Prompt: Bild mit verschneitem Tor und Wald - 17.11.2019
Mein letzte Erinnerung ist ein Winterdämon. Ich bin nun drei Wochen auf Belle und wie es scheint, bin ich tot. Ich scheine zu schweben. Ein Sog saugt mir heran. Aus einer geringen Fallhöhe falle ich in den Schnee. Zum Glück liegt er meterhoch und ich verletze mich nicht. Ich bin eines der 100 Opfer der Winterdämonen.
Was ich aber jetzt sehe, erfreut mein Herz. Ich stehe vor einem meterhohen Tor. Ich kann tief in ein Park hineinsehen. Es sieht paradiesisch aus. Die Bäume sind schlankgewachsen und reichen fast bis zum Himmel. Alles ist wie verzaubert und mit einer weißen perlenförmigen Schneeschicht bedeckt. Ich fasse das schmiedeeiserne Tor und bin erstaunt, wie kalt es sich anfühlt. Das Tor ist bogenförmig abgerundet. Darin sind wie Kleeblätter aufeinandergestapelt. Das Tor ist eine tolle Handwerkskunst. Wer hat wohl daran Hunderte von Stunden gearbeitet? Meine Sinne waren so fest auf das Tor konzentriert, dass ich die Musik erst jetzt wahrnehme. Wunderschöne Klänge dringen an meinem Ohr. Es sind Harfenklänge begleitet von mehreren Violinen. Mein Herz hüpft vor Glück.
Das Tor ist offen! Ist dies eine Einladung hineinzugehen? Na klar, ich bin von Natur aus neugierig. Dies war vermutlich auch die Ursache meines frühen Todes nach nur drei Wochen auf Belle. Ich hatte mich als Einzelspäher gemeldet. Die Zusatzausbildung dazu hatte ich aus Zeitüberlegungen ausgeschlagen. Die warme Taverne mit dem immer gemütlichen Cheminéefeuer, den warmen Getränken und den angenehmen Gesprächsrunden hatte ich verlassen. Spärlich ausgerüstet war ich im verschneiten Belle unterwegs gewesen. Mitgenommen hat ich lediglich einen warmen Schlafsack etwas zu trinken und zwei Tagesrationen Proviant. Zündhölzer hatte ich dabei und mein Wissen aus diversen mehrtägigen Überlebensübungen als Schweizer Soldat. Anscheinend hatte dies nicht gereicht!
Die Kälte war mein größter Feind gewesen. Ich fror derart, dass ich kaum schlief. Ein Feuer zu machen, hatte sich als äusserst schwierig erwiesen. Da alles Brennbare derart nass war. Wenn es endlich brannte, waren die Rauchzeichen kilometerweit zu sehen. So würden die Winterdämonen auf mich aufmerksam werden. Dies war keinesfalls das Ziel der Übung. Am dritten Tag, ich hatte kaum noch etwas zu trinken. Das Schnee schmelzen war einfach mühsam und ergab nur kleinste Trinkmengen. Ich war stundenlang unterwegs gewesen, als ich Geräusche hörte. Ich kauerte im Dickicht und beobachtete zwei Winterdämonen. Die sahen richtig beängstigend aus. Sie hatten ein zotteliges Fell und sahen wie ungepflegte Monster aus. Frierend war ich in der Hocke und so nach ein paar Minuten war eines meiner Beine halbwegs eingeschlafen. Instinktmäßig verlagerte ich das Gewicht auf das andere Bein. Zu meinem Erschrecken knackte ein Stück Holz dabei derart laut, dass ich sofort erstarrte. Das Weitere könnt ihr euch vorstellen. Die beiden richteten sich auf und der größere Winterdämon meinte: „Hm, hast du es auch gehört? Ja, dies ist unverkennbar ein Mensch!“ Der andere nickte nur mit dem Kopf. Ihr könnt dreimal raten, in weniger als 30 Sekunden, hatten sie mich geschnappt. An das Folgende mag ich mich nicht erinnern. Nun wisst ihr, was passiert ist.
Ich hüpfe durch den offen Spalt und stoße das Tor zu. Ich höre ein Klicken. Dies muss der Schließmechanismus des Tores sein. Wie ist dies möglich? Wer hat es wieder geschlossen? Ich laufe durch die parkähnliche Landschaft. Eichhörnchen hüpfen vor mir her und scheinen mich begleiten zu wollen. Es scheint, dass ich eine neue Gabe habe. Ich verstehe, was die beiden Eichhörnchen reden. Ich lausche ihren Stimmen, die reden ja über mich! Sie bemitleiden mich. Ich höre noch: „Komm mit uns, wir führen dich zum Palast.“ Wir laufen einen kleinen Pfad und hinter den Bäumen im Nebel liegt ein wunderschöner Palast. Es sieht aus wie das Tadsch Mahal in Indien. Vor dem Palast ein gepflegter Park mit einem Teich. Vor dem goldigen Tor verabschieden sich die Eichhörnchen höflich.
Ich versuche es, zu öffnen. Minutenlang taste ich es ab und plötzlich bewegen sich beide Flügel und öffnen sich. Ich klopfe meine schneebedeckten Kampfstiefel ab und trete ein. Die langen Gänge sind mit Bildern verziert. Ich stehe vor einigen der Bilder und sehe, dass es Bilder von Belle sind, beschriftet mit „Paradies auf Erden“. Ich laufe weiter und stehe vor einer Kreuzung. Ein Schild ist beschriftet mit: „Für Neuankömmling zum Thronsaal“. Ich folge dem Schild und eine noch größere Flügeltür öffnet sich, wie wenn sie ferngesteuert würde. Was mein Auge erblickt ist etwas vom Schönsten, was ich je gesehen habe. Ein sehr heller Raum mit nur wenigen Gegenständen und im inneren ist es taghell durch die riesigen Fenster. Auf dem dicken Teppich laufe ich Richtung Thronsaal. Auf dem Thron sitzt ein alter Mann mit einem langen weißen Bart und blickt traurig auf mich hinab. Er begrüßt mich mit folgenden Worten: „Luca Milu, es tut mir Leid, dass dies mit dir passiert ist. Verdient hast du ein solches Schicksal nicht. Nach langer Beratung haben wir uns entschieden, dir zwei Wünsche zu schenken. Aber überlege gut, was du wünschest. Dies wird augenblicklich in Erfüllung gehen, egal wie absurd.“ Ich kniete nieder vor dem Herrscher und überlegte lange, was ich mir wünschen wollte. Und dann sprach ich meinen ersten Wunsch aus: „Ich wünsche mir, dass die Winterdämonen Belle auf der Stelle verlassen.“ „Und dein zweiter Wunsch, Luca?“ „Ich wünsche mir, dass Belle alle Geldmittel erhält, damit es weiter wachsen kann!“ Der alte Mann stand nachdenklich auf und wandte sich zu mir: „Keine Sorge, deine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Aber ich muss mich kurz mit den Feen beraten.“ Im Raum war es still wie nie zuvor. Und nach minutenlanger Stille kam er zurück und sagte freudig: „Luca Milu, du hast uns derart positiv überrascht, da deine beiden Wünschen selbstlos waren. Deshalb schenken wir dir einen dritten Wunsch.“ Ich überlegte und dachte: „Denk an dich.“ Und ich hörte mich sprechen: „Ich wünsche mir eine zweite Chance auf Belle.“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, saß ich vor dem Kamin in der Taverne auf Belle.
Ende.