"Es kann so nicht weitergehen", murmelte Vince, während er am Steuer stand und das Salzwasser ringsherum überblickte. Gleichmäßig zogen dessen Wellen gen Osten und trugen so zusammen mit dem Wind das Segelschiff weiter. Schon seit Tagen waren sie auf See unterwegs, doch keinen einzigen Wal hatten sie entdeckt. Auf den Gesichtern der Crew zeichnete sich zunehmend der Stress ab. Wenn sie nicht bald etwas an Bord zogen, konnten sie mit mehr als bloßen Lohnkürzungen rechnen. Da halfen auch die vielen Kartenspielrunden nicht, die Stimmung zu lockern. Sie mussten hoffen. Warten und hoffen, dass sie etwas fanden.
Es musste kurz vorm Sonnenuntergang gewesen sein, als Harvey plötzlich rief: "Hey, da hinten ist etwas!" Sein Deut ging in Richtung Nordosten, als er aufgeregt zu seinen Kollegen an Deck blickte.
Vince kniff die Augen zusammen und sah übers Meer. Zwischen all diesen Wellen ... war etwas anders. Ein seltsam gefärbter Fleck, er war ... rot. Rötlich, ja. Ohne weiter darüber nachdenken zu müssen, lenkte er das Schiff in genau diese Richtung.
Je weiter sie kamen, desto deutlicher wurde der Fleck, der sich als blutfarben offenbarte. Und inmitten dieses gefärbten Wassers trieb ein Schatten, welcher sich beim Erreichen der Stelle als Wal herausstellte. Ein einzelner, verletzter Wal trieb dort. In alle Richtungen sah die Crew sich um, doch nirgends konnten sie Artgenossen des verletzten Meeressäugetieres ausmachen. Nur dieser Einzelne war dort. Das war besser, als nichts.
So machten sich Vince und zwei seiner Kollegen auf zu den Harpunenwerfern, welche an einer Erhöhung in der Mitte des Schiffs verteilt standen. Sie richteten die etwa zwei Meter langen Maschinen auf das treibende Tier und schossen, einer nach dem anderen. Die Widerhaken der Harpunen stießen mit einem Klang durchs Fleisch, das so manchem Laien die Galle hätte hochkommen lassen. Der Wal jedoch reagierte nicht. Vielleicht war er bereits tot. Dies würden sie wohl gleich erfahren. Doch selbst, wenn dem so war, so konnte die Crew nicht sagen, dass sie mit leeren Händen zurückkamen. Vielleicht würde ihr Vorgesetzter dann wenigstens einmal noch Gnade walten lassen in diesem unbarmherzigen Geschäft.
"Drei, zwei, eins, ziehen!", rief Vince. Damit wurden die Seile an den Harpunen eingezogen und der Wal verließ langsam das Wasser.
Als das Tier an Deck war, begann man, es genauer zu inspizieren. Mit einem metallenen Knall sprang Vince von der Erhöhung und marschierte zum regungslosen Wesen. Zwar war er durchaus erleichtert, dass sie endlich etwas an Deck gezogen hatten, doch stand immer noch die Anspannung auf seinem Gesicht geschrieben.
"Wie sieht's aus", fragte er, "ist das Fleisch noch frisch?"
Doch als er sah, wie seine Männer nicht darauf antworteten, sondern lediglich auf den Kadaver starrten, zog er in seinem aufkommenden Missmut die Augenbrauen zusammen und stieß zwei seiner Kollegen beiseite, um einen besseren Blick auf eine der Wunden zu haben. Der sonst so oft erlebte Geruch nach Fisch und Eisen blieb aus.
"Was zum ..." Das war kein Fleisch. Es war nicht mal ein Wal. Vor ihm lag lediglich ein künstliches Gebilde, das auf den ersten Blick so aussah, als sei es echt, sich jedoch auf dem zweiten Blick bloß als ein Werk aus einer Art Fleischersatz und roter Lebensmittelfarbe enttarnen ließ. Noch bevor Vince seiner Wut freien Lauf lassen konnte, öffnete sich mit einem Zischen etwas am Rücken des falschen Tieres.
"Meine Güte, das hätte mit den Harpunen echt ins Auge gehen können. Ein Glück, dass wir das hochwertigere Boot genommen haben", erklang aus dem Inneren des unechten Wals eine hallende Männerstimme. Keine Sekunde später streckte ein Mann mit blondem Ziegenbart seinen Kopf aus der Öffnung. "Hallo miteinander", begrüßte er sie grinsend. Dann richtete er eine AK-47 auf die Männer.
"Was- was wollen sie?!", stotterte einer von Vinces Kollegen.
"Nun ... ich möchte euch daran hindern, weiterhin Wale zu jagen. Das ist alles. Nun, fast alles." Mit diesen Worten sah er hinab ins Innere des als Wal getarnten U-Boots. "Bist du mal fertig?", rief er und kurz darauf kam sein Mitsasse aus dem Ding geklettert. Auch er war bewaffnet, allerdings mit einer .44 Magnum, die er spielerisch in seiner Hand wog.
"Und was ist das andere?", fragte Vince gereizt.
"Wir nehmen euch gefangen", verkündete der Mann mit der Magnum dunkel.
"Und dann?"
Nach einigen Sekunden des Schweigens schmunzelte der ziegenbärtige Mann. "Wollen wir mal nicht so sein. Euch sagt doch sicherlich der Handel mit Organen was?"
Nun schlug Vince mit der Faust gegen das falsche Fleisch des U-Boots. "Verarscht uns nicht, ihr Bastarde! Was. Zum. Fick. Wollt. Ihr. Mit. Uns. Tun?!"
Der blonde Mann mit Bart schüttelte den Kopf. "Das habe ich doch gerade gesagt. Ist kaum etwas anderes, was ihr tut, nicht? Also, alle in einer Reihe aufstellen!"
Neben den Betroffenen selbst sollte nur das Meer wissen, was als nächstes geschah.