Ich wusste es! Irgendwann kommt ein Wort, da weiß ich rein gar nichts zu erzählen. Da kommt mir immer mein Deutschlehrer in den Sinn. Nehmt ein anderes Thema, wenn es nicht passt! Er war immer sehr nett. Ich kann mich gut erinnern, wie er an der Tafel mit der quietschenden Kreide die Themen aufschrieb und ich innerlich immer nervöser wurde. In Sekundenschnelle wusste ich, ob es passt oder eben auch nicht. Da geht es nicht, wir haben nur ein Wort zur Auswahl und 3600 Sekunden zur Verfügung. Aber na sagen wir es so, sonst wäre es auch keine Challenge, sondern lediglich ein Sonntagsspaziergang. Was machen? Der zweite Tipp meines Lehrers war die Gedanken laufen zu lassen. Mein Gedanke war einfach, diese Challenge heute auszulassen und einen Jokertag einzuziehen.
Ihr wisst nicht, was ein Jokertag ist? Na, dann erkläre ich dies Mal, gibt schon mal ein paar Sätze, vielleicht fällt mir bis dahin etwas Intelligentes zur Sonnenfinsternis ein. Der Jokertag wurde eingeführt in der Schule. Diesen Tag können die Schüler einsetzen und brauchen keine Entschuldigung. Sie melden lediglich dem Lehrer, dass sie ihren Jokertag beziehen. Eine Gelegenheit, den Jokertag zu beziehen, wäre wenn, eine Sonnenfinsternis eintritt. Dies machte ich natürlich auch.
An diesem Tag hatten wir den Joker gezogen. Es war der 11. August 1999. Also es ist mehr als eine Ewigkeit her, 20 Jahre und ein paar Monate. Die Ereignisse erscheinen mir,als ob es gestern passiert wäre. Das Schauspiel würde mehrere Stunden dauern. Dies war sozusagen eine Weiterbildung in Astronomie. Es sollte eine totale Sonnenfinsternis sein. Wir hatten das Ereignis im Vorfeld gut geplant, wie würden auf den Üetliberg gehen und quasi vom höchsten Hausberg der Stadt Zürich das ganze Spektakel beobachten.
Da wir lange ausharren würden, um das Naturspektakel zu beobachten, entschieden wir uns wenigstens hochzulaufen, um im Vorfeld etwas Bewegung zu genießen. Es war ein wunderschöner warmer Tag und wolkenlos. Ideal für das Vorhaben. Der Spaziergang ging romantisch durch einen Wald. Oben angekommen mussten wir feststellen, dass wir nicht die Einzigen waren, die diese Idee hatten. Getränkestände und Essensstände waren aufgestellt. An einem Stand wurden sogar spezielle Brillen verkauft. Die Schlange dort war riesig. Am Morgen war in großen fetten Buchstaben in Tageszeitungen gestanden: „Schützt eure Augen vor bleibenden Schäden.“ Wir nahmen dies ernst und wollten das Schauspiel möglichst gut sehen und voll in die Sonne blicken. Wir investierten die Moneten und kauften uns die Brillen. Alsbald hatten alle diese an und wir sahen lustig aus. Die Stimmung war wie an einer Kirmes. Wir kauften uns noch ein Eiscreme und setzten uns ins Gras.
Mike war der Klassenstreber. Er machte alles mit links, gut er war ja auch Linkshänder. Seine Noten waren einfach spitze. Alle beneideten ihn, da er noch gut aussehend war. Als wir so sassen, meinte er: „Jetzt schreiben sie in der Schule einen blöden Aufsatz.“ Ich glaube, er sprach absichtlich so, um seine Akzeptanz bei uns zu erhöhen. Ich dachte: „Am liebsten, würde er diesen mitschreiben.“ Ich sagte zu ihm: „Wart nur, ich bin mir sicher, dass wir nachschreiben müssen.“ Lu, das Mädchen in unserer Gruppe meinte: „Würde mich nicht wundern, wenn er das Thema Sonnenfinsternis wählt, und was soll ich da schreiben.“ Mike meinte: „Du könntest erklären, was es ist. Soviel ich weiß, sind es sehr viele Sonnenfinsternisse in einem Jahrhundert. Ich denke mehr als hundert. Aber sie sind nicht überall sichtbar. Du müsstest wie wild umherreisen. Ich würde sicher mal erklären, dass es ein Naturphänomen ist und dass sich von der Erde ausgesehen der Vollmond vor die Sonne schiebt.“ Ich meinte etwas vorlaut: „Ich würde eine Fantasiegeschichte schreiben mit einem Wolf. Die Sonne würde abgedeckt und der Wolf finge wie verrückt an zu heulen. Oder von Tim und Struppi, ich liebe diese Zwei. Tim mit der Locke. Zu diesem Thema würde ich eine Fangeschichte schreiben über Tim und Struppi, wie sie den Sonnentempel finden und gefangen genommen werden. Als sie auf dem Scheiterhaufen sind, bittet Tim die Sonne, sich zu verfinstern und diese List rettet ihm das Leben. Die anderen Figuren wie der Kapitän und Professor Bienlein sind herrlich.“ Mike und ich drehen uns zu Lu. Wir merken beide, dass etwas nicht stimmt. Sie kämpft mit den Tränen und halb schluchzend lässt sie heraus: „Im Moment ist die Sonnenfinsternis in mir! Ich war so verliebt in Christian und war wie im siebten Himmel. Wir haben uns gestern getrennt.“ Tränen kullern bei ihr runter. Wir versuchen sie so gut wie möglich zu trösten. Nach ein paar Minuten hat sie sich beruhigt und meint: „Na, dann würde ich über dies Schreiben, über meine Sonnenfinsternis in meinem Herzen oder Seele. Wenigstens habe ich so etwas zum Schreiben.“
Wir schauten, das Spektakel, es war wunderschön. Aber es dauerte nur ein paar Minuten. Ein Mann mit einer Gitarre spielte unweit von uns ein ganz melancholisches Lied auf seiner Gitarre. Ich schaute Lu an und sie war mir extrem sympathisch. Hatte ich mich unbewusst verliebt! In diesem Moment erreichte die Sonnenfinsternis ihren Höhepunkt. Von diesem Moment an, hatte ich ein anderes Verhältnis zu Lu. Es war mittlerweile ein Uhr nachmittags und wir hatten im Restaurant zur Feier des Tages das Menü mit dem Namen „Sonnenfinsternis“ gebucht. Es war ein wunderschöner Tag. Am nächsten Tag mussten wir tatsächlich den Aufsatz über die Sonnenfinsternis schreiben, was uns nach dem Erlebnis nicht mehr schwerfiel.
Ende