„Oh, wie vornehm“, murmelte Hildrun, als ihr Gunnar die Tür zum Restaurant „Fröhlicher Winzer“ öffnete. Während der Mann an ihrer Seite sich freute, dass sie die Höflichkeit dieser Geste bemerkte, waren es doch mehr die festlich eingedeckten Tische und dezente, weihnachtliche Dekoration, die sie meinte.
Ein freundlich dreinblickender Kellner in schwarzen Hosen und weißem Hemd steuerte direkt auf die beiden neuen Gäste zu: „Schönen guten Abend.“
„Guten Abend“, übernahm Gunnar das Gespräch mit dem Kellner. Auch wenn er natürlich schon sehr oft essen war, die Situation machte ihn sichtlich nervös. Es war nicht nur die besondere Lokalität, es war vor allem der erste Abend mit Hildrun. Er schätzte sich so glücklich, denn ganz offensichtlich hatten sowohl er als auch Hildrun sich in einer der berühmten elften Minute verliebt. Gleichzeitig. Und ineinander. Jetzt wollte er alles richtig machen, denn wer konnte schon sagen, wann diese elfte Minute wieder ins Leben hineingeschneit kommt. Daher wählte er dieses edle Restaurant aus.
„Sie sind Gunnar und Hildrun?“ mutmaßte der Kellner nach einem kurzen Blick in das Reservierungsbuch.
„Ja!“ bestätigte Gunnar und griff nach Hildruns Hand.
„Wir haben Ihnen unseren schönsten Tisch heute Abend freigehalten, bitte folgen Sie mir.“ Sie hefteten sich an des Kellners Fersen, denn der bewegte sich flott durch das Restaurant, auch wenn es gar nicht so schnell wirkte. Immer noch freundlich lächelnd half er sogar Hildrun mit dem Stuhl.
„Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, bestellten Sie unser Spezial-Wintermenü, oder?“
Wieder bejahte Gunnar und der Kellner wiederholte nur kurz: „Das Spezial-Wintermenü für Paare.“ Lächelnd verschwand er Richtung Küche.
Hildrun begann die Konversation mit lobenden Worten über das Restaurant und dass sie noch nie so charmant ausgeführt wurde. „Ja“, dachte Gunnar, „es sollte auch wirklich besonders werden.“
Keine fünf Minuten später brachte der Kellner einen Gruß aus der Küche. Sah die dekorierende Petersilie etwa aus wie eine winkende Hand? Die hatten ja Humor, aber das Restaurant heißt ja auch Fröhlicher Winzer.
Schon wenig später nahm der Kellner das inzwischen leere Porzellan mit und kam mit zwei Suppentassen und zwei Gläsern Wein zurück. „Wer von Ihnen beiden mag es etwas pikanter?“ Hildrun meldete sich. Die Suppen sahen gleich aus, doch an dem Wein, der daneben abgestellt wurde, konnte man Unterschiede sehen. Der Kellner, allwissend und immer noch lächelnd, verschwand wieder, und Gunnar berichtete, dass es ein Abend voller Überraschungen sein solle.
Beide hatten gerade einen Löffel im Mund, als eine fiepsige Stimme: „Hallo?“ sagte.
„Hast du eben ‚Hallo‘ gesagt?“ wollte er wissen.
„Nein, aber ich habe es auch gehört.“
Da war sie wieder: „Hallo? Syrah, bist du es?“
Etwas verdutzt schauten sie sich an. Sie konnten es beide hören.
Eine andere Stimme, etwas rauchiger im Klang, fragte zurück: „Rivana, bist du es?“
Mit fragenden Blicken legten sie die Löffel auf die Unterteller der Suppentassen.
„Ja, das ist ja schön dich mal wieder zu sehen. Ich muss dir was erzählen: Hast du gehört, dass Silvana etwas mit dem Franzosen Merlot angefangen hat?“
„Ist nicht wahr!“ meinte die rauchige Stimme und lachte leicht.
Das Gemurmel der beiden Stimmen nahm gar kein Ende. Da sah das verliebte Paar, dass sich die Weine auf ihrem Tisch unterhielten.
„Herr Ober!“ forderte Gunnar dem Kellner, der schon wenige Sekunden später mit drei dampfenden Tellern an ihrem Tisch stand.
„Ja bitte?“
„Kann es sein, dass sich die Weine unterhalten?“
„Ja sicher. Sie haben doch das Menü mit den korrespondierenden Weinen gewählt!“, und verschwand zum nächsten Tisch, um dort die Bestellung zu servieren.