Jackie beschloss, eine Weile in ihrem Dorf zu bleiben. Sie wollte das Haus ihrer Eltern wieder herrichten, das in den Jahren verfallen war. Und vor allem würde sie den Dorfbewohnern auch ihre Geschichte erzählen.
Nachdem sie sich einige Tage lang vergewissert hatten, dass es der Werwölfin dort gutgehen würde, zogen die drei anderen weiter. Sie flogen zum Wald der Seen, wo sie jedoch nur eine Handvoll Mondhörner trafen. Königin Kea war offenbar im Schattenreich.
»Ich muss sie finden«, sagte Stella entschlossen. »Aber wenn ihr mich nicht begleiten wollt …«
»Ich habe nichts anderes zu tun«, sagte Askook. Er wollte sich zwar lieber im Sonnenland umsehen, doch alleine würde er sich zu unwillkommen fühlen. Es war besser, sich gebraucht zu fühlen.
»Und ich sollte sowieso irgendwann nach Hause … Lasst uns die Mondhörner suchen!« Naja grinste schon wieder auf diese Weise, die klarmachte, dass er davonlief.
Somit flogen sie über die ehemalige Grenze. Über der Pforte von Umira sahen sie das neue Schloss wachsen. Von Askooks Rücken aus winkte Naja hinab, doch sie wussten nicht, ob überhaupt jemand sie gesehen hatte.
Die Nachricht, dass der Krieg vorbei war, hatte sich noch nicht überall verbreitet. Im Schattenland waren sie besonders vorsichtig – doch auf beiden Seiten gab es Sturköpfe, die nicht hören wollten, dass der Konflikt vorbei sei.
In den Bergen suchten sie die vielen Höhleneingänge ab, bis ihre Anwesenheit schließlich bemerkt wurde. Rait fand sie eines Morgens in ihrem Lager vor.
»Wie schön, euch zu sehen! Askook – es ist schön, dich endlich kennenzulernen.«
»Ich habe schon viel von euch gehört.« Er lächelte.
Die Mondhörner waren zierlich, gerade im Vergleich zu Stella. Rait schien sich in einer Art Übergang zu befinden. Sein Fell war weiß-schwarz gefleckt, wie kühlender Schnee über einem Aschefeld, und sein Horn hatte eine rotgoldene Farbe.
»Leider können wir uns nicht in den Hallen treffen«, fuhr das Mondhorn fort. »Die Gänge sind zu eng für einen Sonnenlanddrachen. Aber wenn ihr mich ein Stück begleitet, wird die Königin euch in einer der äußeren Hallen empfangen.«
Diese ‚Hallen‘ waren nicht mehr als natürliche Höhlen, in diesem Fall eine, die groß genug war, dass Askook sich bequem aufrichten konnte, nachdem er sich durch den Eingang gequetscht hatte. Die Königin der Mondhörner trat wenig später aus einem Zugangstunnel.
»Kinder der Sonne … Ich hoffe, es ist ein gutes Zeichen, dass ihr in geringerer Zahl hier erscheint. Stimmen die Gerüchte? Habt ihr gewonnen?«
»Meine Königin.« Naja verbeugte sich formvollendet. »Ich weiß natürlich nicht, welche Gerüchte es bereits in diese Landstriche geschafft haben – doch es stimmt. Wir haben gewonnen, der Krieg ist vorbei.«
»Ich … ich kann es kaum glauben«, flüsterte das kleinere Einhorn. »Nach all den Jahrhunderten …«
»Vieles wird sich jetzt ändern.« Stella trat vor. »Es gibt auch keine Königin von Licht oder Schatten mehr. Stattdessen hat Terzabrax diese Aufgabe übernommen – Terziel und Abarax.«
Kea legte den kleinen Kopf schief. »Ich vermute, es gibt einiges zu erzählen.«
Und das gab es. Sie sprachen einen vollen Abend lang, bis weit in die Nacht hinein, sodass sie selbst in der windgeschützten Höhle ein Feuer entzünden mussten.
Askook hörte einiges davon selbst zum ersten Mal. Er musste sich darüber wundern, wie viel seine Freunde ohne ihn erlebt hatten. Doch als es um den Verrat der Königin ging, und dann um ihr Vermächtnis und Erbe, konnte er Najas und Stellas Erzählung unterstützen. Keas Blick wurde derweil immer bestürzter.
»So kann man sich täuschen«, murmelte die Königin am Ende einer langen Erzählung. Das Feuer war beinahe heruntergebrannt. »Selbst ich habe diese Wahrheit nicht sehen können.«
»Aber Ihr habt viel gewusst«, sagte Stella. »Diese neue Welt könnte Euer Volk brauchen, Kea.«
»Du bist mit einem Angebot hier, Stella Cantici.« Die Königin neigte den Kopf.
»Ihr könntet als Palastgarde zu Terzabrax und mir kommen.« Das Sternhorn unterbreitete das Angebot behutsam. »Wir denken, als wandlungsfähige Wesen versteht ihr beide Seiten und könnt helfen, einen neuen Frieden zu schmieden, der Licht und Schatten bedenkt.«
»Ich kann dir noch keine Antwort geben«, sagte Kea. »Zu lange haben sich die Mondhörner im Verborgenen versteckt. Mein Volk will sicherlich in die Freiheit zurück. Sie sehnen sich danach, im Sonnenlicht über die Wiesen zu galoppieren. Das wurde ihnen zu lange verwehrt …«
»Ich möchte euch keinesfalls eine neue Pflicht auferlegen«, sagte Stella rasch. »Ihr könnt immer noch später zu uns kommen – oder nie.«
»Wir schulden euch diese Freiheit. Wir werden sicher kommen.« Kea sah auf. »Wie wäre es, wenn du meinem Volk deine Geschichte erzählst? Lade sie ein, Sternenlied. Dann werden sie mit dir gehen.«
»Selbst wenn nicht – ich würde gerne etwas Zeit mit den Mondhörnern verbringen.« Stella stimmte sofort begeistert zu. »Wie wäre es, wenn ich ihnen die Freiheit der Wiesen im Sonnenschein zeige?«
Kea hatte nichts dagegen. Dann jedoch wandte sie sich an Najaxis. »Dich würde ich gerne einladen. Aber ich spüre, dass eine Aufgabe vor dir liegt. Eine, vor der du dich sehr fürchtest.«
»Ich muss nach Hause«, bestätigte der Inkubus. »Aber mir wären tausend Kämpfe gegen die wahnsinnige Königin lieber.«
Kea trat neben den sitzenden Naja und legte ihren Kopf gegen seine Schulter. »Fasse Mut, Najaxis. Du bist nicht mehr die Fruchtfliege, die damals fortlief.«
»Sie hassen mich dort«, erwiderte er leise.
»Du bist stark genug, um das zu ertragen. Geh heim.«
Askook bewegte sich leise. »Ich kann mit dir gehen, Naja.«
Der Inkubus nickte langsam. »Ja. Ich kann mich wohl nicht länger davor drücken.«