Auf seinem Weg zum Schloss der Sonne traf Askook auf einen anderen Sonnenlanddrachen, der ihm verraten konnte, dass Cary noch gar nicht im Palast war. Zwar hatte sie schon Anweisungen geschickt, sowie eine Elfengarde, um alles für ihren Einzug vorzubereiten, doch sie war noch immer in Ynmerie.
Askook flog zu den fliegenden Felsen und dann hinab über die Baumwipfel, die in ewigem, blaugrünem Zwielicht schimmerten.
Letztendlich fand er am Waldrand eine Gruppe Elfen, die ihn herabwinkten.
»Askook?«
»Ja«, erwiderte er überrascht. »Schickt Caryellê euch?«
»Wir haben gehört, dass du sie suchst.« Der Trupp schien aus Jägern zu bestehen. »Sie ist nicht weit entfernt.«
Cary saß auf einer Lichtung, wo eine umgestürzte Trauerweide lag, ein mächtiger, wohl uralter Baum, den ein heftiger Sturm entwurzelt haben musste. Das hübsche Blattwerk war längst zerfallen, doch der Stamm war noch dort.
Neben dem Baum erhob sich ein Grabmal, und vor diesem saß Cary im moosigen Gras.
Sie sah verändert aus. Zwar trug sie wieder ihre alte Frisur, den Sidecut, wenn man davon absah, dass sie eine dickere, geflochtene Strähne auf der rasierten Seite hatte, doch sie wirkte sehr viel jünger und … weicher. Askook begriff im Näherkommen, dass es an ihrer Kleidung lag. Er hatte Cary noch nie in einem Kleid gesehen.
»Hallo Askook. Ihr macht euch doch keine Sorgen um mich, oder?«
»Nein. Ich bin gerade dabei, alle zu besuchen.« Immerhin hatte er selbst keine Heimat, in die er zurückkehren konnte. Es schein, als hätte er endlich jene Freiheit erhalten, die er sich als Schlüpfling gewünscht hatte.
Doch Freiheit war auch einsam.
Er setzte sich vorsichtig auf die Lichtung. »Iljan lässt dich grüßen. Er hat irgendetwas vorgeschoben von wegen, dass ihr euch als neue Herrscher der Länder monatlich treffen und absprechen solltet, Friedensverträge braucht, aber wir kennen ihn ja beide.«
Cary lächelte wehmütig. »Er hat ein gutes Herz. Ich weiß nicht, wieso er es ausgerechnet mir schenken will.«
Askook musterte sie. »Du magst ihn doch auch?«
Cary nickte. Dann deutete sie nach vorne. »Ich habe dieses Denkmal für Adhairos errichten lassen. Früher dachte ich, Elfen könnten nur ein einziges Mal im Leben lieben. Und es stimmt. Mein Herz hätte für immer Adhairos gehört. Doch als Iljan mich verwandelt hatte … als ich ein Vampir war – da war das plötzlich anders.«
Askook legte den Kopf schief.
»Ich musste aber noch einmal zurück. Nach Adhairos‘ Tod hatte ich mein Herz verschlossen. Es war wie eine Wunde, die niemals heilen konnte.« Cary stand langsam auf und strich Gras von ihrem Kleid. »Du bist rechtzeitig gekommen, mein Freund. Nun ist es eine Narbe.«
Sie klopfte auf seine Schulter. »Wie geht es Iljan? Wie geht es ihnen allen?«
Askook berichtete ihr von Iljans Maßnahmen, von Najas und Jackies Heimkehr, von Stellas Mission, die Mondhörner zu rekrutieren, während Cary ihn tiefer in den Wald zu einem Elfenlager führte, das aus Zelten aus gewobenem Gras bestanden.
»Es scheint ja alles gut zu laufen. Wusstest du, dass sogar Dayr zurück ist?«
»Dein ... Reithirsch?« Den hatte er nie persönlich getroffen.
Cary nickte. »Freilich weiß ich nicht, ob ich ihn noch einmal treffen werde. Er ist eine Art Naturmacht dieses Waldes. Eine Seele des Waldes, wie eine alte Gottheit. Mein Vater hat mir erklärt, dass ein weißer Hirsch niemals wirklich sterben kann. Er kam zu mir, als ich ihn brauchte, doch außerhalb seiner Heimat wurde Dayr schwächer. Er wird sich erholen und wieder im Zwielicht unter den Stämmen auftauchen.« Sie seufzte. »Was ich eigentlich sagen will, Askook ... es gibt einfach so viele Wunden, die heilen. Ich kann es immer noch nicht ganz glauben.«
»Neue Welt, neues Glück«, murmelte er. »Ich denke, wir haben uns das verdient.«
»Ich hoffe nur, wir kriegen das hin. Wir haben eine gewaltige Aufgabe geerbt.« Cary seufzte. »Zum Glück kenne ich mich mit Diplomatie aus – ich werde sie brauchen.«
»Iljan hat ebenfalls Ahnung davon, was er macht«, warf Askook beruhigend ein. »Wir haben ein perfekt geeignetes Königspaar. Und Terzabrax ist mächtig.«
Cary sah zum Himmel auf und nickte langsam. »Es wird wohl Zeit, dass ich mich um mein Land kümmere.«
»Bist du denn bereit?« Er sah zurück zur Lichtung.
Die Elfe folgte seinem Blick. »Es ist noch ein Prozess. Aber ich muss nicht mehr hier bleiben, um wieder zu mir zu finden.« Sie klopfte ihm gegen die Schuppen. »Was sagst du, mein Freund? Erzähl mir von Iljan und morgen fliegen wir zum Schloss.«
Askook nickte. »Also gut. Iljan hat schon mal den Innendesigner in sich entdeckt …«
Sie wollte jedes Detail wissen, egal, wie unwichtig es erschien. So erzählte Askook einige Stunden von den anderen Kindern der Sonne, hauptsächlich von Iljan, aber auch vom Rest.
Cary machte wirklich einen ganz anderen Eindruck. Sie wirkte gelöst und glücklich, obwohl er eine tiefe Schwermut wahrnahm, die wohl nicht so bald verschwinden würde. Doch Cary schien einen unsichtbaren Panzer abgelegt zu haben.
Offenbar hatte sie die richtige Wahl getroffen, als sie für eine Weile zurückgekehrt war.
Schließlich kam er auch darauf zu sprechen, dass sie sich regelmäßig mit allen treffen könnten. Wie erwartet war Cary dafür.
»Ich glaube, unsere Gruppe ist durch so viele Abenteuer zusammengeschweißt worden, dass dieses Band niemals reißen kann. Ihr seid mir ebenso wichtig wie meine leibliche Familie.« Da lag ein zauberhaftes, weiches Lächeln auf ihrem Gesicht. Die Kriegerin hatte den Krieg hinter sich gelassen.
Fly…
You know you can.
You can go high.
(Higher than the boundaries of the sky!)
Don’t be afraid.
Lift off and in.
(In your darkest hour, learn to shine!)*
------------------------------
*»You are Light«, Thomas Bergersen feat. Felicia Farerre