Der Hof auf den Hügel des Sonnenland lag im hellen Sonnenschein. Die Weiden waren voller Schafe, die Äcker waren bestellt und die Wege frei von Unkraut. Ein Bild des Friedens, das freilich in Bewegung geriet, als Askook näherkam.
Die Schafe hatten immer noch Angst vor dem großen Drachen, obwohl er ihnen nie etwas getan hatte. Es war ein Instinkt.
Wie Wolken stob die Herde über die Hügel. Askook machte einen Schlenker, bremste aus und landete geschickt zwischen dem Haus, der Scheune und dem Brunnen.
Inzwischen beherrschte er den Flug der Sonnenlanddrachen perfekt.
Während er den Kopf drehte, um die Körbe abzustellen, erklangen Schritte. Najaxis kam aus der Hütte.
»Auch ins Lager?«
»Wenn du noch Platz findest?« Askook setzte Korb um Korb ab. Diese rochen nach frischen Broten, Obstsorten, die im Sonnenland schwer zu bekommen waren, und sogar Fleisch.
Naja bekam bald Hilfe von Jackie und Terzabrax. Der neue Wächter der Welt hatte sich persönlich nach Mîm begeben und die Geschäfte solange Maruscha und Nejakai überlassen. Sonnen- und Schattenland würden schon eine Weile ohne ihn aushalten.
Es gab immer kleinere Konflikte und Krisen. Iljan und Cary regierten ihre jeweiligen Länder inzwischen fest nach den Gesetzen der zweiten Chance. Fast jeder erhielt so eine, solange sein Verbrechen nicht zu schwerwiegend war. Verwirkte man diese Strafe jedoch, zeigten die beiden neuen Könige ihr zweites Gesicht.
Cary hatte ihre kriegerische Ader niemals verloren. Wenn es sein musste, konnte sie grausame Strafen verhängen. Wenn ein Todesurteil vollstreckt werden musste – was glücklicherweise selten vorgefallen war – dann führte sie es selbst durch. Dazu war nicht einmal Iljan fähig, der die Elfe für solche Fälle ins Schattenland rief.
Iljan verhängte diese Urteile jedoch auch, wenn es Not tat. Er duldete nicht, dass jemand diese neue Welt bedrohte. Zum Glück genügte die zweite Chance oft, oder eine Strafe, die zu tieferer Einsicht führte. Viele Wesen lernten, den alten Hass loszulassen und die neue Welt zu umarmen. Nicht alle, aber doch viele.
Hinter dem Haus waren Vampir und Elfe gerade dabei, den Tisch zu decken.
»Es werden irgendwie jedes Jahr mehr Nahrungsmittel«, schimpfte Cary. »Man sollte meinen, der Hof wirft an sich schon genug ab!«
»Das kurbelt die Wirtschaft an«, erwiderte Iljan. »Die Händler machen signifikant mehr Umsatz, wenn unser Treffen naht.«
»Das liegt nicht an unseren Festen«, widersprach Cary gereizt.
»Das ganze Land feiert unser Fest.« Iljan grinste. Er zog die Elfe zu sich heran und küsste sie so lange, bis Gudrun aus der Hütte trat. Die Hexe schwankte unter einem Korb mit Maiskolben und einem Teller mit Steaks.
»Wo ist Stella schon wieder?«, brummte sie.
Iljan und Cary fuhren auseinander.
Gudrun kicherte, weil es ihr gelungen war, die beiden zu erschrecken.
»Sie hat den Grill im Tal aufgebaut.«
»Direkt beim Löschwasser, ich verstehe.« Gudrun machte einen Bogen um die geschwärzte Stelle, die noch vom letzten Jahr geblieben war, und ging hinunter. Es dauerte nicht lange, und der Geruch von bratendem Fleisch stieg auf. Iljan und Cary deckten die Tafel weiter und Askook half Jackie, die Stühle hinzustellen. Naja und Terzabrax hatten schließlich die neusten Vorräte untergebracht.
Don’t be afraid.
Lift off and in.
(In your darkest hour, learn to shine!)*
Die Nacht senkte sich über das Land. Die Vogelrufe wurden durch das Lied der Fledermäuse abgelöst, die aus den Wäldern kamen. Grillen zirpten im dichten, hohen Gras, das taufeucht roch. Die Schafe trotteten in ihre Ställe, nur noch gelegentliches Mähen kündete von den Tieren. Glühwürmchen stiegen aus den Büschen. Die Kinder der Sonne entzündeten Kerzen auf dem Tisch und verteilten das Essen. Sie waren heute allein. Nejakai, Maruscha, Relabai und viele andere Freunde besuchten sie gelegentlich, aber meistens hielten sie dieses eine Essen im kleinsten Kreis ab.
Kerzen beleuchteten die Teller mit Speisen aus dem Sonnen- und Schattenland. Sterne spiegelten die gedeckte Tafel am Himmel. Es war das Jubiläum jenes Tages, an dem sie die Grenze zum ersten Mal überwunden hatten.
Während die Sonne sank, warteten sie nur noch auf die letzten beiden Gäste.
»Na also!«, rief Iljan, als zwei Personen aus dem Haus traten. Merkanto ging vorne und trug einen großen Kuchen in beiden Händen. Er hielt an, als die wartenden Kinder der Sonne spöttisch applaudierten, und schüttelte dann mit einem amüsierten Schmunzeln den Kopf.
»Na los – wir haben Hunger!« Gudrun schlug mit dem Messergriff auf den Tisch. Najaxis, der besagte Hand gehalten hatte, jaulte vor Schreck auf und die Hexe entschuldigte sich eilig mit einem Kuss.
Merkanto stellte den Kuchen ab. In seinem Schatten war der rote Drachling herangetreten, der als einziger Gast zu ihrem Essen gehörte.
Auf seine Weise war Kendreek einer von ihnen, obwohl er niemals die Gelegenheit gehabt hatte, mit ihnen zu reisen. Doch er hatte den gleichen Traum gehegt und ihn niemals aufgegeben. Nachdem Askook schließlich zu Terzabrax zurückgekehrt war, hatte er den Drachling gemeinsam mit Merkanto gesucht. Es war nicht leicht gewesen, aber schließlich hatte Merkanto sein Versprechen einlösen können. Kendreek war einer der ersten gewesen, die ins Sonnenland ziehen durften.
Hierher. Wo auch Askook lebte. Ihre Heimat.
Der Magier und der Drachling schnitten den Kuchen gemeinsam an. Während sie ihn verteilten und die Kinder der Sonne lauthals darüber stritten, wer das größte Stück bekam, betrachtete Askook die Szene von oben.
Jahre waren vergangen, doch die Kinder der Sonne waren geblieben. Ihre Freundschaft, geschmiedet im Feuer der Abenteuer, war in Friedenszeiten unzerbrechlich. Egal, wie laut gestritten wurde – sie waren eine Familie. Nichts würde das noch ändern.
Dieser Hof war ihr Rückzugsort. Einmal im Jahr kamen sie alle zusammen, doch auch sonst kam immer mal wieder jemand vorbei. Wenn sie Erholung vom Regieren brauchten oder hofften, sich hier beraten zu können. Kendreek führte den Hof, Askook half ihm. So war ihre friedliche Heimat niemals völlig verlassen. Cary herrschte im Sonnenland mit Gudrun und Nejakai an ihrer Seite, Iljan im Schattenreich mit Merkanto. Terziel, Stella und die Mondhörner bewachten die Grenze, während Jackie - nun ein fester Teil von Maruschas Rudel - die Lande durchstreifte und Verbrecher jagte. Sie waren die 'Schildwacht', welche den Frieden beschützte.
Der Drache lauschte dem Gelächter am Tisch. Sie aßen und aßen, redeten, scherzten, erzählten von den Abenteuern des letzten Jahres und schwelgten in Erinnerungen.
Irgendwann, als sie alle vollgefressen waren, lagen sie im kühlen Gras und starrten in die Sterne hinauf. Jackie legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Heulen aus, in das der Rest zwischen Kichern und Gelächter mit einfiel, bis sie alle nach oben schrien. Am Himmel schien ein Vollmond, dessen Macht sie nicht mehr berührte.
Ein Mond, der voll und ganz ihnen gehörte.
Set the World on Fire.
(Don’t be afraid.)
You are light.
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*»You are Light«, Thomas Bergersen feat. Felicia Farerre
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!