Prompt: Verblichene Fotografien
Als meine Eltern gestorben waren, gab es das ganze Haus zu räumen. Was man findet, ist sehr unterschiedlich. Es kommt darauf an, ob man alles behält mit dem Ziel, es doch irgendwann zu gebrauchen. Meine Eltern haben den Zweiten Weltkrieg erlebt. Zumindest waren sie da Jugendliche. Aus dieser Perspektive heraus braucht es mehr, bis man Sachen wegwirft. Wir die Kinder verbrachten Wochen das ganze auszusortieren. Es waren sehr schöne Sachen darunter. Wie Originalpläne von Brücken aus der Studienzeit meines Großvaters zum Bauingenieur. Aber auch Porträts der Familie und wir wussten einfach nicht, wer diese Leute waren. Zum einen oder anderen gab es Ähnlichkeiten. Da waren auch unzählige Fotoalben.
Ich habe es kurzum aus dem Schrank genommen und möchte es mit euch durchblättern. Die Bilder sind alle Schwarzweiß und leicht vergilbt. Fotografiert wurde vor allem am Sonntag aber auch an großen Anlässen wie Hochzeiten und Taufen.
Auf dem ersten Bild ist mein Vater mit den Geschwistern. Mein Vater ist da neunjährig. Er sieht aber wie ein junger Mann aus mit einer karierten Krawatte einem kurzen Hemd und ein Strahlen im Gesicht. Seine beiden jüngeren Brüder und seine Schwester sind festlich gekleidet. Ein Foto zu machen, war zu dieser Zeit sehr teuer und deshalb sind alle so schön gekleidet. Der Fotoapparat wurde mehrmals gerichtet und immer wieder überprüft, ob die Blende richtig eingestellt war.
Das nächste Bild datiert aus dem Jahr 1937. Ein Mädchen steht auf der Stoßstange eines schwarzen Citroëns. Der Wagen gehört dem Bruder meines Großvaters. Personenwagen waren zu dieser Zeit relativ rar. Der Besitzer war Arzt und konnte sich diesen deshalb leisten.
Im Album herrscht eine gewisse Unordnung. Die Bilderecken sind vergilbt und haben sich gelöst. Auf einem Bild ist der Kopf einer Person kurzum ausgeschnitten. Den Grund hierfür fanden wir nicht heraus. Gab es auch zu diesen Zeiten Familienstreit?
Auf einem weiteren Bild sind sechs Personen abgebildet. Das Bild datiert aus dem Jahr 1905. Eindrücklich ist, dass alle Personen gestorben sind. Die Erwachsenen sind schwarz gekleidet. Die beiden Damen tragen einen schwarzen Hut mit einem großen Rand. Der Mann einen Frack mit Zylinder. Die drei Kinder sind ebenfalls elegant gekleidet. Auf der Rückseite stehen Vater und Mutter und die Namen der zwei Buben und des Mädchens. Da der Name meines Großvaters dort steht, sind es meine Urgroßeltern. Eindrücklich ist, dass mein Großvater auch einmal ein Kind war. Zwischendurch vergisst man dies. Wir waren alle einmal Kinder. Er ist neunjährig. Was würde er uns erzählen über dieses Bild. Es sieht aus wie ein Sonntagsspaziergang. Mein Urgroßvater scheint meinen Großvater an der Schulter zu berühren. Vermutlich ein: „Kommt schon oder ähnlich.“ Ich schließe dieses Album.
Ein weiteres Album ist von meiner Mutter. Das erste Bild ist eine Porträtaufnahme meiner Mutter. Sie hat den Kopf leicht zur Seite gedreht und lächelt. Die Haare sind leicht gewellt. Sie ist etwa zwanzigjährig und lächelt zuversichtlich der Zukunft entgegen. Um den Hals trägt sie einen Anhänger an einer Kette. Das Besondere ist, dass dieser Anhänger hinter dem Bild geschoben wurde. Das Album ist nicht besonders interessant also ein schnelleres Durchblättern. Viele Personenporträts sind zu sehen. Interessant sind drei Fotos von einem Elefanten in einem Gehege. Den Rüssel streckt er zu den Passanten. Erwähnenswert sind noch ein paar Fotos mit meinen Eltern am Skifahren mit uralten Skiern.
Oh, auf den letzten Seiten des Albums tauchen wir Kinder auf. Ich und meine beiden Geschwister und meine Großeltern. Ich bin vier und sehe sehr nachdenklich aus. Weiß ich da bereits, dass ich mehrere Jahrzehnte später darüber schreiben werde? Verblichene Fotos Zeitzeugen einer vergangenen Zeit.