Xalflax atmete einige Male tief durch und sagte laut zu sich selbst: „Los jetzt! Es muss sein! Es muss sein!“
Dann riss er sich los, spurtete zum Küchentisch und schnappte sich ein Messer. Seine Schwester schrie hysterisch. „Was muss sein? Was muss sein Xalflax?“
Er beachtete sie nicht weiter und tat, was getan werden musste. Kniend neben dem toten Hausvater tastete er in dessen Gesicht, schloss die Augen, als er die geeignete Stelle gefunden hatte und trennte das linke Auge heraus. Das widerliche, glitschige Geräusch, dass dabei entstand, würde er nie wieder vergessen, so viel stand fest. Langsam öffnete er seine Augen. Sie starrten jetzt in das fremde, blutverschmierte Auge in seiner Hand.
Ihm wurde schlecht. Bevor er umkippen konnte oder seine Schwester noch auf dumme Gedanken kommen würde, entfernte er sich schnellen Schrittes aus der Küche und rannte vor den Augen seiner völlig fassungslosen Schwester in den Vorratskeller.
Der Aufbewahrungsort der Sclab-Medikamente war das sogenannte Heiligtum eines jeden Kolonialhauses. Dort bewahrte der Hausvater die Gegenmittel-Rationen für seine Sklaven auf. Dies sollte eigentlich der sicherste Ort im ganzen Haus sein. Und tatsächlich brauchte Xalflax auch einige Jahre, um ihn zu finden. Als er es schließlich geschafft hatte, musste er ein weiteres Problem überwinden. Die Rationen lagen in einem geheimen Kühlraum, der durch ein computergesteuertes Synchron-Wächter-System geschützt wurde. Ein S-W-S konnte man schlicht und einfach nicht knacken, es sei denn, dass man übernatürliche Fähigkeiten besaß oder ein Computer Wunderkind war. Er hatte sich zwar Lesen, Schreiben und Rechnen selbst beigebracht und dabei festgestellt, dass er Zusammenhänge viel schneller begreifen konnte als alle anderen um ihn herum, aber ein Computerexperte war er deswegen nicht gerade. Zumal er als Sclab kaum Zugriff auf Computerterminals hatte.
Eine ganze Woche lang hatte er Nacht für Nacht wach gelegen, um eine Lösung für sein Dilemma zu finden. Als er merkte, dass seine tollkühne Rache an diesem Punkt zu scheitern drohte, war er schier verzweifelt. Obwohl er um die dreißig Wege ersonnen hatte, die Sklavenhalterfamilie umzubringen, scheiterte er jedoch jedes Mal daran diese Sache samt seiner eigenen Familie auch zu überleben. Die verdammten Sclab-Krankheiten würden ihn und seine ganze Familie einfach dahinraffen.
Er erinnerte sich an die Geschichten über den guten Schöpfergott und seine Engel, zweifelte allerdings daran, dass dieser die richtige Adresse für ihn war, wenn es um seine Rache ging. Dennoch betete er voller Innbrunst zu diesem, ihm unbekannten Gott. Da er eh nichts zu verlieren hatte, beschloss er gleichzeitig, sich auch noch an eine andere Adresse zu wenden. Er rief den verderbten Schattengott an. Dieser hätte sicherlich keine Skrupel ihm bei seiner Rache zu helfen. Dann schlief er am fünften Tag vor lauter Erschöpfung endlich ein.
In einem Traum, der ihm sehr real vorkam, sah er eine dunkle Gestalt mit einem gelben und einem grünen Auge. Dieser sprach einige ihm völlig unbekannte Worte. Es waren die Silben, die ihm den Zutritt zu den Medikamenten gewähren würden. Der dunkle Mann überreichte ihm einen silbernen Digital-Schlüssel mit schwarzer Aufschrift. Dann zeigte er ihm die blutigen Kadaver seiner Sklavenhalter. Dabei zeigte er Xalflax, was er unbedingt noch machen musste, um den Geheimraum unbeschadet betreten zu können, in den er so sehr gelangen wollte. Voller Erstaunen nahm er den Digital-Schlüssel entgegen, konnte aber die Augen nicht von diesem Bild des Schreckens abwenden. Einerseits widerte ihn das Bild an, andererseits verlieh es ihm aber auch eine tiefe Befriedigung. Er erschrak, als die dunkle Gestalt ihm das Wort „Mörder“ zuraunte, dann wachte er auf und wusste genau, was er zu tun hatte.
Im Vorratskeller befand sich eine glatte Wand auf der rechten Seite, hinter der sich der mit dem S-W-S gesicherte Geheimraum befand. Nach den Instruktionen der dunklen Gestalt aus seinem Traum hielt er das herausgetrennte Auge des Kolonialvaters vor die Wand. Dann sprach er die Worte, die er im Traum gehört hatte. Obwohl sie für ihn keinen Sinn ergaben, schienen sie genau die Wirkung zu haben, die er sich erhofft hatte. Eine blaue, leuchtende Linie erschien an der glatten Wand. Es zischte und knackte kurz, dann fuhr der leuchtende Abschnitt der Wand zur Seite und gab den Blick auf das Innere des Geheimraumes frei.
So etwas hatte er noch nie gesehen. Gläserne Schränke links und rechts vom Boden bis zur Decke. Die Scheiben von Innen beschlagen. Darin enthalten war das Gegenmittel, dass er für sich und seine Familie brauchen würde, wenn sie wenigstens die nächsten Tage überleben wollten. Und das mussten sie, damit sein Plan auch wirklich funktionierte.
Die dunkle Traumgestalt mit den verschiedenfarbigen Augen hatte ihm irgendwie den Weg geebnet.
War es vielleicht nur sein Unterbewusstsein, dass ihm eine Lösung als Traum präsentierte? Oder wurde sein Gebet tatsächlich erhört? Und wenn ja, von wem? Obwohl das alles äußerst merkwürdig und auch fragwürdig war, hinterfragte er die Quelle seiner Informationen im Eifer des Gefechts nicht weiter. Fürs Danke sagen und philosophieren war später noch genügend Zeit. Jetzt galt es den Plan durchzuführen, zu handeln und zu überleben.