Xal, dessen Name in weiten Teilen des Asradäischen Bezirks nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde, hatte schon lange nicht mehr so schlechte Laune, wie heute. Drex, einer seiner untergebenen Straßenbosse, lag erschossen und mausetot vor ihm in seiner eigenen Blutlache. Angeblich war es ein Junkie. Pekaron und Indulu, seine beiden gorillahaften Gon Lu Leibwächter flankierten Xal links und rechts, wie sie es immer taten, wenn ihr Boss sich in der Öffentlichkeit zeigte. Was er selten genug tat. Xal wendete zornig den Blick von seinem toten Unterboss ab und ging zielstrebig mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Beamten der Ordnungskräfte zu, der den Tatort bewachte. »Sie hören mir jetzt gut zu Ndala! Ich bezahle sie und ihre Kollegen außergewöhnlich gut dafür, dass sie im richtigen Moment wegsehen und gleichzeitig meine Organisation samt meinem Personal beschützen. Und jetzt liegt hier die Leiche von Drex vor mir. Einem absoluten Profi auf seinem Gebiet. Erschossen von irgendeinem Junkie? Und das wollen sie mir erzählen, Ndala?« Aus seinem vorgereckten Zeigefinger wurde eine ausgestreckte Hand und diese legte sich um den Hals des winselnden Sicherheitsbeamten. »Aber ich bin ein Beamter, was erlauben sie sich? Ich bin doch nicht dafür verantwortlich, was hier passiert ist. Gehört das nicht auch irgendwie zum Berufsrisiko in ihrer Branche? Ich meine, ... .« Redete sich der arme Beamte um Kopf und Kragen.
Er hatte nur eine ungefähre Ahnung, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte. Das erkannte Xal natürlich sofort. Er beschloss etwas zu demonstrieren, etwas Drastisches. Mit einer schnellen Drehung seines Handgelenks brachte er den Beamten röchelnd auf die Knie. Mit einem einfachen Zwinkern erwachte Xal's Korder an seinem Handgelenk. Die Stimme von Sicherheitschef Mpaula ertönte umgehend. »Mpaula hier, sie sollen mich doch nicht während der Tagesschicht kontaktieren! Das hatten wir klar ausgemacht.« »Seien sie still Mpaula und hören sie mir gut zu! Was wir klar ausgemacht hatten, war, dass sie für die Sicherheit meiner Leute sorgen.« Die ganze Zeit fixierte Xal den Beamten mit seinen Augen. Nicht mal ein Zucken war seinem vernarbten Gesicht zu entnehmen. Der arme Beamte wusste nicht, wie ihm geschah und versuchte verzweifelt aus dem eisernen Würgegriff herauszukommen. Aber ohne Chance. »Gewiss, gewiss! Dafür habe ich extra pro Block einen Laufbeamten abgestellt.« Beschwichtigte der ahnungslose Bezirksagent Mpaula. Xal schüttelte den Kopf. »Mpaula, noch einmal, sie hören mir jetzt zu. Ich stehe hier in der Blutlache von Drex, einem meiner wichtigsten Straßenbosse. Er wurde erschossen durch einen Teilchenbeschleuniger. Seine Leiche dampft immer noch. Und das einzige, was ihr Laufbeamter richtig gemacht hat, war zuerst meine Notrufnummer zu wählen, statt die ihre, Mpaula.« Mpaula erschrak und stammelte irgendetwas Zusammenhangloses von Junkies. »Noch einmal, zum letzten Mal. Hören sie auf zu labern und spitzen sie ihre fetten Beamtenohren, Mpaula! Das war kein Junkie. Ein Junkie kann sich keinen Teilchenbeschleuniger leisten, weil er sein ganzes Geld für Crane, Izbiz oder Traumstücke ausgibt. Nein, Agent Mpaula, das war ein heimtückischer Mord. Ein geschäftsschädigender Mord. Und wir beide wissen genau, wer das war.« Stille folgte auf der anderen Leitung. Xal wartete ab, bis Mpaula es aussprach. »Sie meinen Rockenbach.« Mpaula räusperte sich mehr, als dass er es aussprach. Der Name Rockenbach war für ihn zu einer Dauerbelastung geworden.
Vor etwa vier Segmentjahren, kurz vor seinem Amtsantritt, musste Mpaula sich entscheiden, mit welchem Boss er in seinem Bezirk kooperieren würde, wen er tolerieren würde und wen er bekämpfen musste. Denn so lief es eben auf Makon für einen Sicherheitsbeamten. Agent Mpaula entschied sich damals für den aus seiner Sicht klügeren und auch weniger brutal wirkenden Xal. Er hatte etwas Smartes an sich, aber er war auch voller Geheimnisse. Andererseits, wer hatte keine Geheimnisse? Gleichzeitig musste er sich entscheiden, welchen weiteren Boss er tolerieren würde. Da Xal damals schon mit dem Neokas Angmarach verbündet war, fiel die Wahl auch hier nicht schwer. Obwohl er damit einen guten Deal gemacht zu haben glaubte, war ihm klar, dass der dritte Boss, alsbald auf die Abschussliste gesetzt werden müsste. Kein geringerer als Rockenbach, der Zweifache, war jener Boss. Er hieß der Zweifache, weil er schon oft an zwei Orten gleichzeitig gesehen wurde. Es war quasi sein Markenzeichen. Wie er das jeweils anstellte, blieb ein Rätsel. Rockenbach war auch noch für etwas anderes bekannt. Für seine äußerste Brutalität. Und genau an dem Punkt wurde es schwierig für Agent Mpaula. Denn mit den Standardmethoden, die ihm als Sicherheitsbeamten zur Verfügung standen, konnte er Rockenbach natürlich nicht besiegen. Im Gegenteil, er verlor dabei sogar einige Beamte. Und das ging gar nicht. Die Moral in seiner Truppe war gefährlich niedrig. Und jeder weitere tote Beamte könnte das Aus oder sogar den Tod für ihn bedeuten.
Aufgrund dieser Angelegenheit einigte er sich mit Xal und Angmarach darüber, nicht mehr aktiv gegen Rockenbach vorgehen zu müssen und ihnen das Feld zu überlassen. Im Gegenzug musste er auf knapp die Hälfte seines Schmiergeldes verzichten und außerdem die Frequenz und Anzahl der Wachrunden für Laufbeamte drastisch erhöhen. Und obwohl er das alles hingenommen und veranlasst hatte, ging ihm dieser Rockenbach weiterhin mächtig auf die Nerven. Und zu allem Überfluss musste er sich jetzt von Xal vorführen und belehren lassen. Er atmete tief durch und erwartete die verbalen Schläge.
»Der schwuchtelige, zweifach, fette Rockenbach! Ganz genau. Ich hatte ihnen bereits gesagt, dass es Konsequenzen haben wird, wenn sie meine Leute nicht beschützen können. Verstehen sie Mpaula?« Xal gab seinen Leibwächtern ein Zeichen mit der anderen Hand. Diese packten den Beamten an der Schulter und rissen ihn hoch. Xal drehte sich indes weg und blickte zurück in die finstere Gasse, in der Drex lag. »Fahren sie fort!« Schnaufte Mpaula. »Vor mir befindet sich der zuständige Ndala. Blutjung, ahnungslos, nutzlos. Er pisst sich gerade in die Hosen vor Angst, Mpaula. Wie, bitteschön soll so jemand in meinem Bezirk für Recht und Ordnung sorgen? Können Sie mir das mal erklären?« Dem jungen Beamten rutschte das Herz in die Hose. Er schrie voller Verzweiflung. »Agent Mpaula, schicken sie sofort Verstärkung! Die drohen mir hier... .« Pekaron zögerte nicht lange und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht. Daraufhin sackte der Beamte zusammen und verstummte. Blut lief wie ein Rinnsal aus seinem Mund. Er hing jetzt wie ein nasser Lappen in den Fängen der Gorillaboys. »Xal, tun sie das nicht! Ich bin untröstlich für ihren Verlust. Und ich verspreche Ihnen die Wachen an den Umschlagplätzen nochmal zu erhöhen. Außerdem . . .« »Nein, nein, nein, halten sie gefälligst den Mund, sie Lurch. Ich sage Ihnen, was jetzt passieren wird. Die respektlose Ndala Made hier wird die Welt von Unten betrachten. Den Warenverlust ziehe ich von ihrem persönlichen Bonus ab. Und sie werden sich bereits morgen bei mir melden und mir ihren umfassenden Plan vorstellen, mit dem sie Rockenbach und seine Junkies aus dem Geschäft, aus diesem Bezirk und aus diesem Leben drängen werden. Der alte Deal ist damit hinfällig. Haben sie mich verstanden?« Xal zog seinen persönlichen Teilchenbeschleuniger und ließ ihn geräuschvoll fertigladen.
Agent Mpaula saß schwitzend auf seinem Drehstuhl in seinem schäbigen kleinen Office. Er war wirklich nicht zu beneiden. »Halt« Brüllte er in seinen Korder hinein. »Wenn sie das jetzt tun, Xal, werde ich zurücktreten. Und mein Nachfolger könnte sich auf Rockenbach‘s Seite schlagen. Dann stehen sie mit dem Rücken zur Wand und sind selbst der Gejagte. Das Spiel beginnt dann von Vorne und der Ausgang ist ungewiss. Wenn sie das wirklich wollen, dann drücken sie ab, sie verdammter Mörder.«
Xal war zutiefst getroffen. Seit über zehn Jahren wurde er nicht mehr Mörder genannt, obwohl er seitdem Dutzende Morde begangen hatte. Mörder, klingelte das Wort in seinen Ohren und erregte einen inneren Widerhall. Er sah dem armen Beamten ins Gesicht. Dieser kam gerade wieder zu sich und ahnte noch nicht in welcher Gefahr er steckte. Etwas an seinen nach Hilfe suchenden Augen erinnerte ihn an den ersten Kunden, den er für seinen damaligen Boss umbringen musste, nachdem er sein Sklavenleben hinter sich gelassen hatte.
Sein Korder vibrierte, er bekam eine Nachricht. Eine Nachricht von ihr, Arnula. Schnell überflog er die Zeilen auf dem Display. Seine gute Laune kehrte postwendend zu ihm zurück. Endlich - dachte er triumphierend, er hat zugesagt.
Er entlud den Teilchenbeschleuniger. Allerdings in die Luft. Pekaron und Indulu sahen einander mit fragenden Blicken an. Xal machte eine abwehrende Handbewegung und ging davon. Seine Leibwächter ließen den Ndala los und sahen zu, dass sie mit ihrem Boss Schritt hielten.
»Xal, was ist da los bei Ihnen? Antworten sie mir!« brüllte Mpaula, den es nicht mehr auf seinem Drehstuhl hielt. Er ging auf und ab in seinem Büro.
»Regen sie sich ab Agent Mpaula. Dem Kleinen ist nichts passiert.«
Mpaula war froh, das zu hören, er war aber auch verwundert darüber. In einem ruhigeren Tonfall fuhr er fort. »Das freut mich sehr. Danke, dass sie zur Vernunft gekommen sind. « Xal schüttelte den Kopf. »Das hat nichts mit Vernunft zu tun Agent Mpaula. Ich bin bereits auf dem Weg zu Ihnen. Bereiten sie ein Treffen im Spelunken vor. Angmarach wird auch kommen. Also vergessen sie nicht die Drinks und die Damen!«
Mpaula erblasste und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. »Ein Treffen am helllichten Tag in der Spelunke? Mit beiden Bossen? Und ich habe sie immer von allen für den Schlauesten gehalten Xal.« Das Lächeln kehrte in Xal's Gesicht zurück. »Zu Recht! Und jetzt bereiten sie alles vor und überlassen das Denken mir!«