >>Ich meine, vor allem nach der Sache mit...<< Ich wagte kaum, seinen Namen auszusprechen, da ich genau wusste, dass er dünnes Eis war.
>>... wegen der Sache mit der Arschgeige, meinst du wohl?<<, beendete sie meinen Satz, und ihre Bemerkung brachte mich zum Lachen. Auch auf ihr Gesicht war ein Lächeln gezaubert; das freute mich ehrlich, denn es war echt. Um ihre blaue Augen bildeten sich Lachfältchen. Ich nickte.
>>Ich weiß nicht mal mehr seinen Namen, jetzt mal ernsthaft<<, sagte sie, und machte mit ihrem Zeigefinger an den Lippen eine Denkerpose.
>>Brauchst du auch nicht<<, prustete ich. Wir kamen an dem Fotoautomaten an, und ich verband es per Bluetooth mit meinem Handy, um das Foto rüberzuziehen.
>>Moment, ist das das Foto von eurem ersten Date? Was du auf dem Berg im Wald geschossen hast?<<, ich nickte, und schmunzelte innerlich über ihre Fähigkeit, sich solche Details merken zu können.
>>Das ist so gut, Lilly. Also ehrlich, wenn er sich darüber nicht freut, wüsste ich nicht, was ihn sonst glücklich machen könnte. Obwohl, eine Sache fällt mir da schon ein<<, sagte sie augenzwinkernd und ich stieß ihr in die Seite, da direkt hinter uns eine alte Frau wartete, und ich mir gut vorstellen konnte, dass sie alles gehört hatte. Eine peinliche Röte schlich sich auf meine Wagen, nichtsdestotrotz musste ich schmunzeln. Celeste war wirklich dazu in der Lage, aus jeder Situation etwas zweideutiges rauszuholen. Nachdem ich das Foto ausgedruckt, und einen schlichten weißen Rahmen dazu gekauft hatte, gingen wir in Richtung Spielwarengeschäfte.
>>Ich brauche noch ein Pseudogeschenk für Gideon<< Gideon war ihr kleiner 12-jähriger Bruder.
Ich runzelte die Stirn. >>Was ist ein Pseudogeschenk?<< Sie winkte ab. >>Das ist das Geschenk, was unter dem Weihnachtsbaum liegen wird. Vorzeigbar halt<<, erklärte sie.
>>Aha<<, sagte ich und dehnte es wie Kaugummi. >>Und was ist dann sein richtiges Geschenk?<<
>>Ballettschuhe<<, sagte sie, und zuckte die Schultern. >>Sein Pseudo-Geschenk werden Football-Handschuhe<< Natürlich. Jetzt machte es auch bei mir Klick. Es tat mir weh, dass sie versuchte, ihre Niedergeschlagenheit mit dem Schulterzucken zu überspielen. Es musste schwer für sie sein, dass ihre Mutter ihren Bruder nicht so sein lassen wollte, wie er eben war. Auch mich machte das ein wenig wütend, auch wenn es mich nicht wirklich betraf. >>Ich verstehe. Willst du drüber reden?<<, fragte ich, obwohl ich mir eigentlich sicher war, dass sie nicht darüber reden wollen würde. Sie redete so gut wie nie über ihre Familie.
>>Nein, aber danke. Entschuldige, hätten Sie die auch in Größe 38?<< Sie richtete sich an eine Verkäuferin, und hielt dabei ein Paar rosa Ballettschuhe in die Höhe.
Als ich wieder daheim ankam, schmückte ich den Weihnachtsbaum fertig. Es fühlte sich wie eine Arbeit an, und machte nicht einmal richtig Spaß. Ich wusste, Selbstmitleid brachte nichts, aber das war das erste Weihnachten ohne meine Eltern. Das war der einzige Feiertag, an dem ich mir immer sicher war, dass sie ihn mit mir verbrachten, da sie ja sonst von ihrer Arbeit sehr eingespannt waren. Nach dem ich den großen Stern an die Spitze des Baumes befestigt hatte, bemerkte ich die Uhrzeit.
Auf dem Weg zu meinem Schlafzimmer nahm ich von der Lampe Notiz, die Evan und ich im Eifer des Gefechts kaputt gemacht hatten. Ich holte einen Handbesen aus unserer Abstellkammer, und hoffte, dass meinen Eltern die Lampe nicht allzu wichtig war. Ich fegte die Einzelteile auf, und wurde währenddessen immer müder. Da es schon sehr spät war, und ich ohnehin nichts mehr zu tun hatte, legte ich mich ins Bett.
Kurz bevor ich einschlief, bekam ich eine Nachricht von Evan, in der er mir eine gute Nacht wünschte.